Auf verschiedenen Ebenen werden Diskussionen geführt, ob die Ersatzfreiheitsstrafe bei dem Delikt § 265a StGB „Erschleichen von Leistungen“ angemessen ist. Wer ohne Ticket erwischt wird, dem droht überwiegend eine Geldstrafe. Doch auch diese endet für einige in Haft. Denn auch bei Geldstrafen kann die Freiheit durch eine Gefängnisstrafe entzogen werden. Dann nämlich, wenn der Verurteilte die Geldstrafe nicht bezahlen kann, diese „uneinbringlich“ ist und auch nicht durch gemeinnützige Arbeit getilgt werden kann.
Die Ersatzfreiheitsstrafe ist eine Gefängnisstrafe, die geleistet werden muss, wenn eine verhängte Geldstrafe von Betroffenen nicht bezahlt werden kann. Mittellose Menschen werden damit automatisch härter bestraft als Wohlhabende: Sie müssen ins Gefängnis. Durch die Covid-19 Pandemie ist das Gebot der Stunde, die Verbreitung des Virus zu verringern und die Bevölkerung zu schützen – das gilt auch und gerade für die Menschen in den Gefängnissen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (BAG-S) setzt sich deshalb dafür ein, Ersatzfreiheitsstrafen abzuschaffen.
Gefangene im Strafvollzug sind überdurchschnittlich oft von Vorerkrankungen betroffen. Haftanstalten sind sowohl aufgrund der menschlichen Enge als auch aufgrund der medizinischen Unterversorgung Infektionsherde. Allein aufgrund des Infektionsschutzes gilt es, die Gefangenenzahl auf ein Minimum zu reduzieren. Wir fordern deshalb eine Amnestie für alle Gefangenen mit Ersatzfreiheitsstrafen sowie die Amnestie für alle noch offenen Haftbefehle aufgrund einer Ersatzfreiheitsstrafe! In einem ersten Schritt wurden die Ersatzfreiheitsstrafen bereits bundesweit ausgesetzt. Regional wird dies unterschiedlich gehandhabt, in manchen Bundesländern werden nur Neuzugänge mit Ersatzfreiheitsstrafen bzw. Haftstrafen unter 6 Monaten nicht mehr aufgenommen, in manchen Bundesländern werden auch Gefangene mit Ersatzfreiheitsstrafen entlassen.
Bei ca. zehn Prozent der zu einer Geldstrafe Verurteilten wird die Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt. Das bedeutet, dass ca. 50.000 Geldstrafen pro Jahr in eine Ersatzfreiheitsstrafe münden. Dies erscheint bedenklich, da bei diesen Fällen eine Inhaftierung ursprünglich vom Gericht nicht als angemessene Strafe betrachtet wurde. Die auf Konsumverzicht angelegte Strafe (Geldstrafe) wird in eine Kriminalstrafe umgewandelt, die in ihrer Umsetzung und Wahrnehmung einer Freiheitsstrafe entspricht.
Höhe des Tagessatzes oft zu hoch
Nach Erkenntnissen aus Literatur und Praxis trifft die Ersatzfreiheitsstrafe überwiegend arme Menschen, die mit multiplen Problemlagen zu kämpfen haben. Schulden, Sucht und sehr ungeregelte Lebenssituationen bis hin zur Obdachlosigkeit bestimmen ihr Leben. Menschen, die sich den Herausforderungen des Alltags oft nicht mehr gewachsen fühlen und die am äußersten Rand der Gesellschaft stehen. Oft wurde die Behördenpost nicht geöffnet oder konnte nicht zugestellt werden und die Betroffenen können nicht nachvollziehen, ob und warum ihnen nun eine Ersatzfreiheitsstrafe droht.
Falls sie mit Angehörigen zusammenleben, werden diese durch die Ersatzfreiheitsstrafe mitgetroffen. Viele der Betroffenen können die Geldstrafe nicht zahlen, da sie ihren Lebensunterhalt ausschließlich oder aufstockend mit SGB-II-Leistungen finanzieren. Die Höhe des Tagessatzes wurde für sie zu hoch angesetzt. Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe führt zum Ausschluss aus dem Leistungsbezug, denn wer eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt, hält sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung auf und ist unabhängig von gewährten Vollzugslockerungen grundsätzlich von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Da hierunter auch die Kosten für die Unterkunft fallen, droht der/m mittellosen Inhaftierten sogar der Verlust der Wohnung, wenn die Miete nicht aus anderen Mitteln bezahlt werden kann. Falls er/sie einen Arbeitsplatz hatte, droht er/sie ihn durch die Ersatzfreiheitsstrafe zu verlieren. Das Erlöschen des SGB-II-Anspruchs des/der Inhaftierten hat Auswirkungen auf die Bedarfsgemeinschaft: Da nun sein/ihr Mietanteil fehlt, sehen auch die mit ihm/ihr in einer Wohnung lebenden Angehörigen sich mit Mietschulden und drohendem Wohnungsverlust konfrontiert. Aber nicht nur für die einzelnen Betroffenen und ihre Angehörigen hat die Ersatzfreiheitsstrafe erhebliche Folgekosten. Je nach Bundesland belaufen sich die Ausgaben für einen Tag in Haft auf zwischen 102,04 Euro und 185,42 Euro. Bei durchschnittlich fünf bis 30 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe kommen jährlich mindestens 2 Mrd. Euro an Kosten nur für die Inhaftierung zustande.
Internationaler Vergleich
Nicht alle Länder setzen auf die Ersatzfreiheitsstrafe, wenn es darum geht, auf eine unbezahlte Geldstrafe zu reagieren. Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland bei der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen eine Spitzenposition ein. In Dänemark oder Schweden ist die Ersatzfreiheitsstrafe faktisch abgeschafft. So muss in Schweden beispielsweise ein eindeutiger Nachweis über die Zahlungsunwilligkeit des Verurteilten vorliegen, um eine Ersatzfreiheitsstrafe anzuordnen, was zu einer sehr niedrigen Quote an Ersatzfreiheitsstrafen führt.
In Italien wurde die Ersatzfreiheitsstrafe für verfassungswidrig erklärt und durch gemeinnützige Arbeit, kontrollierte Freiheit sowie Halbgefangenschaft ersetzt. Andere Länder, wie beispielsweise Georgien, beschränken sich bei der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe auf die Möglichkeiten der Zwangsvollstreckung. Dieser Blick über den Tellerrand zeigt, dass alternative Möglichkeiten existieren, die deutlich unterhalb der Schwelle eines Freiheitsentzugs liegen, auf eine nicht beglichene Geldstrafe zu reagieren. Betrachtet werden müsste allerdings auch, wie sich in einigen dieser Länder die Anzahl der verhängten Freiheitsstrafen zu den Geld-strafen verhält und ob in diesen Ländern eher auf die Freiheitsstrafe zurückgegriffen wird, wenn es vorab absehbar war, dass eine Geldstrafe nicht getilgt werden kann.