Da waren die Mauern mal kurz durchbrochen: Die erste Taufe in der Justizvollzugsanstalt Hamm sorgte für Momente der Rührung – nicht nur bei Eltern und Angehörigen. „Ein unfassbarer Wahnsinnssaugenblick.“ Tränen der Rührung und Freude, Umarmungen und das Geschenk göttlicher Liebe: Hochzeiten sind in der Justizvollzuganstalt Hamm immer mal wieder gefeiert worden, das Sakrament der Taufe hatte dort bisher aber noch niemand empfangen.
Worte seien zu klein für das, was gerade geschehen war: So empfanden die Eltern Christina und Alan die Taufe ihrer drei Monate alten Tochter Annabelle hinter den dicken Mauern der JVA. Ihr junges Familienglück zu dritt steht von Beginn an vor einer harten Probe. Weil nach Vater Alan in Polen mit internationalem Haftbefehl gefahndet wurde und die Handschellen schließlich in Deutschland zuschnappten, wartet er seit dem 4. Februar in der Hamm JVA auf seine Auslieferung. Zuhause irgendwo in NRW: Seine Lebenspartnerin Christina und Tochter Annabelle.

Taufe JVA Hamm: Eltern, Täufling, Großmutter, Paten und Pfarrer Joachim Schwarzmüller. Foto: Kathrin Bennemann.
So feierlich es eben geht
Es ist Mittagszeit, 12.30 Uhr: Nichtsahnend sitzt der Inhaftierte in dem kleinen Raum im Stuhlkreis, vor ihm auf einem runden Tisch eine silberne Karaffe. Dass sie vorgewärmtes Taufwasser enthält, weiß er nicht. Dazu eine silberne Schale für die Zeremonie, ein kleines Blumengesteck und die Osterkerze im Hintergrund. Alan selbst trägt Anstaltsjeans, Hemd und ein blaues Jackett.
Gänsehautmoment dann, als Mutter und Kind den Raum betreten. Bei der Umarmung fließen Tränen, die Zeit scheint stillzustehen in diesem Moment. Alans Mutter ist aus Polen gekommen, die Taufpaten begleiten die Familie. JVA-Leiterin Andrea Bögge und der katholische Anstaltsseelsorger, Jürgen Wiesner, haben dieses besondere Zusammentreffen möglich gemacht, das Personal hat für den feierlichen Rahmen gesorgt – so feierlich und würdevoll, das hier möglich ist. Mitgebracht hat die Tauffamilie Pfarrer Joachim Schwarzmüller von der katholischen St. Johann Baptist-Kirche in Krefeld. Das hatten sie sich gewünscht. Schwarzmüller kennt aus langjährigen Projekten in seiner Kirche die Sorgen von Menschen in Lebenskrisen und an den Randlagen der Gesellschaft. Eigentlich hätten sie ihre Tochter gerne im Rahmen eines Gottesdienstes taufen lassen, doch das ist jetzt nicht möglich. Es sei ein großes Geschenk, dass die Taufe nun in der JVA stattfinden könne, sagen die Eltern anschließend.
„Ein unfassbarer Wahnsinnssaugenblick“
Nach dem „Gegrüßet seist du, Maria“, das auf Deutsch und auf Polnisch gesprochen wird, findet Schwarzmüller mit seiner ruhigen Stimme einfühlsame und berührende Worte. „Knast, Ängste und Sorgen“ bestimmten derzeit das Leben der jungen Familie. Umso mehr setze er alles Vertrauen in Gott; das Herz Jesu öffne sich nun besonders weit und das Geschenk göttlicher Liebe gehe auf den Täufling über. Schwarzmüller: „Ein unfassbarer Wahnsinnsaugenblick.“ Dann der feierliche Moment: Der Geistliche tauft die kleine Annabelle, und für den Augenblick scheinen die Gefängnismauern in Vergessenheit zu geraten. Als Zeichen für die Zugehörigkeit zu Christus und zur Gemeinschaft der Kirche salbt der Geistliche den Täufling mit Chrisam. Die kleine Taufgemeinde erteilt dem Bösen die Absage (Schwarzmüller: „Ihr habt Erfahrungen genug“).
Mutter sieht Sohn nach zwei Jahren
Und die Hauptperson? Die kleine Annabelle nimmt alles ganz gelassen und ruhig, meldet sich zwischendurch mal kurz zu Wort, wenn sie vom einen lieber in den anderen Arm möchte. Abwechselnd wird sie gehalten von ihren Eltern. Nach der Zeremonie bleibt noch etwas gemeinsame Zeit. Es gibt Streuselkuchen und Mandelkuchen vom Blech. Alan und Christina halten sich bei der Hand. „Das hätte ich nie für möglich gehalten“, sind die Worte, die Allan am Ende doch noch findet. „Ich spüre sehr große Freude im Herzen.“ Das gilt auch für seine Mutter, die ihn zum ersten Mal seit zwei Jahren und ihre Enkelin zum ersten Mal überhaupt sieht. Ob sich nun noch der Wunsch nach Haftverbüßung in Deutschland erfüllt und sich die Familie zumindest auf diese Weise näher sein kann, liegt in den Händen anderer.
Frank Osiewacz | Mit freundlicher Genehmigung: Westfälischer Anzeiger