Der ehemalige Gefängnisseelsorger, Hans-Gerd Paus, von der JVA Geldern am Niederrhein, ist zurzeit in Kroatien unterwegs. Nicht im Urlaub, sondern er geht zu Fuß auf der Ost-West Strecke von Istanbul bis ins spanische Kap Finisterre. Auf diesem Weg kommen ihm große Gedanken. Oft wird er auf seinem Pilgerweg gefragt, wie ihm die Länder, die er durchquert gefallen. Die Antwort darauf ist nicht so einfach.
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Er kochte sich gerade Nudeln, während ich schon mein Geschirr spülte. “Und, wie findest Du die Türkei?” Shan stellte mir gestern Abend plötzlich diese Frage. Er ist Türke und hielt sich mit mir in der Küche des Hostels im kroatischen Pula in Istrien auf. Vorangegangen war das Gespräch über unser beider Reisen. “Und, wie findest du die Türkei?” Das ist dünnes Eis für mich. Am liebsten antwortete ich, es sei mit Google Maps kein Problem. Aber die Frage ist voller stolzer Gefühle gestellt, sie ist rein rhetorisch. Wehe, ich überhöre das.
Nicht verletzend sein
In Albanien ist mir das passiert, da wurde ich auf der Straße angesprochen, wie mir denn Albanien gefiele. Meine Antwort sollte sein: gar nicht, viel zu viel Müll in jeder Ecke des Landes, das ohne diese wilden Kippen wunderschön sein könnte. So weit kam ich aber gar nicht, kaum hatte ich das “gar nicht” ausgesprochen, winkte mein Gesprächspartner ab, verletzt in seinem Nationalstolz. Der Versuch, es ihm zu erklären, war unmöglich, längst hatte er sich einem anderen zugewandt. Shan war mir sympathisch, wollte ihn nicht verletzen, und zumindest bei einer Teilwahrheit bleiben, so sprach ich von ‘netten Menschen’, von Istanbul, seiner Heimatstadt, als ‘faszinierende Metropole’. Er war zufrieden und unser Gespräch verlief weiter harmonisch.
Schwarz-Rot-Gold
Die Frage wurde mir schon hundertfach gestellt, auch in Griechenland, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Kroatien. Ich frage mich, wie sich bei all diesen Menschen ein solcher Nationalstolz entwickeln kann. In Deutschland sind wir nicht ungezwungen. Klar, unsere Geschichte spielt eine Rolle, die wie ein nationales Trauma auch in heutigen Generationen nachwirkt. Und schon entwickelt sich Vater- oder Mutterlandsliebe zum Verdachtsfall. Die Deutsche Flagge wird von den einen mit Stolz gezeigt und viele vermuten bei diesen eine rechte Gesinnung. Die anderen kämen nicht auf die Idee, die Flagge zu hissen und ihnen unterstellen die anderen, das eigene Land nicht zu lieben. Wir sind da sehr kompliziert gestrickt. Diese Frage stelle ich mir selber: Liebe ich Deutschland? Gerade jetzt ist sie akut, nachdem ich schon viele andere Länder und deren Menschen kennengelernt habe.
In all diesen Überlegungen, die immer wieder hochkommen, fiel mir im Internet ein Gedicht von Daniel Walczak in die Augenhöhle. Er betreibt die Instagram-Seite der.germanist
Hans-Gerd Paus
Wenn ich durch fremde Gassen geh’
in Rom oder Paris,
ganz plötzlich tut mein Herze weh,
im schönsten Paradies.
Und dann, ganz arg, vermisse ich
das Land, aus dem ich komm.
Und ist es noch so ärgerlich,
und dumm auch, steng genomm’.
Schon Heine musste seinerzeit
ein Wort dazu verlieren,
über den deutschen Patriot
mit all seinen Geschwüren.
Und immer noch, da wird bejaht:
der Patriot sei schlecht.
Zu lieben seinen Heimatstaat,
dazu besteht kein Recht.
Was habe man geleistet schon,
geboren hier zu sein?
Der Stolz darauf sei gar ein Hohn,
so spür’ ihn nur geheim!
Doch würdest du nicht stolz auch sein
auf einen guten Freund,
wenn er Erfolge brächte heim,
von den’ er lang geträumt?
Wo bleibt die Eigenleistung da,
wo bleibet dein Verdienst?
Wie kannst du Stolz empfinden, ja,
du kaum beschäftigt schienst.
So ist es mit dem Vaterland,
wenn einer stolz drauf ist,
dann meint er nicht sich selbst damit, wenn er die Flagge hisst.
Nein, er ist stolz auf jenes,
was sein Lande hat erreicht.
In deutschem Falle wäre das,
dass jeder Mensch ist gleich.
Denn dafür stehen schwarz-rot-gold,
dafür steht dieses Land.
Dass niemand werden kann verfolgt,
und kein Buch wird verbrannt.
Für Einigkeit und Rechtsystem,
in höchster Dimension.
die Freiheit namens Wählen geh’n,
und die der Religion.
Drum staune ich, wenn manche Kraft
die Flagge für sich nutzt.
Wer uns zurückwünscht, in der Zeit,
sie letztendlich beschmutzt.
Für Vielfalt und für Offenheit
steht uns’re Flagge heut’
Gewarnt sei der, der sie entweiht
und sich an Angst erfreut.
Mich versöhnen diese Zeilen.
Dank an Daniel Walczak