Auch Strafgefangene haben Kinder. Die Belastungen für die Eltern und ihre etwa 100.000 Kinder in Deutschland sind enorm. Haftbesuche sind oft eine Qual, denn Sicherheit ist oberstes Gebot. Ehrenamtliche bemühen sich um kinderfreundliche Angebote. Egon* kann keine Sonne mehr malen. Das Bild, das der Dreijährige seiner Mutter Nina A.* ins Gefängnis geschickt hat, entsetzt sie. “Das da soll eine Sonne sein, aber sie ist nicht zu erkennen”, sagt seine Mutter, während sie auf das Bild zeigt.
Bevor die 34-Jährige eingesperrt wurde, konnte ihr Sohn schöne Sonnenbilder malen. Überhaupt habe sich ihr Kind sehr verändert, meint die Frau, die seit Herbst 2018 wegen Internetbetrugs in der Würzburger Justizvollzugsanstalt (JVA) sitzt. Nina A. ist eine von 80 Frauen, die in Würzburg eine Strafe verbüßen. Etwa jede zweite, schätzt Gefängnisdirektor Robert Hutter, hat Kinder. Von den 500 männlichen Gefangenen ist ungefähr jeder dritte Vater. Deutschlandweit, sagt Doris Schäfer von der Würzburger Gefängnisseelsorge, haben 100.000 Kinder einen Elternteil, der inhaftiert ist. Die Haft so zu gestalten, dass die Kinder nicht allzu sehr leiden, bedeutet eine Herausforderung. Im Gefängnis spielen Sicherheitsaspekte die vorrangige Rolle. Deshalb ist der Besuch streng geregelt. Auf Kinderfreundlichkeit wird kaum geachtet.
Eine Qual für alle Beteiligten
Ob sie sich diesmal benehmen? Diese Frage geht Nina A. jedes Mal durch den Kopf, wenn ihre Kinder zu Besuch kommen. Egon und seine einjährige Schwester Elena* leben in einer Pflegefamilie. Nina A. sehnt sich danach, ihre Kinder zu sehen. Doch die Stunde im Besuchsraum kostet sie Nerven. “Egon ist immer total aufgedreht, so kenne ich mein Kind nicht”, sagt sie. Ständig muss sie den Jungen ermahnen stillzusitzen. Immer wieder kommt ein Beamter auf sie zu und sagt: “Würden Sie bitte auf Ihre Kinder achten.” Nichts darf mitgebracht werden. Kein kleines Spielzeug. Kein Malbuch. “Auch während des Besuchs gibt es weder Papier noch Stifte für die Kinder”, bedauert Nina A.. Sicherheitsaspekte werden ins Feld geführt, sagt Pfarrerin Astrid Zeilinger von der Gefängnisseelsorge. Es könnte ja sein, dass sich die Erwachsenen damit geheime Botschaften übermitteln. Ganz nachvollziehbar findet Zeilinger das nicht. Auch sie sieht, dass manche Kinderbesuche eine Qual für alle Beteiligten sind: “Generell besteht gravierender Handlungsbedarf, was die Kinderorientierung im Justizvollzug betrifft.”
Familienarbeit innerhalb und außerhalb von Haftanstalten
Immerhin tut sich allmählich etwas, berichtet Anja Seick vom Projekt “auf Gefangen” des Vereins “Freie Hilfe Berlin“, der Familienarbeit innerhalb und außerhalb von Haftanstalten leistet. So wurde 2018 ein bundesweites Netzwerk “Kinder von Inhaftierten” gegründet: “Das widmet sich den Bedürfnissen der Kinder und sensibilisiert für ihre Belange.” Die “Freie Hilfe Berlin” richtete inzwischen in drei Berliner Haftanstalten familienorientierte Angebote ein, unter anderem eine Vater-Kind-Gruppe in der JVA Moabit. Bei den monatlichen Treffen essen, basteln und spielen die Väter mit ihren Kindern. Extrem belastend gerade für Mütter ist es, wenn sie wissen, dass es ihrem Kind nicht gutgeht. Die kleine Elena zum Beispiel laboriert gerade an entzündeten Mandeln. “Sie hat 41 Grad Fieber”, erfuhr Nina A.. Das bedrückt sie: “Ich denke ununterbrochen an sie und muss dauernd heulen.” Auch Doris Schäfer findet die Situation schlimm. Überhaupt würde sich die Pastoralreferentin wünschen, dass inhaftierten Eltern mit kleinen Kindern erlaubt würde, abends kurz zu Hause anzurufen.
“Mein Sohn denkt, das hier wäre eine Spielzeugfabrik”
Warum ihre Mama seit Herbst nicht mehr da ist, ist den Kindern von Nina A. nicht ganz klar. “Mein Sohn denkt, das hier wäre eine Spielzeugfabrik”, erzählt die Gefangene. Egon hatte das für sich selbst so zurechtgelegt, nachdem er seine Mama einmal gefragt hat, was sie denn hier macht: “Ich berichtete ihm, dass ich in einer Abteilung beschäftigt bin, wo Spielzeug zusammengebaut wird.” Vielen Kindern werde von ihren Eltern nicht die Wahrheit aufgetischt, sagt Teresa Siefer, die das Kinderschutz-Zentrum Lübeck leitet. Oft heißt es, der Vater sei auf Montage, er sei zur Kur oder mache einen Lehrgang. Stellt sich das bei einem Beratungsgespräch heraus, interveniert das Team des Kinderschutz-Zentrums. “Uns geht es immer darum, Kindern gegenüber die Wahrheit nicht zu verdrehen”, sagt Siefer. Geschehe dies, verlören sie das Vertrauen in Erwachsene.
epd sozial (Ausgabe 23/2019 – 07.06.2019)
* Name geändert