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Erinnerungen: Sonderbesuch als Tropfen auf den heißen Stein

20. Dezember 2020

Sonderbesuche im Knast stehen hoch im Kurs. Sie verdoppelten die monatlich zustehende Besuchszeit. Die unerträgliche und entwürdigende Situation im Besuchsraum, in dem es von Gerüchen aller Art stank, die Luft vom Raucherqualm zum Schneiden war und BesucherInnen wie aufgereiht nebeneinander hockten mit Tuchfühlung und ungewollter Gesprächsteilnahme zu den jeweiligen Nachbarn, ohne dass die, die zusammengehörten einander berühren, geschweige denn zärtlich zueinander sein durften, erhöhte den Wunsch verständlich sehr. Solange diese ‚Hühnerstiege’ existierte, habe ich mir nur einmal die Tortur zugemutet.

Sozialarbeiter oder Abteilungsbeamte oder schon mal Abteilungsleiter baten darum, solche Besuche abzuhalten, weil sie sie für ‚erforderlich’ oder ‚angebracht’ hielten. Manchmal hatte ich die Vermutung, dass sie ‚Belohnung’ für geleistete Dienste waren. Erst mit der Zeit wandten Inhaftierte sich direkt mit der Bitte an mich. Je mehr dieser Sonderbesuche ich abhielt, desto weniger fand ich sie befriedigend. Die ‚sozialen Bindungen’ sollten gepflegt oder gar gestärkt werden. Tatsächlich waren sie weniger als ein Tropfen auf einen heißen Stein. Meist endeten sie in heulendem Elend, Angstzuständen, Verzweiflung oder blinder Wut – auf wen auch immer. Meist überließ ich die Paare oder Familien sich selbst und war lediglich anwesend. Wenn sie mich ansprachen oder ausdrücklich bei dem Gespräch haben wollten, saß ich bei ihnen. Einige dieser Besuche vor allem bestärkten mich, nach einer anderen Möglichkeit zu suchen.

Ein Paarbesuch

Eine Ehefrau Z. rief mich an und bat flehentlich um einen Sonderbesuch. Sie sorgte sich um ihre junge Ehe. Ihr Mann sei in letzter Zeit seltsam zurückweisend, fast feindlich. Ich sollte bei der Klärung und möglichst Bereinigung der Situation helfen. Nach Rücksprache mit den Zuständigen und dem Ehemann hielt ich den Besuch und weitere ab. Die Atmosphäre knisterte. Da war was. Doch was, kam nicht heraus. Der Mann drehte und wand sich; wies alles von sich; wirkte auf mich weder aufrichtig noch glaubwürdig. Die Frau hoffte von Besuch zu Besuch darauf, dass zwischen ihnen ‚doch noch alles gut wird und sich wieder einrenkt’. Am Tag nach dem letzten Besuch der Frau sucht mich der zuständige Sozialarbeiter auf. Er war aufgebracht und ärgerlich und wedelte mit einem Brief herum. Ziemlich barsch fragte er mich, weshalb ich ihm nichts von dem Streit des Ehepaares mitgeteilt hätte. Da müssten ‚doch die Fetzen geflogen sein’. Ich verstand nicht, was er meinte, und überzeugte mich, dass es um dieses Ehepaar tatsächlich ging. In dem Brief mit Datum vom Vortag überhäufte Frau Z., wie auf dem Absender stand, Herrn Z. mit bitteren Vorwürfen, ja Beschimpfungen. Ich fand die Angelegenheit so komisch, dass ich zu lachen begann, was den Sozialarbeiter noch ärgerlicher werden ließ: Was es daran zu lachen gebe. Kurz und knapp informierte ich ihn über den Sonderbesuch vom Vortag und erbat mir den Brief, um zu klären, was gewesen ist.  Frau Z. hatte weder einen Streit mit ihrem Mann, noch hatte sie ihm geschrieben. Als Absenderin des Briefes stand unzweifelhaft ihr Name auf dem Umschlag. Seltsamerweise meldete sich der Leiter der Besucherstelle und meinte, die Menge und Dichte der Besuche für das Ehepaar Z. seien langsam übertrieben; so könne das nicht weitergehen.

Wieder verstand ich nicht, fragte nach und erfuhr, dass Frau Z. schon wieder einen Besuch verlangte, obwohl sie doch erst am Vortag einen Sonderbesuch bei mir wahrgenommen hat. Wieder fing ich an zu lachen; denn vor wenigen Minuten hatte ich mit Frau Z. telefoniert; und zwar bei ihr zu Hause. Mir dämmerte ein doppeltes Spiel, ging zum zuständigen Sozialarbeiter, erläuterte ihm den Stand der Dinge und bat ihn, sich der vorgeblichen Frau Z. an der Besuchspforte anzunehmen. Diese entpuppte sich als Geliebte von Herrn Z. Als angehende Rechtsreferendarin hatte sie den durch seinen Anwalt kennen gelernt und ‚sich gekrallt’. Nun versteckte sie sich hinter der Ehefrau und missbrauchte deren Namen, um wenigstens die Regelbesuche mit ihm verbringen zu können.

Bruch des Briefgeheimnisses

Etwa ein halbes Jahr später liegt auf meinem Schreibtisch eine Anzeige wegen ‚Bruch des Briefgeheimnisses’; wenig später die Aufforderung zur Vernehmung durch den Staatsanwalt. Zum Glück hatte ich den Vorgang in allen Einzelheiten schriftlich festgehalten, weil ich ihn interessant fand, nicht für möglich gehalten hatte und ihn als wichtiges ‚Lehrstück’ für mich einstufte. Da ich noch nie zu einem Staatsanwalt vorgeladen und von ihm vernommen worden war, war ich nervös. Gleich nach der Begrüßung sagte der mir: „Herr Pfarrer, kein Grund zur Aufregung. Wenn Sie erst mal hundert Anzeigen hinter sich haben, sind Sie es gewohnt.“ Das Verfahren gegen mich wurde niedergeschlagen. Herr Z. bekam einen Eintrag in seine Akte und wurde in eine andere JVA verlegt. Seine Geliebte wurde verwarnt. Etliche Monate später stand Herr Z. urplötzlich vor mir auf einem Gang im Zugangsbereich, lächelte mich freundlich an, begrüßte mich wie einen lieben Bekannten und sagte: „Na, Herr Pfarrer, können wir nochmal miteinander ins Gespräch kommen?“ Ich: „Was zwischen uns zu sagen war, ist gesagt. Suchen Sie sich einen anderen.“ Frau Z. hatte sich in der Zwischenzeit scheiden lassen.

 Ein Kapitel aus: Erinnerungen eines Gefängnispfarrers. (K)eine Satire

 

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