Seit über 130 Jahren unterstützt der Wittekindshof Menschen mit Behinderung. Im nordrhein-westfälischen Bad Oeynhausen Volmerdingsen ist die heutige Diakonischen Stiftung dafür tätig. An zwei Tagen lädt die Stiftung zum Weihnachtsmarkt ein. Unter anderem ist der Knastladen des Jugendvollzuges der JVA Herford mit einem Stand vertreten.
Der Wittekindshof wird 1887 vom evangelischen Pfarrer Hermann Krekeler des Ortes Volmerdingsen gegründet. Es soll ein sicherer Aufenthaltsort für Menschen mit geistiger Behinderung sein. Als ehemaliger Mitarbeiter von Friedrich von Bodelschwingh setzt sich Krekeler für Menschen mit geistiger Behinderung ein. Heute ist die Begleitung und Beherbergung vielfältig-professioneller und auf die konkrete Menschen abgestimmt.
Kontakte herstellen
Eine Frau schaut neugierig auf die Produkte aus der Justizvollzugsanstalt Herford am Stand. „Was ist das?“, fragt sie. Sie bekommt von den zwei Bediensteten in Justizuniform freundlich eine Antwort. Sie kauft freudig das kleine Schaukelpferd für 1 Euro. In der Zeit von 12 Uhr bis 18 Uhr wird sie öfters am Stand vorbeikommen und allen erzählen, welchen Schatz sie an diesem Stand gekauft hat. Die Menschen sind interessiert und gehen ins Gespräch. Auch wenn man dies oder jenes nicht ganz verstehen kann, weil die Welten so unterschiedlich sind. So begrüßt ein Mann mit Zipfelmütze die Bediensteten als Polizisten und erzählt, dass Diebstahl nicht sinnvoll sei. „Wenn man stiehlt, kommt man in den Knast“, sagt er überzeugend. Die Justizbeamten bejahen dies und schon sind sie in Kontakt. Manche halten ihr
hin und die Bediensteten holen mit Erlaubnis den Geldbetrag heraus für das Produkt, für das sie sich entschieden haben.Viele Künstler im Knast
In beiden Einrichtungen des Wittekindshofs und des Jugendvollzuges sind Menschen mit Persönlichkeiten, mit denen gut umgegangen werden will. Zu Beginn entscheidet sich eine Frau des Nachbarstandes für eine Kunstskulptur. „Sie wird im Kunstbereich der Einrichtung stehen“, sagt sie. Ein anderer Besucher des Weihnachtsmarktes kennt den Jugendvollzug, weil er einige Male mit dem Posaunenchor dort gespielt hat. Eine Besucherin meint, dass es im Knast viele Künstler gibt. Ansonsten können sie sich die Vielfalt an Ideen am Stand des „Knastladens“ nicht erklären. „Schau mal, eine Schnecke gibt es hier zu kaufen“, erkennt ein Jugendlicher im Rollstuhl. Sie ist nicht echt, nur das Schneckenhaus. Alles andere sieht täuschend echt aus und ist mit Zeitungs-Pappmaché in der Arbeitstherapie des Jugendvollzuges hergestellt worden.
Individuelle Selbstständigkeit
Auf der Zufahrt ist auf den Wegweisern des Wittekindshof die Autismus-Ambulanz zu lesen. Sie berät und fördert zu allen Aspekten des Lebens mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Grundsätzliches Ziel ist die Steigerung der individuellen Selbstständigkeit. Angehörige, Bezugspersonen, professionelle Begleiter unterstützen Menschen im privaten, schulischen und beruflichen Umfeld. Das braucht Erfahrung und Fachwissen und neue Ideen. Einige der BesucherInnen des Weihnachtsmarktes werden von BetreuerInnen in speziellen Rollstühlen geführt. Es gibt aber ebenso Fußgänger, die eigenständig den Markt besuchen. Sie wollen sich im Begegnungszentrum einen Kaffee holen oder eine Bratwurst genießen. Manche kennen seit Jahren schon die JVA-Bediensteten, die am Stand des Weihnachtsmarktes stehen. Mit den Eigenheiten und Beeinträchtigungen so gut es geht zu arrangieren und sich ins Gemeinschaftsleben zu integrieren, ist ein Fazit, das man mit einem solchen kleinen Weihnachtsmarkt ermöglichen kann. Beide Einrichtungen, die des Wittekindshofs und des Jugendvollzuges, können voneinander lernen. Auch wenn die Umstände und die Hintergründe andere Gesichter haben. Die Würde-Tafeln mit einer eingebrannten Königs-Krone bezeugen dies. Sie werden an die Menschen verschenkt, weil die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist.
Michael King