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Die Herausforderungen des Justizvollzuges

21. Februar 2019

In der überschaubaren Zukunft gibt es zentrale Herausforderungen des Justizvollzugs bundesweit, aber gerade auch in Nordrhein-Westfalen. Insbesondere ziele ich auf zwei Tendenzen ab, welche die Zusammensetzung der Gefangenen betreffen. Zum einen geht es um den wach­senden Anteil ausländischer Gefangener; eine Entwicklung die teilweise parallel läuft zu allgemeinen demographischen Prozessen und die im und außerhalb des Vollzuges von intensiv geführten öffentlichen Diskussionen begleitet wird. Zum anderen geht es um den Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen; insoweit handelt es sich zwar mehr um ein Insiderthema, das aber – wenn man mit den Verantwortlichen vor Ort spricht – ein ebenso große Bedeutung für den Vollzugsalltag hat.

Mittlerweile sind gut ein Drittel aller Gefangenen in NRW Ausländer. Im Bereich der Untersuchungshaft liegen die Anteile noch deutlich höher. Die Arbeit mit aus­län­dischen Gefangenen hat heutzutage auch für den Justizvollzug eine große Bedeutung, sei es dass allgemeine gesellschaftliche Integrationsanforderungen in diesem spe­ziellen institutionellen Setting vor­be­reitet werden, sei es dass Wege im Umgang mit extremen Verhaltensauffälligkeiten bestimmter Gruppen zu finden sind, sei es dass man in einzelnen Fällen auch Tendenzen einer Radikalisierung frühzeitig entgegen­wirken muss.

Was den Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen betrifft, besteht dringender Handlungsbedarf. Der Begriff des psychisch auffälligen Gefangenen ist freilich leicht daher gesagt, obwohl es keineswegs einfach ist, hier saubere Kategorisierungen vorzunehmen, die auch in der Praxis halbwegs klare Zuordnungs­möglichkeiten bieten. Geht es mehr um krankhafte Erscheinungen oder um „Vollzugsstörer“, welche in erster Linie Sicherheit und Ordnung der Anstalt irritieren? Offenbar stoßen wir hier auf analytische wie gleichermaßen auch systemisch gestalterische Begrenztheiten. Denn a priori ist allen Beteiligten bewusst, dass wir hier allenfalls die Spitzen der Eisberge abschmelzen können, ohne genau zu wissen, wie groß die Fläche unter der Oberfläche zu bemessen ist. Aber wir haben sicher auch die eine oder andere Erkenntnis, auf der man valide aufbauen kann. Es gibt Problem­zusammenhänge, die analytisch von besonderer Bedeutung sind. So dürften un­bestritten z.B. der Konsum verbotener Substanzen und auch von neuen Drogen solche Korrelationen herstellen. Im oben genannten Sinne ethischer Handlungsnot­wendig­keiten geht es im Übrigen nicht nur um die Einhegung menschlichen Leids, sondern oft auch um die Ratlosigkeit und Extrembelastung der Bediensteten, die mit bestimmten Situationen und Verhaltensexzessen nur schwer umzugehen lernen.

Ein unter ethischen Gesichtspunkten besonders bedeutsamer Aufgabenbereich ist selbstverständlich die Suizidprävention. Hier geht es um verzweifelte Menschen in psychisch-selbstzerstörerischen Ausnahmesituationen. Ich möchte dieses Thema heute nur kurz andiskutieren. Wichtig scheint mir jedenfalls, dass Vorbeuge­maß­nahmen sich nicht nur auf technische Hilfsmittel wie intensive Über­wachungsmaß­nahmen im Wege der Videokontrolle reduzieren. Ethisch betrachtet muss es hier weiter gedacht auch um personale Hilfeleistungen gehen. Ich denke da an Projekte wie der Telefonseelsorge, aber auch durch den Einsatz von sog. Listenern – also von zuhörenden Mitgefangenen. Diese werden meines Wissens aber bisher bundesweit nur in Niedersachsen durchgeführt.

Wenn es um Gefangene in Extremsituationen geht, wurde unter Fachleuten zuletzt intensiv über die Frage der Anforderungen von Fixierungen im Zuge von Sicherungs­maßnahmen diskutiert. Vor einigen Monaten hat sich bekanntlich das Bundesver­fas­sungsgericht mit inhaltlichen Vorgaben bei Fixierungen von Maßregel­vollzugs­patienten befasst. Die dort getroffenen engen Voraussetzungen – ärzt­liche Stellung­nahmen, richterliche Anordnung ab mehr als halbstündiger Fesselung, Kontroll- und Dokumentationspflichten etc. – haben jetzt auch im Wege aktueller Neuregelungen Einzug in die Justizvollzugsgesetze in NRW gehalten. Dass hier unter Aspekten auch der Menschenwürde besonders sensibel vorgegangen werden muss, dürfte Konsens sein.

Sicher gibt es auch Themenbereiche und Positionen, die sich in heutigen Diskussionen scheinbar unversöhnlich gegenzustehen scheinen, welche bei näherer Betrachtung aber auch Zwischentöne ermöglichen, die dann gar nicht mehr so weit auseinander liegen. Ich meine damit z.B. die Grundsatzdiskussionen, die Herr Galli und Herr Maelicke in den vergangenen Jahren angestoßen haben. Stellt man wie diese die ketzerische Frage nach der Notwendigkeit der Freiheitsstrafe bzw. umgekehrt nach der Abschaffung des Strafvollzugs, dann gerät man natürlich leicht ins Abseits. Der nordrhein-westfälische Justizvollzug wird in absehbarer Zeit sicher keine Revolution einleiten und nicht mit Abschaf­fungsszenarien aufwarten.

Prof. Dr. Michael Kubink, Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tagung der Gefängnisseelsorger in NRW, 19. Februar 2019 in Mülheim/Ruhr.

 

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