Die Polizei-Psychologin Rosenberg (Juliane Köhler) und die in den Fall involvierte JVA-Psychologin Ansbach (Tanja Schleiff) klären die Kommissare über das Phänomen Hybristophilie auf. Aber die Zuneigung mancher Frauen zu gewalttätigen Männern klärt nicht den Fall.
Der Kölner Tatort “Der Reiz des Bösen” hat am Sonntagabend mal wieder den ZuschauerInnen vor Augen geführt, dass man sich vor Verbrechern im Knast in Acht nehmen muss. Besonders Frauen, die sich in einen Inhaftierten verlieben. So manche Klischees des Knastes wird gezeigt. Der Zweierhaftraum mit Doppelbetten, die Entlassung am großen Tor der JVA oder das Schlendern der Ermittler inmitten des Knastes. All das ist nicht die Realität. Am Ende kommt gar heraus, dass ein Justizvollzugsbeamter der Verbrecher ist. Eine Umkehrung, die zeigt, dass die Einteilung in Gut und Böse nicht so einfach ist.
Als Susanne Elvan (Neshe Demir) ermordet aufgefunden wird, scheint der Fall für die Kölner Ermittler Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) zunächst klar zu sein. Schließlich ist sie gestorben, kurz nachdem ihr Mann Tarek (Sahin Eryilmaz) auf freien Fuß gesetzt wurde. Sie hatte den zu Aggressionen neigenden Schwerverbrecher einst über ein Brieffreundschafts-Portal während dessen Haft kennengelernt und noch vor seiner Entlassung geheiratet. Da liegt es nahe, dass sie diesem zum Opfer gefallen ist. Doch Assistent Norbert Jütte (Roland Riebeling) ist anderer Ansicht. Für ihn muss mehr an der Sache dran sein, denn der Frau wurde ein Gürtel um die Augen gelegt. Und das hat er schon einmal in einem anderen Zusammenhang gesehen…
Die Liebe zu Gewalttätern
Das Phänomen wurde schon in anderen Krimis hin und wieder angesprochen: Frauen, die sich in Strafgefangene verlieben und der Überzeugung sind, mit ihnen den Rest ihres Lebens verbringen zu wollen. Während das dort aber meist eher am Rande geschieht, stellt Tatort: Der Reiz des Bösen solche auf den ersten Blick unvorstellbare Beziehungen in den Mittelpunkt. Denn dabei handele es sich nicht um eine Randgeschichte, wie uns der Film an einer Stelle verrät. Gewalttätige Männer, gerade auch verurteilte, finden immer irgendwelche Frauen da draußen, die sich von dem Bild so angezogen fühlen, dass jede Form rationaler Verarbeitung unmöglich wird. Aber hat die Tote für diese vermeintlich wenig plausiblen Gefühle mit dem Tod bezahlt?
Das Publikum ahnt: wahrscheinlich nicht, sonst gäbe es ja keine Geschichte, die hier erzählt werden kann. Also heißt es erst einmal, nach weiteren Spuren zu suchen. Dabei ist der 1172. Fall der ARD-Krimireihe kein klassischer Whodunnit, So gibt es neben dem Hauptverdächtigen erst einmal keine weiteren Verdächtigen, die glaubwürdig für die Tat in Frage kämen. Für ein Publikum, das in erster Linie rätseln und zwischen den verschiedenen Optionen abwägen möchte, könnte das zu wenig sein. Eine ganze Weile hat man den Eindruck, dass Tatort: Der Reiz des Bösen sich mehr für das besagte Phänomen interessiert, als daraus einen tatsächlichen Kriminalfall zu machen. Und für Jütte, der eigentlich schon seit 2018 beim Kölner Tatort dabei ist, jetzt aber auf einmal ganz neue Seiten an sich aufzeigen darf.
Angst um einen misshandelten Jungen
Damit doch noch etwas Spannung in die Geschichte kommt, haben Regisseur Jan Martin Scharf (Weinberg) und sein Co-Autor Arne Nolting noch eine Parallelhandlung eingebaut. Auch hier geht es um eine Frau, die sich in einen brutalen Verbrecher verliebt, sehr zum Missfallen ihres kleinen Sohnes, der Angst vor dem Neuen hat. Aus gutem Grund, wie sich bald herausstellt. Denn auch wenn an anderer Stelle immer wieder beteuert wird, dass sich Gewalttäter ändern können: dieser hier wohl nicht. Die Frage ist vielmehr, wie weit der von Torben Liebrecht intensiv-bedrohlich gespielte Tyrann noch gehen wird und ob es jemandem gelingt, den Jungen aus dieser Hölle zu befreien, bevor es zu spät ist. Auf diese Weise kommen bei Tatort: Der Reiz des Bösen noch ein paar zaghafte Thrillerelemente ins Spiel.
Wirklich viel Nervenkitzel sollte man sich von dem Film dennoch nicht erwarten, das ist teilweise schon etwas behäbig. So richtig nuanciert ist er auch nicht: Da werden teilweise recht brutal die Themen durchgeprügelt, zur Not mit üblen Stereotypen, an denen kaum gearbeitet wurde. Dafür gibt es in Tatort: Der Reiz des Bösen einen netten Twist, der sich naturgemäß erst recht spät als solcher zu erkennen gibt, nachdem zuvor lange mit Erwartungen gespielt wurde. Als Clou für einen kompletten Film mag das ein bisschen dünn sein, zumal die Auflösung nicht so ganz überzeugt. Aber es reicht doch zumindest für einen soliden Abend vorm Fernseher.
Oliver Armknecht | Mit freundlicher Genehmigung: filmrezensionen.de