Feiertag Allerheiligen: Einmal im Jahr hebt sich das Dach unserer Kirche und weitet sich aus; einmal im Jahr gedenken wir besonders all derer, die uns vorausgegangen sind, die vor uns versucht haben, als Christen zu leben. Einmal im Jahr, da realisieren wir, dass unser Leben nicht 1930, 1970 oder 1990 begonnen hat, weil wir spüren, wie unser Leben vorherbestimmt und vorbereitet ist durch die Entwürfe von Menschen lange Zeit vor uns.
Auch wenn es uns aufgegeben ist, unser Leben mit den Zeichen unserer Zeit, mit der Signatur unserer Geschichte zu schreiben: wir sind angewiesen auf das Zeugnis derer, die vor uns gelebt haben. Wer von uns weiß, ob nicht irgendeine Entscheidung im Leben mitgetragen und vorbereitet wurde vom Gebet einer Großmutter, eines Großvaters, von aufgenommenen guten Worten und Gesten, die so tief in uns eingedrungen sind, dass sie uns gar nicht mehr bewusst sind… Häufig hören wir davon, dass wir an der Last unserer Geschichte tragen, an den Fehlern unserer Vorfahren und an den unguten Einflüssen unserer Vergangenheit. Heute feiern wir das andere, das es auch gibt: das Fest des Heilen und des Heilenden in der Welt, die Atmosphäre des Guten mit all den verborgenen Kanälen und Wegen, die in der Regel so wenig Tageslicht vertragen, die aber Verbindungen schaffen und Lebensfluss.
Menschen, die positiv prägen
Allerheiligen: Das Leben im Zusammenhang wird gefeiert; Leben, das nicht einfach geprägt wird durch die biologischen Eckpunkte von Geburt und Tod, sondern ein Leben, das offen ist für Einflüsse von früher nicht nur die Schattenhaften sondern auch die Lichtvollen. Welche Menschen sind es, die uns die Kirche als Heilige zur Seite stellt? Welche Menschen sind es, die positiv prägen? Doch nicht nur die, die dem Zufall eines kirchlichen Heiligsprechungsprozesses standhalten; so viele sind es, dass es unmöglich ist, sich den Reichtum ihres Lebens vor Augen zu halten.
Das Evangelium der Seligpreisungen versucht, eine gemeinsame Grundlage, eine gemeinsame Haltung zu beschreiben: „Selig seid ihr“ was so viel heißt wie „Herzlichen Glückwunsch“ – herzlichen Glückwunsch an alle, die ihr Leben auf das gleiche Fundament stellen wollen: Glückwunsch an alle, die arm sind vor Gott – denn das ist der gemeinsame Grund: die Armut vor Gott! Das Wissen um die eigene Ungenügsamkeit. Wären es der Reichtum und die Leistungen der Heiligen, die es zu feiern gälten, würden wir nicht bewundernd und distanziert am Rande stehen? Nein, die Heiligen, das sind Menschen wie wir, Schwestern und Brüder. Und darum ist Allerheiligen auch und gerade das Fest aller unbekannten Heiligen, aller Namenlosen und nicht heilig gesprochenen.
Atmosphäre des Guten
Sie waren arm vor Gott: sie haben ihr Leben nicht verstanden als einen Beitrag zur Welt- und Kirchengeschichte; sie hatten gerade nicht den Eindruck, etwas Besonderes zu leisten, etwas Außergewöhnliches aufzubauen. Sie kamen sich nicht groß vor – im Gegenteil: nicht selten plagten sie die größten Zweifel, ob ihr Leben überhaupt etwas wert sei, ob sie einen Platz hätten bei Gott, oder ob sich die Natur mit ihnen wohl nur einen schlechten Scherz erlaubt hätte. Selig, die arm sind vor Gott: Diese Heiligen wussten vermutlich nicht, dass das, was sie taten, in den Augen späterer Generationen als groß angesehen werden würde und selbst, wenn es niemand als groß ansieht – die Botschaft dieses Festes ist: Die Atmosphäre des Guten wird sich ausbreiten, wenn Sie dabei sind…
Bernd Mönkebüscher