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Sehnen sich alle nach Heilung? Lebensbrüche und Abgründe

8. Januar 2023

Auf der Eingangstür zur Kathedrale St. Sebastian in Magdeburg gibt es einen kleinen Bronzeengel zu sehen, nah dem Türgriff erscheint er dem Besucher zugeneigt. Einmal sah ich, dass ihm jemand ein paar Rosen zwischen die Arme geschoben hat, als wolle er jeden ankommenden Menschen mit blühenden Rosen begrüßen. Da tauchte in mir der Traum auf von einer Kirche, in der jede und jeder schon zur Begrüßung gesagt bekommt: wie schön, dass es dich gibt, hier bist du willkommen!

Eine Einladung ohne jegliche Vorbedingung, in der alle Menschen gleich wichtig sind. Wo immer du auch herkommst, welche Nation du hast, ob du Frau bist oder Mann oder auch gar nicht festgelegt in eine Geschlechterrolle, ob du allein bist, verheiratet, vielleicht auch schon zum zweiten Mal, oder in sonst wie bunter Partnerschaft lebst, ob du jung bist oder alt oder irgendwo dazwischen, ob du erfolgreich bist oder gescheitert, ob du singen kannst oder nicht, gern erzählst oder die Stille liebst, ob du gescheit bist oder verrückt, ob du nur mal kurz hereinschauen willst, oder was zum Bleiben suchst – stets bist du willkommen. Einfach weil du ein Mensch bist, und Gott selbst ja Mensch geworden ist. Deswegen ist mit dem Menschen immer mehr anzufangen, als zu ahnen ist.

Von vornherein ein „subido santo“

Natürlich ist dies nur ein Traum von einer Kirche, in der die Überzeugung lebt, dass jede und jeder schon die Zusage Gottes in sich trägt, jenes Licht, das, wenn auch womöglich gerade verdunkelt, doch da ist und nur neu aufleuchten möchte. Wo die Erlaubnis zu sein das Wichtigste ist. Es gäbe kein Verurteilen mehr, weder sich selbst gegenüber noch dem anderen. Versöhnung wäre kein Bußgang durch die versteckte Dunkelheit hinter Beichtgittern, sondern würde leibhaftig erfahren im einander Entgegenkommen und Umarmen. Dankbarkeit müsste nicht von Experten zelebriert werden, sondern würde einfach so aus der Tiefe des Herzens jedes Menschen entstehen. Nicht mehr nur jene würden heiliggesprochen, die möglichst weit weg waren vom Leben und jetzt ganz tot, im Gegenteil: es gelte schon von vornherein ein „subito santo“ für alle ziemlich lebendigen Menschen, die sich aufgemacht haben mit dem Mut, Friedfertigkeit und Wertschätzung immer neu zu entfachen. Katholisch sein würde wieder Vielfalt bedeuten im sowohl als auch. Keiner müsste sich mehr verstecken oder in die Knie gehen, weil er Fehler gemacht hat, Freude wie Leid wären integriert und würden gemeinsam getragen. Noch nicht einmal vor dem Tod müssten die Menschen mehr Angst haben, wüssten sie sich doch gut aufgehoben vorher wie nachher. Ja, alles nur ein Traum.

Geträumt seit langer Zeit

Allerdings: lese ich im Matthäusevangelium, was bei der Taufe Jesu geschah, und dass der schließlich seine Leute aussandte, alle Menschen zu taufen, also alle teilhaben zu lassen an dieser seiner Erfahrung, dann scheint mir, der Traum ist nicht nur einer, der mir mal kam, vielmehr wird er geträumt seit langer Zeit, immer wieder von vielen Menschen – und noch mehr: es ist womöglich der Traum Gottes selbst. Denn damals am Jordan hatte sich Jesus eingereiht in die lange Reihe der Menschen, die vom Täufer Johannes durch die Taufe von ihrer Schuld befreit werden wollten. Er war einer von ihnen. Für ihn war klar: alle leben dieses Leben mit seinen Brüchen und Abgründen, und alle sehnen sich nach Heilung. Gemeinsam mit allen anderen, mit allen Widerfahrnissen, Begrenzungen und Bedingtheiten ist er eingetaucht in die Wasser des Jordan – und da, als er und mit ihm all die anderen ganz unten in den menschlichen Niederungen waren, da öffnete sich über ihnen der Himmel, so das Evangelium, und Gott sagte: Du bist mein geliebter Sohn, du ist meine geliebte Tochter, an dir habe ich Gefallen gefunden! Wenn Gott ihn doch selbst träumt, diesen Traum, dann kann er gar nicht anders, als wahr zu werden!

Christoph Kunz | Magdeburg

 

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