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Bei Frost und Schnee, in Notlagen und sonst: Ich bin da

15. Januar 2021

Es ist nicht damit getan, dass wir bei der Altkleidersammlung abgetragene Klamotten abgeben oder sie zum Container bringen. Das ist kein Werk der Barmherzigkeit. Eher ist es so, dass Container und Kleidersammlung uns ein gutes Werk tun, weil sie uns abnehmen, was wir zu viel haben. Fast täglich stranden Flüchtlinge. Besondern in den Lagern im Norden Bosniens. Wir können die erschütternden Bilder nicht mehr sehen. Wir können nicht mehr hören, dass Menschen an der Corona-Infektion sterben. Wir sind lieber in unserer leidensfreien Umgebung, in der wir unbeschwert genießen können und unsere Hobbys nachgehen. Das ist nur normal.

Mir ist es auch am wohlsten, wenn ich daheim gemütlich in meiner Ecke sitze und lesen oder schreiben kann. Wenn wir aber nur noch das eigene wohlige Zuhause ins Zentrum stellen, dann kann es leicht dazu kommen, dass wir alles Fremde als Bedrohung sehen. Und dann haben wir kein Auge mehr für das große Leid, das hinter den meisten Auswanderungen steckt. Jesus sagt: Ich war fremd. In dem Flüchtling, in dem Asylsuchenden begegnen wir Jesus. In dem Penner in Lumpen, mitten unter uns steht er unerkannt. In der Knastzelle habe ihn selbst sagen hören: Ich war gefangen und du bist zu mir gekommen.

In dem Obdachlosen, dem Bettler Jesus sehen. Er bettelt mich an. Es mag sein, dass mancher armer Schlucker seine Not selbst verschuldet hat. Aber Liebe fragt nicht nach Schuld. Der barmherzige Mensch hat hundert helfende Hände, aber keinen einen Zeigefinger. Geben, teilen, das Brot brechen, Tränen abwischen, streicheln. Wir haben es in der Hand. Mit unseren Händen handeln. Kranke pflegen, waschen, umbetten, füttern, die Hand halten, Hand in Hand den Weg zu Ende gehen. Sie betteln um ein wenig menschliche Nähe. Ihre ausgestreckte Hand sagt ohne Worte: Lass mich nicht allein! Komm, setz dich zu mir.

Ich denke an Miri, 13 Jahre, aidskrank, blind. Sie hat beim Besuch auch immer ihre Hand ausgestreckt. Ich habe Miri oft gefragt: Miri, was soll ich tun: Dir etwas vorlesen, oder soll ich dir etwas erzählen? Und jedes Mal antwortete Miri mit ihrem mickerigen Stimmchen: Hmmm, Hmmm, nur ein bisschen dasein. Als Gefangenenseelsorger konnte ich oft auch nichts anderes tun, als nur ein bisschen dazusein. Aber hinter der Mauer habe ich erfahren, wie gut es einem Menschen tut, wenn er sein Herz ausschütten kann. Mehr als eine Predigt über Barmherzigkeit sagt dem Mörder, dass ich ihm die Hand gebe, mit der er ein Leben ausgelöscht hat. Nur ein bisschen dassein. Dazu sind wir da, das ist der Sinn unseres Daseins.

Akkurat geräumte Straßen und Gehwege in verschneiter Dorf-Landschaft im Schwarzwald. Fotos: Hartmann.

Ich bin da

So geben wir Gottes Güte weiter und werden zu Handlangern dessen, der aus dem brennenden Dornbusch ruft: „Ich bin der Ich-bin-da“. Ich bin da – am Krankenbett. Auch wenn ich nicht weiß, was sagen. Ich bin da – voll und ganz bei dem Menschen, der sich bei mir ausweint. ich bin da – um das Nötige zu tun, das was im Moment Not tut. Ich bin da – wo mein Mitmensch mich braucht. Tote begraben gehört auch zu den Werken der Barmherzigkeit. Es ist erbärmlich, zum Erbarmen, wie die Armen in unserer Gesellschaft entsorgt werden. Anonym, namenlos kommen sind unter den Rasen. Das ist das Letzte, wenn ein Mensch auch noch im Tod seine Würde verliert.

Werden erkennen

Und was kommt nach dem Tod? Die Schilderung vom Letzten Gericht macht Angst. Das Evangelium nach Matthäus 25 ist keine Froh-, sondern eine Drohbotschaft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott uns für die paar Jährchen, die wir hier auf Erden verweilten, für immer verdammen wird. In der Hölle brennt kein Feuer. Aber ich glaube wohl, dass wir Rechenschaft ablegen müssen über das, was wir aus unserem Leben gemacht haben. In der Begegnung mit Gott werden wir unser Leben in einem ganz anderen Licht sehen. Wir werden erkennen, dass wir mehr, viel hätten tun können um Menschen in ihrer Not zu helfen. Uns wird plötzlich klar werden, dass wir an mancher Stelle viel zu hartherzig waren oder herzlos. Unser Herz wird uns anklagen, wir werden uns selbst richten. Es wird uns weh tun zu erkennen, dass wir nicht die Menschen gewesen sind, die wir hätten sein können.

Gott wird uns nicht fragen: Du, warum bist du nicht Mutter Teresa gewesen? Warum nicht Papst Franziskus? Nein, aber er wird uns fragen: Warum bist du nicht der Mensch gewesen, wie ich dich gedacht hatte? Warum hast du nicht mehr gemacht aus den Gaben, die ich dir gegeben hatte? Und es kann gut sein, dass wir nich gleich in den Himmel kommen, sondern erst noch eine Zeit der Läuterung durchmachen müssen, das was eigentlich das Fegefeuer meint. Aber ich bin gewiss: Zu guter Letzt wird Gott keinen gnadenenlos bestrafen. Barmherzigkeit triumphiert über das Gericht, heißt es bei Jakobus (2,13).

Aus dem Schnee genommen

Kennen Sie die Geschichte von Abu Bakt? Nach seinem Tod sah einer seiner Freunde ihn im Traum und fragte ihn: „Wie hat Gott dich behandelt?“ Er sagte: „Gott hat sich vor mich gestellt und gefragt: Abu Bakt, Weißt du, warum ich dir vergeben habe?“ Ich sagte: „Wegen meiner guten Werke.“ – Nein. „Weil ich in meiner Anbetung aufrichtig war.“ – Nein. „Wegen meiner Pilgerfahrt und meines Fastens und meiner Pflichtgebete.“ Nein, doch nicht wegen dieser Dinge habe ich dir verziehen, sagte Gott. „Aber weshalb denn, Herr?“ Er sprach: „Erinnerst du dich an die Katze, die von Mauer zu Mauer lief, um Schutz vor der eisigen Kälte und dem Schnee zu suchen. Du hast sie aus Mitleid aufgehoben und in den Pelz gesteckt. Weil du mit dieser Katze Erbarmen hattest, darum habe ich mich deiner erbarmt.“

Diese Geschichte von Abu Bakt macht Mut. Sie sagt uns, dass Gott kein gestrenger Richter ist. Er ist – wie die Muslime sagen: Der All-Erbarmer. Seine Liebe ist allumfassend. Da kann keiner herausfallen, kein Einziger. Unser Leben sieht ganz anders aus, wenn wir es mit Gottes Augen sehen. Und wir sehen die Notleidenden mit ganz anderen Augen, wenn wir in ihnen Jesus sehen. Dann geben wir von selbst. Dann fangen wir an zu teilen und werden wirklich Christenmenschen. Wahrhaftig. So ist es. Amen.

Petrus Ceelen

 

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