Sie wird als Prostituierte und als Sünderin bezeichnet und so den Schablonen männlicher Denkvorstellungen passend gemacht. Die Bibel aber hält sich an keine Schablonen, sie erzählt, dass Maria von Magdala die erste Zeugin der Auferstehung Jesu war, dass sie voller Würde mit dem Öl der Salbung unterwegs war und in Verbundenheit mit dem getöteten Messias am leeren Grab blieb, während die Männer aufgeregt hin und herliefen. Und dass sie die war, die die erlösende Botschaft, das Evangelium zu den anderen brachte.
Wenn wir ihr schon einen Titel geben wollen, dann muss es der der Apostolin sein. Aber womöglich wäre ihr ein Titel zu starr, war sie doch voller Bewegung, voll der Kunde: lebt befreit euer Leben, es gilt über den Tod hinaus! Und das, seit sie aufgab, sich zurückzuwenden, sich bannen zu lassen vom Grab des Vergangenen und aufsah im Klang ihres Namens. „Maria“ hörte sie eine Stimme rufen – sie antwortete „Rabbuni“, mein Lehrer.
In ihr Hoffnung geweckt
Was ist in diesem Moment geschehen? Aufmerksam geworden auf diesen Rabbi Jesus aus Nazareth war sie ihm gefolgt. Nein, er hatte ihr keine Hoffnung gemacht; Hoffnung kann man nicht machen, weder in sich selbst noch in anderen. Hoffnung kann nur geweckt werden, denn sie ist ja bereits in uns, oft längst verschüttet von Enttäuschungen, vom Scheitern, aber auch von unseren Erwartungen und Ansprüchen ans Leben. Die Hoffnung lauert sozusagen trotzdem in uns, tief in der Seele, und das, seit wir ins Leben geworfen wurden. Es ist die Hoffnung, aufgehoben zu sein, unbedingt, und geliebt zu sein, auch unbedingt, komme, was wolle. Jesus hatte in Maria diese Hoffnung geweckt, ein für alle Mal.
Sie hatte Zeit Lebens viel zu hören bekommen: wem sie gehorchen müsse, welche Rolle sie einnehmen müsse in Religion und Gesellschaft, was da von ihr erwartet wird, wie sie sich kleidet und was sie nicht betreten darf. So viel, dass sie vor lauter Zurechtweisungen den Klang ihres eigenen Namens kaum mehr hören konnte. Fast hatte sie sich daran gewöhnt, als sei es das, wie frau eben zu sein hat. Dann begegnete sie Jesus und erlebte, wie er Menschen voller Respekt und Würde ansah, wie er ihnen sagte: „dein Glaube hat dir geholfen“, das hat viele aufgerichtet und geheilt. Sie nahm wahr, dass es möglich ist, die unheilvollen Stellen anzusehen und das Aussätzigsein anzurühren, um heil zu werden. Da war ein Lehrer, der nicht belehrte und moralisch verurteilte, sondern ermutigte, das endlich vorkommen zu lassen, was schon da ist: die Liebe.
Maria Magdalena lebt auf
Dann aber musste sie erleben, wie dieser Lehrer menschlicher Weisheit angeprangert, verurteilt und getötet wurde. Alles brach zusammen. Respekt, Würdigung, Mitgefühl, Gewaltlosigkeit, all das, was Jesus lebte, schien plötzlich hilflos und ohnmächtig. Gier, politische wie religiöse Machthaberei, Herrschaft und Unterdrückung schienen unendlich stärker zu sein. Jesus wurde beseitigt im Spiel um die Macht. Sie aber, Maria von Magdala, glaubte nicht daran, dass die Herrschenden Recht bekommen. Zu tief war sie angerührt, nie wieder würde sie sich solchen Mächten unterwerfen. Die Hoffnung in ihr war zur Zuversicht geworden. So ging sie hin zum Grab mit dem Öl zu salben den Leichnam.
Von der Hilflosigkeit der Jünger Jesu ließ sie sich nicht aufhalten. Sie wollte da sein, präsent sein, so beugte sie sich mutig in das Dunkel des Grabes. Dann klang ihr Name „Maria“ wie tief aus dem Herzen. Plötzlich wurde ihr gewahr: lebe auf! Und sie lebte auf, sang und tanzte und erzählte das Evangelium der Auferstehung. Nichts konnte sie stoppen. Und nichts kann sie stoppen. Keine Gewalt, kein Hass, keiner der selbsternannten Herrscher der Welt können die Stimme der Auferstehung verstummen lassen. Nicht das Recht des Stärkeren siegt, sondern die Liebe der Gewaltlosen.
Christoph Kunz | Johannes 20, 1–18
Wild Women im Gefängnishof
Im Gefängnishof des Burgklosters in Lübeck steht unscheinbar eine Frauenfigur aus Bronze und schaut in den Baum, der vor ihr steht. Diese Statue erinnert sowohl an die Zeit, in der das Burgkloster ein Kulturforum der zeitgenössischen Kunst war, als auch an die Geschichte des Burgklosters als Gefängnis – und schließlich an den ursprünglichen Namen des Klosters im Norden der Altstadtinsel. Geschaffen hat sie die amerikanische Künstlerin Kiki Smith. Sie verweist mit ihrer Skulptur auf eine wenig bekannte Geschichte aus der Legende der Maria Magdalena.
Im Mittelalter wurde über die aus der Bibel bekannte Maria Magdalena eine spätere Geschichte erzählt: Sie sei nach der Auferstehung Jesu in die Wüste gegangen und büßte dort. Die zeitgenössische Künstlerin Kiki Smith lässt diese Zeit in der Wildnis durch ein Haarkleid deutlich werden, das der Frau gewachsen ist. Die Skulptur als Leihgabe der Possehl-Stiftung steht nicht zufällig an diesem Ort: Das im Volksmund so genannte Burgkloster war ursprünglich Maria Magdalena geweiht worden. Auch wenn es nicht unbedingt in der Figur angelegt ist, kann man den angeketteten Fußring der Maria Magdalena als Verweis auf das Gerichtsgebäude und Gefängnis sehen, das über Jahrzehnte hinweg im Burgkloster angesiedelt war.