Die Gefängnisseelsorge im Land Sachsen-Anhalt ist auf der traditionellen Wallfahrt auf der Huysburg, dem Benediktinerkloster, vertreten. Unter dem Motto „PilgerInnen der Hoffnung“ informiert sie über die seelsorgerliche Arbeit hinter Gittern. Zahlreiche internationale Gäste nahmen an der Wallfahrt teil, unter anderem aus den Partnerbistümern in Polen und Litauen.
In seiner Ansprache weist der Bischof von Magdeburg, Dr. Gerhard Feige, darauf hin, was „PilgerInnen der Hoffnung“ ausmachen. „Sie lieben die Freiheit und demokratische Verhältnisse, gestalten sie engagiert mit und sehnen sich nicht danach, durch einen starken Staat oder autoritäre Machthaber gegängelt oder handzahm gemacht zu werden.“ Darum wählten PilgerInnen der Hoffnung, wenn sie dazu aufgerufen seien, nicht aus dem Bauch heraus „ins Blaue hinein“, sondern folgten dabei ihrem Gewissen und seien sich ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen für das Gemeinwohl, für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sowie für ein respektvolles Miteinander und die einzigartige Würde aller bewusst. Er rief dazu auf, sich nicht von Resignation anstecken zu lassen. In Zeiten von Krisen, Kriegen und gesellschaftlicher Polarisierung sei es wichtiger denn je „PilgerInnen der Hoffnung“ zu sein.
Für Vielfalt und Menschenwürde
PilgerInnen ließen sich nicht von Verschwörungstheorien verführen, suchten Verständigung statt Spaltung, handelten solidarisch und instrumentalisierten ihren Glauben nicht, um sich selbst auf- und andere abzuwerten. „PilgerInnen der Hoffnung denken und handeln nicht provinziell, nationalistisch und rassistisch, sondern distanzieren sich von jedwedem Extremismus“, so Feige. In Sachsen-Anhalt sind am 6. September 2026 Landtagswahlen. Bei jüngsten Umfragen kam die AfD auf 39 Prozent. In der aktuell politisch und gesellschaftlich aufgewühlten Zeit könne PilgerInnen helfen, sich neu zu besinnen, Gemeinschaft zu erleben und neue Perspektiven zu gewinnen, so der Bischof. „Das hat Potenzial den Blick auf Welt und Mitmenschen zu ändern, und auf das, was im Leben wirklich zählt. Das kann sich auch insgesamt auf unser Zusammenleben und unsere Gesellschaft auswirken.“
Wer pilgert, bricht auf, lässt vieles hinter sich, wird – wie es im Lateinischen heißt – zum „peregrinus“, also zu jemandem, der sich in die Fremde wagt, erlebt Neues, riskiert und erträgt aber auch manche Strapazen. Wer pilgert, lernt sich vielleicht selbst besser kennen, den Alltag zu durchdenken, seine bisherigen Überzeugungen zu hinterfragen, einen weiteren Horizont zu gewinnen und eventuell sogar einen tieferen Sinn zu finden. Oftmals bedeutet „pilgern“ auch, in Gemeinschaft unterwegs zu sein oder unterwegs zu einer Gemeinschaft zu werden. Dazu verabschieden wir uns zwar aus gewohnten Umgebungen und Verhältnissen, steigen aber nicht völlig aus dieser Welt aus. Zu unseren Erfahrungen, die wir dabei machen, gehören nicht nur idyllische Landschaften, durch die wir ziehen, und freundliche Menschen, die uns begegnen, sondern auch befremdliche und beängstigende Entwicklungen, die uns herausfordern und zu schaffen machen. Wie gehen wir damit um?
In Bewegung kommen
Viele Menschen sind müde von den ständigen Krisen und anhaltenden Konflikten, der Angst, nicht mehr alles im Griff zu haben, und dem sorgenvollen Blick in die Zukunft – am Beginn einer Berufsausbildung, bei der Frage nach einer eigenen Familie mit Kindern, bei den alltäglichen Herausforderungen, am Ende eines Arbeitslebens oder im gesellschaftlichen Miteinander. Vielleicht macht uns das den Propheten Elija so zugänglich, dessen Schicksal eindrücklich geschildert wird. Darin begegnet uns Elija in einem Moment tiefster Hoffnungslosigkeit, mit all seinen Zweifeln und Ängsten, sogar mit der Bereitschaft, alles aufzugeben. „Nun ist es genug, HERR,“ – fleht er dort unter dem Ginsterstrauch (1 Könige 19, 4) – „nimm mein Leben“. In dieser Situation ist Elija wahrlich kein Pilger der Hoffnung oder Hoffnungsprophet. Auf dieser Durststrecke seines Lebens ist es Gott, der ein Zeichen der Hoffnung gibt. Stärke dich – spricht er ihm zu – dann steh auf und geh weiter, das ist noch nicht das Ende deines Weges. Und Gott gibt, was es zur Stärkung braucht, gibt das Nötigste dazu. Er tut es, ohne dass er darum gebeten werden muss.
Nehmen wir aber heute so etwas wahr? Der Ton um uns herum ist rau geworden und laut, unsere Gesellschaft verroht immer mehr, in vielen Gebieten dieser Welt übertönen die Waffen jeden anfanghaften Dialog. Wie sollen wir da noch Gottes Zuspruch hören? Er kommt nicht im Sturm, nicht im Erdbeben oder Feuer – wie es in der Erzählung von Elija weiter heißt (1 Könige 19,12). Gott begegnet eher im sanften, leisen Säuseln. Dafür aber empfindsam zu werden und sich davon anrühren zu lassen, dazu kann Pilgern hilfreich und heilsam sein. Dass Pilgern allgemein Im Trend liegt und auf verschiedenen Routen sowie zeitweise sogar boomt, löst mancherorts Probleme aus und begeistert nicht überall, stimmt mich aber dennoch hoffnungsvoll. In dieser politisch und gesellschaftlich aufgewühlten Zeit, in der sich viele mit ihren Ansichten und Ansprüchen oft unversöhnt und konfrontativ, ja sogar aggressiv gegenüberstehen, kommen andere in Bewegung, nebeneinander oder miteinander, treten heraus aus ihren Komfortzonen und kommunikativen Blasen, reduzieren sich für einige Zeit auf das Nötigste, auf das, was sie unterwegs tragen und erledigen können. Darin sind sie einander ähnlich und bereit, etwas mit sich geschehen zu lassen. Das hat Potential, den Blick auf Welt und Mitmenschen zu ändern, und auf das, was im Leben wirklich zählt. Das kann sich auch insgesamt auf unser Zusammenleben und unsere Gesellschaft auswirken.
Woran könnten PilgerInnen der Hoffnung erkannt werden? Welche Merkmale weisen sie auf? Was ist an ihnen nachahmenswert? Spiegeln sie wider, dass Menschen zu ihnen gehören?
PilgerInnen der Hoffnung…
- Irren nicht ziellos durch die Gegend, sondern orientieren sich an biblischen Verheißungen und Hinweisen und vertrauen darauf, durch Göttlichkeit geführt zu werden und letztlich darin anzukommen.
- Sehen nicht alles grau in grau oder nur schwarz-weiß, sondern erfreuen sich an der Farbenpracht der Welt und der Vielfalt des Lebens.
- Verdrängen oder beschönigen nicht die Not und das Elend vieler Menschen, sondern versuchen, beizustehen und ohne Helfersyndrom BegleiterIn zu sein.
- Setzen nicht verbissen auf Reichtum und Macht, Schönheit und Stärke, sondern nehmen das Leben, wie es kommt, und machen etwas daraus.
- Sind keine Phantasten oder Utopisten, die von einem Schlaraffenland oder einem Paradies auf Erden träumen, aber Menschen, die ideenreich und sorgsam mit Gottes Schöpfung umgehen.
- Haben nicht nur sich und ihre eigenen Interessen im Blick, sondern kümmern sich solidarisch um andere.
- Verstehen sich als Freunde des Lebens und begegnen allen menschlichen Wesen mit Achtung und Ehrfurcht, von der Zeugung bis zum Tod, egal ob gesund oder krank, mit oder ohne Behinderung, binär oder queer, einheimischer oder anderer Herkunft.
- Sind dann noch zuversichtlich, wenn ihre Kräfte abnehmen und sie nicht mehr so hohe Sprünge machen können wie einst.
- Instrumentalisieren ihren Glauben nicht dazu, sich selbst auf- und andere abzuwerten.
- Lassen sich nicht von jeder Talkshow und andauernden Meinungsumfragen oder Stimmungsbarometern verunsichern.
- Widersetzen sich Stammtischparolen, Verschwörungstheorien und Hetzreden, bilden sich eine eigene Meinung und treten auch dafür ein.
- Schüren selbst keine Vorurteile und Klischees, Polarisierungen und Spaltungen, sondern mühen sich um Verständigung und friedliche Lösungen.
- Denken und handeln nicht provinziell, nationalistisch und rassistisch, sondern distanzieren sich von jedwedem Extremismus, haben einen weiten Horizont und achten auch andere Religionen und Kulturen, Überzeugungen und Lebensweisen.
- Lieben die Freiheit und demokratische Verhältnisse, gestalten sie engagiert mit und sehnen sich nicht danach, durch einen starken Staat oder autoritäre Machthaber gegängelt oder handzahm gemacht zu werden.
Selbstverständlich gelingt das nicht allen in vollkommener Weise, sollte aber als Richtschnur dienen und immer wieder beherzt angegangen werden. Dabei ist, wer glaubt, nicht allein, versteht sich die ganze Kirche als das pilgernde Volk Gottes auf Erden. „Zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig“, „geht“ sie – wie das II. Vatikanische Konzil es formuliert hat (Lumen Gentium 8) – „immerfort den Weg der Buße und Erneuerung“, „schreitet“ sie „zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin und verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt.“ Lassen wir uns nicht von der zunehmenden Resignation in unserer Gesellschaft und in unserer Kirche anstecken! Jammern und klagen wir nicht wie viele andere auf einem hohen Niveau! Bleiben oder werden wir vielmehr PilgerInnen der Hoffnung, mit Herz und Verstand, Mut und Elan! Dazu sind wir besonders im Heiligen Jahr 2025 eingeladen. „Die Hoffnung“ – so hat Papst Franziskus geschrieben (Fratelli tutti, 55) – „ist kühn. Sie weiß über die persönlichen Bequemlichkeiten, über die kleinen Sicherheiten und Kompensationen, die den Horizont verengen, hinauszuschauen, um sich großen Idealen zu öffnen, die das Leben schöner und würdiger machen.“ Was hindert uns, in diesem Sinne aufzubrechen und unseren Weg zuversichtlich und geistvoll weiterzugehen?!
Aus der Ansprache des Magdeburger Bischofs Dr. Gerhard Feige