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Musik ist ein Mittel gegen Isolation, Gewalt und Leid

17. Juni 2023

Stefanie Stampe aus Hamburg hat als zweifache Mutter, ehemalige Betriebsleiterin im Männervollzug, Pädagogin und Leitung in einer sozialpsychiatrischen Pflegeambulanz ihre Leidenschaft für Musik in Verbindung mit dem Strafvollzug gebracht. Sie studiert dazu berufsbegleitend an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Als Masterstudentin angewandter Familienwissenschaften ist sie ein gutes Beispiel dafür, dass man weiter dazulernen kann.

Stampe reist von Hamburg nach Hünfeld, um den im Bistum Fulda tätigen Gefängnisseelsorger Meins Coetsier für ein fachliches Gespräch zum Thema Musik, Strafvollzug und Seelsorge zu treffen. Sie argumentiert in ihren Arbeiten, dass Musikangebote im Haftalltag des 21. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung gewinnen, da sie bei den Resozialisierungsprozessen oder einer Neusozialisation sowohl im familiären als auch gesellschaftlichen Kontext eine wichtige Rolle spielen können. Die Justizvollzugsanstalten in Hünfeld und Fulda, die in Zusammenarbeit mit „Theater hinter Gittern“, der „Förderung der Bewährungshilfe in Hessen“ und der katholischen und evangelischen Gefängnisseelsorge Musikalisches unternehmen, sind ihr in der Recherchearbeit an der HAW Hamburg dabei als originell und positiv aufgefallen.

Gitarrenunterricht in der Justizvollzugsanstalt.

Musik als Mittel gegen Isolation

Im Kontext zur Gefahr einer Zunahme sozialer Isolation bei bestimmten gesellschaftlichen Gruppen, von welcher besonders die Familienangehörigen von Inhaftierten betroffen sind, steht die Sorge um das straffällig gewordene Familienmitglied, sowie Scham und die Angst vor Stigmatisierung der gesamten Familie im Vordergrund. „Dies wirkt sich auf die Psyche aller aus und hat direkte negativen Folgen für die physische und mentale Gesundheit“, meint Stampe. Während für die Angehörigen „draußen“ das Leben dennoch irgendwie weitergeht, sind straffällig gewordene Menschen vom Tag der Inhaftierung an, von ihrer bisherigen sozialen Rolle abgeschnitten.

In Studienarbeiten zeigt sie, dass bei Rückzug sowie Einsamkeit bis hin zu Depressionen die Folgen sind, was sich auf das soziale Verhalten unter Gefangenen auswirkt. Dies wiederum kann trotz aller Sicherheitsstandards innerhalb der Anstalten zu neuer Kriminalität und Gewalt führen. „Ein Mittel gegen Isolation, Gewalt und Leid“, so schreibt sie, „ist Musik.“ Einfach, weil diese „die Menschen öffnet und auszudrücken vermag, was Worte nicht können.“ Die Forscherin betont: „Und dies über kulturelle und sprachliche Barrieren, sowie über Musikgenres hinweg. Obwohl schon seit mehr als 100 Jahren, besonders im amerikanischen Strafvollzug musiziert wird (z.B. Johnny Cash, B.B. King oder Frank Sinatra), ist dieses Forschungsgebiet in Deutschland weitestgehend vernachlässigt.“

Musik als gemeinsame Menschlichkeit

Stefanie Stampe möchte in ihrem Studium Erkenntnisse gewinnen, wie Musik inhaftierte Menschen dabei unterstützen kann, die Zeit in der Haft zu überstehen, persönlich und sozial zu wachsen, von zukünftigen kriminellen Handlungen Abstand zu nehmen und gemeinsame Menschlichkeit zu lernen, um sich so wieder in die Familie und in die Gesellschaft eingliedern zu können. Ein Thema, dem sich auch die Gefängnisseelsorger der Justizvollzugsanstalten Fulda und Hünfeld seit Jahren mit Engagement und Hingabe widmet. Die Hamburger Forscherin weiß aus ihren eigenen Erfahrung im Strafvollzug, dass „die Inhaftierten mit Musik das Leben, die Freude sowie durch eigenes Musizieren ihre Würde wieder empfinden können.“ Diese Möglichkeit, sich durch Musik wieder als Individuum und Teil einer Gemeinschaft zu erfahren, „erreicht die Inhaftierten auf emotionaler Ebene und verdeutlicht für diese fühlbar die Bedeutung, nach der Haftentlassung ein gesellschaftlich akzeptiertes Leben in Freiheit anzustreben“, so die Studentin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Mit ihren abschließenden Studienarbeiten an der HAW Hamburg strebt Stampe danach, dass dem Themenkomplex „Musik im Strafvollzug“ und seinem Potential für die Gefangenen von Heute, aber auch für deren Familien und die weitere Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit und Engagement zugemessen wird: „Das legendäre Konzert von Johnny Cash, am 13. Januar 1968, im Kalifornischen Staatsgefängnis Folsom Prison, ist den Menschen mittlerweile weltweit ein Begriff, warum hier nicht einfach anknüpfen?“, meint die 53-jährige Studentin.

 

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