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Hinter Gittern wird nicht über „die Köpfe hinweg“ gepredigt

23. August 2025

Eigentlich wird hinter Gittern nicht gepredigt. Eine Predigt bedeutet zunächst ein monologisches Geschehen. Im Knast ist dies anders. Es kommen direkt und unmittelbar Reaktionen mit Zwischenrufen oder Anmerkungen. Das ist gut so. Aber wird eine derartige „Predigt“ damit zum Dialog? Oder sind Inhaftierte mit jeglicher Weltanschauung es gewohnt, still alles hinzunehmen, was der „Himmelskomiker“ so sagt? Die Kanzel als Ort des Predigens „über die Köpfe hinweg“ ist in vielen Anstaltskirchen abgeschafft.

Die Prediger-Kanzel aus den 60er Jahren in der im Jahr 1883 errichteten Anstaltskirche der JVA Herford. Sie wird heute nur noch für die Lautsprecheranlage und den Feuerlöscher genutzt.

 

Man sollte als GefängnisseelsorgerIn nicht einfach von einem fertigen Manuskript ablesen. Eine „Predigt“ sollte authentisch rüberkommen, die Adressaten der Knastgemeinde im Fokus haben und die „frohe Botschaft“ auf den Boden dieser Realität holen bestenfalls noch „aufrütteln“. Das ist eine anspruchsvolle Herausforderung an einem Ort der Gewalttätigkeiten. „Nicht alleine vom lieben Jesus und der Zuwendung zu Gott und ´morgen wirst du entlassen´ reden“, meint ein Gefangener, als er nach dem Inhalt des Gottesdienstes gefragt wird.

Dinge sehr genau unterscheiden

Wie wird in deutschsprachigen Gefängnissen heute gepredigt? Was sind hinter Gittern Themen? Geht es immer um Schuld und Vergebung? Gilt religiöse Rede drinnen wie draußen – oder muss sie am Ort existenzieller Unfreiheit andere Töne anschlagen? Andere Töne sollten nicht in allgemeine Glaubensfloskeln verfallen. Da hören die Menschen im Knast sensibel hin und unterscheiden die Dinge sehr genau. Besonders auch, wenn womöglich konkrete Antworten für ein Leben als „anständiger Mensch“ gegeben werden. Konkrete Lösungen und Antworten gibt es nicht. Manche der Inhaftierten sind beeinflussbar in alle Richtungen. GefängnisseelsorgerInnen haben eine religiöse Verantwortung und sind gut beraten, religionssensibel zu agieren. Die Gefahr besteht, die Zwangssituation inhaftierter Menschen und deren Krisensituationen im Gefängnis für „spirituellen Missbrauch“ zu be-nutzen.

Ein be-predigen hilft nicht

Die christliche „frohe Botschaft“ den „bösen Menschen“ zu vermitteln ist nicht das Ziel. Es geht darum, eine Horizonterweiterung für die Inhaftierten anzudeuten, auf den hin sie ihr je eigenes Leben und ihre Persönlichkeit in guter Weise weiterentwickeln. Da ist es nicht wichtig, welcher Religion, Konfession oder in welcher bekenntnisfreien Weise jemand sein Leben gestaltet. Oft wissen Gefangene dies selbst nicht. „Wir haben eine Mission, wir werden aber in keiner Weise für den christlichen Glauben missionieren und damit spalten“, sagt ein Gefängnisseelsorger. Im christlich geprägten Gottesdienst sind hinter Gittern viele Menschen beteiligt, die keine kirchliche Sozialisation haben, die aber den „Blick in den Himmel“ oder das „Göttliche in sich“ wagen wollen. Dass es mehr gibt, als ihnen zugeschrieben wird, dass es mehr gibt als Mauern und Vorschriften und dass es mehr gibt, als sie je von sich selbst zu wagen denken. Ein be-predigen bewirkt keine Veränderung. Diese Erfahrungen haben die Gefangenen in ihrem Leben zu oft gemacht: „Tu dies, mach das…“ Dies will die Gefängnisseelsorge mit Rat-Schlägen nicht befeuern. Sie beschwört keine Veränderung. Man kann so sein, wie man gerade ist, mit der Persönlichkeit, mit der man aktuell unterwegs ist.

Wie ist es heute?

In diesem Raum der grundsätzlichen Annahme kann Veränderung passieren. Sie geht aber vom Gegenüber aus und nicht von einer/r PredigerIn. Die Auseinandersetzung im Gottesdienst kann allenfalls ein Hinweis sein oder eine Anregung, sich weiterführend mit sich und seinem Leben zu befassen. Den Satz „schön haben sie gepredigt…“ wird man im Knast nicht hören. Eine „Predigt“ wird nicht nach den theologischen Inhalten bewertet, sondern nach dem, wie jemand sich angesprochen fühlt oder auch nicht. Dies geschieht, wenn das Evangelium auf Realität im Heute trifft. Wie geht Jesus mit Kriminellen um? Wie sprengte dieser Mann damals die Grenzen bestehender Anschauungen und Religionen und wie ist es heute? Dass Menschen konkrete Antworten erwarten ist verständlich. Doch kann sich keine christliche oder muslimische Seelsorge erlauben, glasklare oder gar fundamentalistische Antworten parat zu haben. Oftmals endet eine perfekt ausgearbeitete Predigt dort, wo die Wirklichkeit und die Erfahrungen verurteilter Straftäter beginnt und alles entwickelt sich völlig anders als geplant und vorbereitet.

Michael King

Der Predigtband mit Texten aus den letzten zehn Jahren von mehr als 25 Männern und Frauen, die hinter Gittern zu Gefangenen sprechen, gibt einen Einblick in theologisches Denken an einem der Öffentlichkeit unbekannten Ort. Er ist eine theologische Fundgrube für jene, die die Welt von ihren Rändern her denken wollen und eine Ideensammlung für alle, die sich für ihre eigene Predigt inspirieren lassen wollen.

Bestellung

verlag-gefaengnisseelsorge.ch
+41 79 395 59 86 (Textnachricht)
ISBN 978-3-9525955-6-5
18,00 Euro

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