Die Laudatio zur Verleihung des Gottesdienstpreises im Jahr 2024 durch die Karl Bernhard Ritter Stiftung zur Förderung des Gottesdienstes geht erneut an die evangelische Seelsorgerin Henrike Schmidt im Justizvollzugskrankenhaus (JVK) im baden-württembergischen Hohenasperg bei Ludwigsburg. Der Gottesdienstpreis hat gottesdienstliche Feiern hinter den Mauern in den Blick genommen.
Gefängnisseelsorge rückt in den Blick
Justizvollzugsanstalten sind eine geschlossene und verschlossene Welt: Umgeben von Mauern und Stacheldraht, umgeben von einem Gemisch aus Neugierde und Schauder. Man macht sich Bilder, insbesondere aus dem, was man aus Dokumentationsfilmen erfährt; doch eigentlich sind „die drinnen“ und „wir draußen“. Der Jury gebührt Dank für den Mut, die Welt hinter den Mauern sichtbar zu machen, besonders durch die Ausschreibung und die Prämierung aus dem Bereich der Gottesdienstfeiern im Gefängnis. Dadurch rückt die Gefängnisseelsorge in den Blick. Sowohl in unserer Gesellschaft, als auch in unseren Kirchen ist der Strafvollzug ein Phänomen nur am Rande – zu Unrecht wie ich meine. Den prämierten Gottesdienst hat Henrike Schmidt noch im Justizvollzugskrankenhaus (JVK) Hohenasperg gefeiert. In den baden-württembergischen Gefängnissen bekannt und berüchtigt: „Jetzt gohts uf de Aschperg!“, so heißt es. Im März 2024 ist Schmidt in die JVA Rottenburg gewechselt. Die Gefängnisseelsorgerin hat sich in 14 Jahren in drei Gefängnissen in Württemberg eine breite Erfahrung in allen Vollzugsformen angeeignet.
Hellwach und klar
„In der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland hast Du als Preisträgerin eine Tätigkeit in der Weiterbildung übernommen: Seit diesem Jahr bist du Teil des dreiköpfigen Leitungsteams im Basiskurs. Hier hast du Verantwortung übernommen für die Grundausbildung in der Gefängnisseelsorge, für die die Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland verantwortlich ist. Viele Jahre hast du Baden-Württemberg als Beirätin vertreten“ sagt Igor Lindner von der JVA Offenburg und Vorsitzender der Evangelischen Konferenz. „Als Kollegin habe ich Dich hellwach, klar und engagiert in Deinen Positionen wahrgenommen. Als Predigerin und Liturgin hingegen habe ich dich bisher nicht kennengelernt. Denn es befinden sich nicht nur die Inhaftierten einer Anstalt, sondern auch deren Mitarbeiterschaft und damit auch die Seelsorgenden hinter Schloss und Riegel.
Gute „Gottesdienst-Quote“ im Knast
Freiheitsentzug als die schärfste Sanktion, die der Staat ausübt, impliziert in einem demokratischen Rechtsstaat eben die Präsenz von Gefängnisseelsorge als Ausdruck der freien Ausübung von Religion. Von 180 Inhaftierten kommen etwa 40 bis 50 in den sonntäglichen Gottesdienst.. „Ich kann Ihnen, auch ohne Rücksprache mit Pfarrerin Schmidt versichern, dass diese Quote in Gefängnissen keine Seltenheit ist. Doch dazu kommt freilich, dass Deine Gottesdienste nicht ohne Grund gut besucht sind und den Grund können wir an deiner Präsentation erkennen: Der Buchtitel des niederländischen Theologen van der Geest trifft es: Du hast mich angesprochen. Theologisch und praktisch hast du zusammen mit einem Vorbereitungsteam gemeinsam vorbereitet. Vergib uns unsere Schuld- diese Bitte des Vater-Unsers war das vierte Thema in einer Fünfer-Gottesdienstreihe“, sagt Lindner in seiner Laudatio. Der Gottesdienst selbst sei ein Gesamtkunstwerk. Schmidt betont, es gehe um eine zwei Realitäten, ein doppeltes Thema: Schuld und Vergebung. Vergebung und Schuld. „Sehr gelungen finde ich die Korrespondenz, das Hin und Her beider Wirklichkeiten: Das Thema Schuld einerseits wurde auf eindrückliche Weise durch Gefangenen O-Töne wiedergegeben. Dadurch werden Gefangene hörbar. Beim Lesen erschien mir der Gottesdienst und die Stimmung vor dem inneren Auge und so wurden die Menschen in Haft sichtbar. Das nenne ich Korrespondenz, ein Hin, ein Her. Ein Her, ein Hin. Dadurch werden diese Menschen, auch für uns als Kirche außerhalb der Mauern als Teile der Gemeinde Jesu Christi anschaulich“, erläutert Lindner.
Nähe im Segen
„Ich war gefangen und ihr habt mich besucht.“ So sagt es Jesus im Matthäus-Evangelium. in seinen Werken der Barmherzigkeit neben Kranken, Hungrigen und Armen, (Durstigen, Fremden und Nackten). Die Grundlage der Gefängnisseelsorge, der Kirchen hinter Gittern schlechthin! Wer als Seelsorgeperson im Gefängnis tätig ist, erlebt wie Gefangene oft ehrlich, fast schonungslos sind und sich sehr persönlich im Raum der Seelsorge zeigen. Dein Gottesdienst ist hinein genommen in diese Bewegung in einen sicheren Raum der Gottesbegegnung. Er ermöglicht, wenn es gelingt, dass (gefangene) Menschen durchatmen, zu sich selber zu kommen, sich in Gottes Nähe bergen. Sie findet sich dort am Ende mit Bezug zum biblischen Prophetenbuch Joshua 1. Doch die Realität der Vergebung findet sich stark im Segensteil. Es ist bedeutsam, dass hier etwas hin und her geht in Predigt und Liturgie, aber hin und her geht natürlich etwas bei den Gottesdienstfeiernden. Fast alle haben sich segnen lassen dem persönlichen Zuspruch. Diese Worte sind nicht dokumentiert. „Ich vermute, mit Absicht: Denn sie waren auf die jeweilige Person bezogen, die Du aus deinen seelsorgerlichen Begegnungen mit ihren Biografien kennst und die Du so in seelsorgerlicher Verschwiegenheit auch schützt“ führt Lindner aus.
Zwischen drinnen und draußen
Hin und her ging etwas zwischen den Menschen auf horizontaler Ebene, aber ebenso vertikal von Himmel zu Erde und umgekehrt. Im Gottesdienst kommt die Realität der Schuld zur Sprache, jedoch ohne zu moralisieren. Die Moralisierung ist eine Weise, sowohl die Realität der Schuld, als auch die der Vergebung nicht ernst zu nehmen, da sie bei der Empörung verharrt. Die Realität der Vergebung zeigt sich im persönlichen Zuspruch und der Ermutigung selbst Verantwortung zu übernehmen. Gefängnisseelsorge geschieht zwar hinter Gittern – teilweise im Dienst des Landes und teilweise im Dienst der Kirche – und verschwindet möglicherweise etwas aus dem Blick. Sie bleibt aber ansprechbar als Kettenglied zwischen drinnen und draußen. „Nehmen Sie eine Anregung aus dem Gottesdienst in Ihr Gebet in den Gemeinden mit auf:. Es ist ein Gebet für die Vergessenen. „Lassen Sie uns die Vergessenen nicht gegeneinander ausspielen, nicht Opfer gegen Täter, noch Schuldige gegen weniger Schuldige. So mögen Kirche und vielleicht auch unserer Gesellschaft zu Orten werden, die der Realität der Versöhnung ein wenig und vielleicht ab und zu Raum geben“, sagt der Offenburger Gefängnisseelsorger. Gottesdienstablauf…
Igor Lindner | JVA Offenburg