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Ein Jahr lang musste die Knast-Glocke schweigen

27. Februar 2020

Nach der Erweiterung und Sanierung der Justizvollzugsanstalt Herford in Nordrhein-Westfalen Anfang 2000 wurde die Kirchenglocke wieder installiert. Zuvor hatte sie ein Bediensteter mit nach Hause genommen, weil sie anscheinend nicht mehr gebraucht wurde. Seither wird die Glocke manuell vor dem Gottesdienst mit einem Seil aus dem Chorraum geläutet. Bis vor einem Jahr. Ein inhaftierter Jugendlicher hat wohl zu herzhaft am Seil gezogen, so dass sich das Stahlseil an der Glocke in luftiger Höhe löste.

Jetzt läutet die kleine Glocke wieder. Fast niemandem ist es aufgefallen. Nach der Reparatur wurde mehrere Minuten geläutet. Prompt kam ein Anruf eines Bediensteten, „was denn los sei und warum die Glocke läute?“ Manche der jugendlichen Inhaftierten waren fast froh, dass sie morgens um 9 Uhr zu Beginn des Gottesdienstes nicht mit Glockengeläut geweckt wurden. Doch irgendwie fehlte etwas Wesentliches. Es hat schon seinen Reiz, einmal am Seil der Glocke zu ziehen und zu hören, wie das Glockengeläut erklingt.

Der Blick vom Chorraum in die Kirche mit den zwei vorderen Pavillons. Zu sehen ist das Glockenseil.

Die Reparatur war gar nicht so einfach. Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) hat eine Dachdecker-Firma beauftragt. Diese fuhr mit einer ausfahrbaren LKW-Arbeitsbühne vor, um von außen an den Glockengiebel zu kommen. Keine so leichte Aufgabe für die zwei Dachdecker. Über den Dachboden ist die Glocke nicht erreichbar. Einfache Leitern führen nach oben. Über die die mobile Kommunikationsanlage musste von außen nach innen kommuniziert werden. Die über 135 Jahre alte Kirche hatte schon damals an gleicher Stelle eine Glocke. Über mehrere „Flaschenzüge“ wird das Stahlseil geführt. Mit einer Feder ist das dicke Seil damit verbunden. Dieses konnte nun wieder in den Chorraum herunter gelassen werden.

Die Nachbarn außerhalb der Mauern hören die Glocke gut. Die JVA liegt inmitten der Stadt. Gegenüber dem Glockengeläut der zahlreichen Kirchen in der Hansestadt kommt die kleine Glocke nicht an. Und doch hat sie einen eigenen Klang. Sie verweist auf eine andere „Größe“ über den Mauern. Ein Klang, der nicht zu ersetzen ist mit den Durchsagen aus der Zentrale. Viele erfreuen sich daran. Ob Christen, Jesiden, Muslime oder Bekenntnisfreie. Die Kirche innerhalb der JVA kann viele Geschichten erzählen. Sie hat in den letzten Jahrzehnten Veränderungen erfahren. Der preußische Vollzug sah vor, dass die Kirche die „geistliche Züchtigung“ übernahm. Dementsprechend saßen die Inhaftierten in der Kirche abgetrennt, wie in einem Mönchsgestühl, nach vorne gerichtet.

Heute ist der Kirchenraum anders gestaltet. Zwei Pavillons sind im Kirchenraum errichtet worden. Kirchenbänke gibt es nicht. Stühle sind in einer Ellipse offen angeordnet. Der Altar aus dem Holz der alten Gefängnistüren hat Risse und steht fast im Weg. Dies ist gewollt. Soll doch der Kirchenraum besonders wahrgenommen werden. Im vorderen Chorraum wird seit geraumer Zeit Gottesdienst gefeiert. Die Rosettenfenster erzählen aus vergangener Zeit. Die Kirche hat zudem keine Gitter. Dies liegt daran, dass in den 1960 er Jahren ein Zwischenboden eingefügt wurde. Vor dieser Baumaßnahme waren die Kirchenfenster nicht erreichbar. Die Glocke erklingt nun wieder. Sie kann Anstoß, Andenken und Anzeichen auf göttliche Welt(en) inmitten der „Stadt in der Stadt“ sein.

Michael King | JVA Herford

 

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