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Radio Gottesdienst aus der Prison-Ausstellung in Dresden

8. Februar 2021

Hinter Gittern finden Präsenz-Gottesdienste regelmässig statt. Aufgrund der Corona-Einschränkungen ist die gottesdienstliche Feier aus der Aussstellung „Vom Entzug der Freiheit“ im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden im Radio übertragen worden. Die Ausstellung nimmt in den Blick, wie Menschen unter den Bedingungen des Strafvollzugs leben und hinterfragt, was Haftanstalten zur Resozialisierung beitragen können. Das Radio MDR Kultur des Mitteldeutschen Rundfunks strahlte am 7. Februar 2021 den Gottesdienst aus. Ein ungewöhnlicher Ort über den AndersOrt des Knastes.

Den Gottesdienst gestalten GefängnisseelsorgerInnen zusammen mit Ausstellungsmachern und Gästen. Dabei ist vom Gefängnisalltag die Rede, von der Verantwortung des Menschen für seine Taten, aber auch vom Bedürfnis nach Schutz und Heilung, Vergebung und Liebe, unabhängig davon, ob ein Mensch inhaftiert ist oder nicht. Die Predigt hält der Vorsitzende der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge, Pfarrer Igor Lindner. Er arbeitet in der baden-württembergischen Justizvollzugsanstalt Offenburg. Der Gottesdienst ist registrierten NutzerInnen im Inside Modus unter „Digitale Bibliothek“ jederzeit zugänglich. In der Mediathek des mdr „Religion & Gesellschaft“ ist er zeitlich begrenzt abrufbar.

Warum strafen?

Die Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden gliedert sich in verschiedene Themenbereiche zum Thema Strafvollzug und Resozialisierung. Die Gesellschaft muss „Recht sprechen“. Denn nur so erhält sie die soziale Ordnung aufrecht und verhindert Rachehandlungen. Dafür bedarf es festgelegter Regeln. Personen, die gegen sie verstoßen, werden bestraft. Jede Gesellschaft bestimmt, was als Verbrechen oder Vergehen gilt und wie viel individuelle Verantwortung die Beteiligten tragen. Die Bestrafung entspricht also den Erwartungen der Gesellschaft an Gerechtigkeit. Ein allgemeingültiges Modell dafür gibt es aber nicht. In europäischen Gesellschaften werden Schuldige für ihre Taten bestraft, um sie von einer Wiederholung abzuschrecken und ihnen zugleich dabei zu helfen, nicht erneut straffällig zu werden. Strafansinnen und -maß änderten sich je nach Epoche. lm Zusammenhang mit präventiver Justiz sollten wir jedoch wachsam bleiben. Sonst können Gesetze entstehen, die eine Person schon vor dem Begehen einer Tat bestrafen.

Geschichte Gefängnis

Unmittelbar nach der Französischen Revolution (1789) wurde die Haft in Europa zu einer rechtmäßigen Strafe. Sie sollte die bis dahin übliche körperliche Züchtigung abschaffen. Die Gefängnisstrafe galt deshalb als humanere Behandlung von Kriminellen. Die Haft ermöglichte auch die Alphabetisierung und die Erziehung zur Arbeit. Zudem sollten die Verurteilten lernen, Regeln zu beachten, um ihnen die Rückkehr in die Gesellschaft zu erleichtern. Doch bereits die ersten Verfechter der Gefängnisstrafe wiesen auf ihre möglichen Kehrseiten hin: Die Ausgrenzung einer Person durch Haft könne ihre gesellschaftliche Wiedereingliederung gefährden. Auch bestehe die Gefahr, dass das Leben in einer Gemeinschaft von Straftäter*innen eine Schule des Verbrechens bilde. Hier wird der zwiespältige, paradoxe Charakter der Gefängnisstrafe deutlich.

Architektur zur Bestrafung

Das Panopticon, 1791 erdacht von Jeremy Bentham, ist ein Bau mit kreisförmigem Grundriss. Er verläuft um einen zentralen Turm, von dem aus eine ständige Überwachung möglich ist. Dabei wissen die Gefangenen nicht wann sie beobachtet werden. Ausgehend von diesem Modell setzten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts zwei unterschiedliche Tendenzen in Europa durch: einzelne sowie gemeinsame Hafträume. Sie entwickelten sich zu den beiden derzeit extremsten Formen: Dem Hochsicherheitsgefängnis und der offenen Anstalt.

Freiheitsentzug

Mit dem Haftantritt geben Menschen ihre zivile Identität und Unabhängigkeit ab. Von nun an bestimmen die Strukturen und Regeln des Gefängnisses ihr Leben: ein strenger Tagesablauf, Türen, die nur andere öffnen und schließen dürfen. Über die Schlüssel verfügen Gefängnisbeamt*innen. Sie haben damit das staatlich legitimierte Gewaltmonopol, aber auch eine Fürsorgepflicht. Im Gefängnis gilt Sicherheit als oberstes Prinzip. Verbote und Tabus bestimmen das soziale Miteinander. Doch in diesem Machtgefüge werden Regeln von allen Beteiligten immer wieder missachtet. Das erzeugt oft zusätzliche psychische und physische Belastungen – neben der eigentlichen Strafe beziehungsweise einem anstrengenden Berufsalltag für die Beamten.

Recht des Stärkeren

lm Alltag prägen Hierarchien und Misstrauen das Miteinander – zwischen den Inhaftierten und in ihrem Verhältnis zum Personal. Wer hart ist, hat das Sagen. Auch das Delikt bestimmt, ob man respektiert wird oder nicht. In jener männlich geprägten Welt sind Aggressionen an der Tagesordnung. Sie werden häufig durch eine Überbelegung der Gefängnisse verstärkt. Trotz ständiger Kontrolle ist der Schutz vor Gewalt oft mangelhaft. Tabuisierte Sexualität Häufig werden Gefängnisse medial als sexualisierte Orte vermittelt. Stattdessen geht es aber um den Verlust von Intimität und um unterdrückte Bedürfnisse. Sexualität findet meist mit sich selbst statt oder heimlich im Besuchsraum und bei den seltenen Langzeitbesuchen. Homosexuelle Handlungen sind bei Männern und Frauen verbreitet. In Männergefängnissen gelten sie aber als unmännlich und sind deshalb verpönt. Vereinzelt dient sexuelle Gewalt der Machtausübung.

Gesundes Gefängnis?

Das Gefängnis lässt Individualität kaum zu. Die Zelle kann den Inhaftierten jedoch auch Raum für Rückzug und Abgrenzung bieten. Hier sehen sie fern, essen, schreiben, beten. Erfindungsreich gestalten sie ihren Alltag im Rahmen der Möglichkeiten. Dennoch bleiben Einsamkeit und kreisende Gedanken. Auch das Zusammenleben mit mehreren Personen in einer Zelle empfinden die meisten Gefangenen als belastend.

Gefängnisalltag

Im Gefängnis scheint die Zeit langsamer zu vergehen: Wiederholungen, Warten und Einsamkeit bestimmen die täglichen Erfahrungen der Inhaftierten. Enge Zellen, ständige Geräuschkulissen und unangenehme Gerüche bedeuten zusätzlichen Stress. Um sich in dieser Umgebung abzulenken und sich in einem begrenzten Rahmen Freiräume zu schaffen, nutzen die Gefangenen verschiedene Methoden. Neben der täglichen Arbeit im Gefängnis sind sie erfinderisch darin, Langeweile und Frustration zu entgehen, um sich lebendig zu fühlen: Die Gestaltung der eigenen Zelle, die Kommunikation mit Außenstehenden oder die Selbstkontrolle über den eigenen Körper helfen dabei, mit dem Entzug der Freiheit besser umgehen zu können.

Fremde vier Wände

Das Gefängnis lässt Individualität kaum zu. Die Zelle kann den Inhaftierten jedoch auch Raum für Rückzug und Abgrenzung bieten. Hier sehen sie fern, essen, schreiben, beten. Erfindungsreich gestalten sie ihren Alltag im Rahmen der Möglichkeiten. Dennoch bleiben Einsamkeit und kreisende Gedanken. Auch das Zusammenleben mit mehreren Personen in einer Zelle empfinden die meisten Gefangenen als belastend. Momente der Beschäftigung Einige Gefangene dürfen in Werkstatten arbeiten und sich schöpferisch oder sportlich betätigen. Das sorgt für einen ruhigen Alltag: Die Gefangenen knüpfen Beziehungen untereinander und es kommen weniger Spannungen auf. Zudem wird so die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitet Manchmal äußert sich die Kreativität außergewöhnlich, etwa wenn gefundene Materialien zu Werkzeugen gemacht werden, um damit den eigenen Körper zu verändern.

Zwischen drinnen und draußen

Der Austausch mit der Außenwelt ist ein wichtiger Anker für Gefangene und ihre Familien. Im Besuchsraum wird die Grenze zwischen innen und außen besonders stark erlebt: Sehnsucht nach Nahe und Vertrauen trifft zuweilen auf Entfremdung und Unverständnis. Neben offiziell erlaubten Briefen, Telefonaten und gelegentlichen Besuchen entwickeln Inhaftierte kreative Methoden der Kontaktaufnahme.

Regelverletzungen

Immer wieder begehren Gefangene auf: etwa durch den Besitz von Gegenständen, die in der Haft verboten sind, durch Graffiti-Tags, Meutereien, Brandstiftungen und Selbstmordversuche. Durch individuellen oder kollektiven Ungehorsam, Sachbeschädigungen im Gefängnis oder Protesthandlungen, die tödlich enden können, versuchen Häftlinge, ihrem Gefangenen-Dasein zu trotzen. Damit wollen sie sich des Gefühls erwehren, von der Gefängnis-Maschinerie verschlungen zu werden. Denn wer Widerstand leistet, existiert! Solche Kämpfe tragen zu einer Atmosphäre ständiger Anspannung bei – auch bei jenen Inhaftierten, die den Strafvollzug als Institution nicht infrage stellen.

Verbotene Gegenstände

Illegale Handlungen umfassen zahlreiche Geschäfte, die Gefangene betreiben: Sie betreffen Rauschgift, Alkohol, Nahrungsmittel, Mobiltelefone, Zigaretten. Unter anderem diese Delikte bestimmen den Alltag und gestalten die Beziehungen zwischen den AkteurInnen im Gefängnis. Meist verschlucken Haftlinge Gegenstande, um einen Arzt aufsuchen zu dürfen. Sie hoffen auf Flucht — denn es ist leichter, aus dem Krankenhaus auszubrechen als aus dem Gefängnis. Doch die Chancen sind gering: Zuerst werden Häftlinge in ihrer Zelle behandelt, danach in der Krankenstation des Gefängnisses. Wenn lnhaftierte in die Notaufnahme eines Krankenhauses gebracht werden, sollen besondere Maßnahmen jeden Fluchtversuch verhindern.

Eingriffe in den eigenen Körper

Gefangene kennen sich durch Verweigerung der Nahrungsaufnahme oder Selbstverletzung Schmerzen zufügen. Solche Handlungen drücken sicherlich Verzweiflung aus, sind aber zugleich Zeichen des Protestes. Durch sie versuchen Verurteilte sich Gehör zu verschaffen. Manchmal wollen sie auch die Öffentlichkeit aufrütteln, etwa durch einen Hungerstreik. Meutereien, Aufstände Ein Großteil der Meutereien entsteht spontan. Sie brechen im Zusammenhang mit extremer Spannung zwischen Bediensteten und Gefangenen aus. Am häufigsten liegen ihnen Forderungen nach würdigeren Haftbedingungen zugrunde. Obwohl sie große mediale Aufmerksamkeit erfahren, kommen Ausbrüche aus dem Gefängnis selten vor. Doch wenn es darum geht, irgendeinen Gegenstand in ein Werkzeug zum Ausbruch zu verwandeln, ist die Fantasie der Häftlinge grenzenlos.

Anders Strafen?

Heute sehen viele Gesellschaften die Haft als wirksamste Strafe an, weil sie ihrem zwingenden Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit entsprechen. Das Gefängnis übernimmt die Rolle der erwarteten Kontrolle und Isolierung von Straffälligen und Kriminellen. Aber Gefangenschaft hat entscheidende Konsequenzen für das Individuum. In manchen traditionellen Gemeinschaften ist Freiheitsentzug zum Beispiel undenkbar. Bestrafung hat dort Wiedergutmachung und die gesellschaftliche Wiedereingliederung des Individuums zum Ziel. Muss der Freiheitsentzug eine unabänderliche Strafform bleiben? Es gibt Gesetze, die Alternativen vorsehen, etwa gemeinnützige Arbeit. Bei stärkerer Beachtung könnten sie andere, positivere Möglichkeiten des Strafens darstellen als das Gefängniswesen.

Alle Ausstellungstexte sind in Einfacher Sprache verfügbar in der App des Deutschen Hygiene-Museums. Download App-Store | Google Play

 

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