Die Geschichte der Gefängnisseelsorge im Dritten Reich ist in der Öffentlichkeit und selbst unter den heute arbeitenden GefangenenseelsorgerInnen wenig bekannt. Strafanstaltsgeistliche, von denen es zu Beginn der NS Diktatur im gesamten Deutschen Reich immerhin rund 120 Hauptamtliche gab, waren zwei Drittel evangelisch und ein Drittel katholisch. 1942 waren immer noch über einhundert im Dienst der Reichsjustizverwaltung. Wie verhielten sich diese Seelsorger in den Jahren zwischen 1933 und 1945?
Wie reagierten sie zum Beispiel, als sich im Frühjahr 1933 die Haftanstalten mit brutal misshandelten Schutzhaftgefangenen füllten, während zeitgleich die erste Gleichschaltungswelle durch die deutsche Justiz rauschte? Wie bewerteten sie den politischen Umschwung in Deutschland oder das neue Strafverständnis, das die Nationalsozialisten propagierten? Wie gingen sie mit den Tausenden von politisch Verurteilten um? Was sagten sie zu den Konzentrationslagern zum Kirchenkampf, zur Kriegspolitik? Wer die Gefängnisseelsorge des Dritten Reiches verstehen will, muss in der Weimarer Republik beginnen. Denn sieht man sich die deutsche Epochenzäsur 1933 genauer an, so fällt als erstes auf, dass auch im Bereich des Strafvollzugs wie überall zu Beginn des Dritten Reiches mit nahezu gleicher Berechtigung von einem scharfen Schnitt und von einem allmählichen Übergang gesprochen werden kann. Das gilt nicht minder für die Gefängnisgeistlichen, die sich einerseits von den Veränderungen sofort und unmittelbar betroffen sahen, andererseits jedoch lange noch in einer Weise reagierten, als hätten sie es wie bisher mit einem verlässlichen staatlichen Handeln zu tun. Die Veränderungen werden demnach nur deutlich vor dem Hintergrund dessen, was bis dahin gültig war.
Gefängnisseelsorger Teil der Geschichte
Festzuhalten ist zunächst, dass die Gefängnispfarrer des Dritten Reiches zu einem Gutteil schon die Gefängnispfarrer der Weimarer Republik waren. Bis auf wenige, an einer Hand abzuzählende Fälle, kam es nach 1933 nicht zu einer Entlassungswelle unter den hauptamtlichen Anstaltsgeistlichen. Die sozialstrukturellen Befunde decken sich im wesentlichen mit denen, die in diesen Jahren allgemein für die Geistlichen beider Konfessionen gelten. So entstammte der größere Teil der Strafanstaltspfarrer Beamten und Selbständigenfamilien, wobei die evangelischen Herkunftsfamilien im Sozialprestige durchweg etwas höher anzusetzen sind als die katholischen. Darüber hinaus kamen eine Reihe von evangelischen Gefängnisgeistlichen auch aus Pfarrhaushalten. Etwa jeder dritte Gefängnisgeistliche hatte am Ersten Weltkrieg teilgenommen, davon viele als Frontkämpfer, und nur eine kleine Zahl als Militärgeistliche. Unter den evangelischen Geistlichen befanden sich nicht wenige Mitglieder der NSDAP, von denen etliche bereits vor der Machtübernahme eingetreten waren.
Die erzwungene Abstinenz der katholischen Geistlichen von einer nationalsozialistischen Parteitätigkeit ist allerdings für sich genommen kein Indiz für ihre Nähe oder Feme zur nationalsozialistischen Weltanschauung und der „nationalen Revolution” des Jahres 1933. Viele katholische Gefängnispfarrer waren vor 1933 Mitglied der Zentrumspartei. Eine Mitgliedschaft in der NSDAP wäre für die meisten katholischen Geistlichen vor dem 28. Mai 1933 kaum in Frage gekommen, weil die katholischen Bischöfe bis dahin die Unvereinbarkeit von Nationalsozialismus und kirchlicher Lehre betonten. Kurz nachdem die Bischöfe in dieser Frage eine Kehrtwendung vollzogen hatten, verbot das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 katholischen Priester endgültig die Mitgliedschaft in einer politischen Partei. Dennoch gab es einzelne katholische Geistliche, die sich, in Dissens mit ihren kirchlichen Behörden, der NSDAP anschlossen oder offen für sie eintraten. Dass sie eine gültige Mitgliedschaft in dieser Partei erwerben konnten, zählte jedoch zu den seltenen Ausnahmen.
Es gibt dennoch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Gros der Strafanstaltspfarrer der Weimarer Republik den neuen Machthabern für ihren Strafvollzug untragbar erschienen wäre. Ihre gesetzliche Stellung blieb bis in die Kriegsjahre unerschüttert. Das verdankten die Gefängnispfarrer, ohne sich dessen sonderlich bewusst zu sein, ausgerechnet der ungeliebten ersten Republik. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, in der krisengeschüttelten Nachkriegsgesellschaft, hatten sie ihre Rolle im Schnittpunkt von Kirchen, Rechts- und Wohlfahrtspolitik neu definieren müssen. Zwar saß der Schock der kirchenfeindlichen Revolutionswirren von 1918/19, in denen in einigen deutschen Lindem auch die Abschaffung der Gefängnisseelsorge gedroht hatte, tief. Keine der beiden großen Kirchen identifizierte sich mit der ersten deutschen Republik, obwohl ihr gesellschaftlicher Einfluss weit weniger beschnitten wurde, als die unversöhnlich antidemokratische Frontstellung suggerierte. Im Gegenteil schuf das Sozialstaatsmodell der zwanziger Jahre gerade für die Kirchen ein Feld, in dem sie als freie Träger die Entwicklung der staatlich subventionierten Wohlfahrtspflege maßgeblich mitbestimmten, darunter auch die umstrittene Entwicklung der Gefangenenfürsorge.
Rückkehr zur Abschreckung
Sowohl die Evangelische Konferenz für Straffälligenpflege wie die Katholische Arbeitsgemeinschaft für Gerichtshilfe, Gefangenen- und Entlassungsffürsorge waren typische Lobby-Organisationen der Weimarer Republik und eng mit den karitativen Institutionen wie der lnneren Mission und dem Caritasverband sowie den beiden Interessenvertretungen der Strafanstaltsgeistlichen verbunden. Welchen generellen Akzent die Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme im Strafvollzug setzen wollten, war in den Wahlkämpfen kein Geheimnis geblieben. Die Rückkehr zur Abschreckung, Vergeltung und „Strafübeln“ durfte als sicher gelten und fand leider auch bei Gefängnisgeistlichen ein offenes Ohr. Wie sich jedoch die Umsetzung der markigen Forderungen in die Praxis gestalten sollte, hatten sich ihre nationalkonservativen Befürworter kaum vorgestellt. Nahezu über Nacht brachte die „nationale Revolution“, die für die begeisterten Deutschen zunächst nicht viel mehr als den pathetischen Begriff bedeutete, für die Strafanstalten ganz erhebliche Arbeit mit sich sprich: eine kaum zu bewältigende Mehrbelastung, denn auf die schlagartig einsetzende Belegung von Hafträumen mit Schutzhaftgefangenen waren weder die Justizministerien noch die Anstaltsleitungen in irgendeiner Weise vorbereitet. Es fehlte vor Ort an Hafträumen, an Personal und an klaren Kompetenzen für den Umgang mit diesen willkürlich festgehaltenen Opfern polizeilicher Maßnahmen. Die Behandlung von Schutzhaftgefangenen in justizeigenen Vollzugsanstalten bildete deshalb von Anfang an einen Reibungspunkt zwischen Justiz und politischer Polizei. Völlig unterschiedlich wurde in den einzelnen Ländern entschieden, ob Schutzhaftgefangene in den Haftanstalten nach den dort gültigen Vollzugsordnungen zu behandeln seien oder ob die Polizei von sich aus Anordnungen über den Vollzug der Schutzhaft nach ihren eigenen Vorstellungen treffen konnte. Vom Entscheidungsstand in dieser Frage hing jedoch unter anderem ab, ob die Schutzhaftgefangenen von Geistlichen betreut werden durften oder nicht.
Instrument des Kirchgangs
Der Kasseler Strafanstaltspfarrer Hermann Lohoff, der Vorsitzende der Konferenz der katholischen Strafanstaltspfarrer Deutschlands, begrüßte die neue preußische Dienstvollzugsordnung mit enthusiastischen Sätzen: „Dass der neue Strafvollzug (dem) schädlichen und demoralisierenden Kulturbolschewismus in den Strafanstalten für immer ein Ende bereitet hat, dafür sind gerade die Strafanstaltspfarrer von ganzem Herzen dankbar, wie sie auch dafür dankbar sind, und es aufs freudigste begrüßen, dass die Seelsorge nicht nur durch das Reichskonkordat in allen Strafanstalten gesichert ist, sondern auch in ihrer außerordentlichen pädagogischen Bedeutung für die Erziehung der Gefangenen von der neuen Dienst- und Vollzugsordnung ausdrücklich anerkannt wird.“ Dahinter verbarg sich unter anderem, dass für die konfessionell gebundenen Gefangenen die Pflicht zum Besuch des Gottesdienstes wieder eingeführt wurde, „sofern ihnen nicht Befreiung vom Vorsteher bewilligt” war. Mit anderen Worten: Ausgerechnet die Nationalsozialisten gaben in Preußen den Gefängnisgeistlichen das in den Weimarer Jahren von vielen schmerzlich vermisste Instrument des Kirchgangwangs zurück und durften sich dafür manchen Dankes sichersein. Es war dieses Klima, das bei vielen Geistlichen beider Konfessionen, muss hier gesagt werden, auch wenn es spezifische konfessionelle Unterschiede durchaus gab die Illusion entstehen ließ, nunmehr werde der Gefängnisseelsorge im Rahmen der nationalsozialistischen Erneuerung eine größere Bedeutung zukommen als bisher.
Verstöße von Geistlichen
Es etablierten sich gerade in der Gefangenenfürsorge kriminalbiologische Leitwerte, deren „sozialrassistisch“ (Detlev Peukert) gefärbte Ausgrenzungs- und Selektionsfunktion auch von Strafanstaltsseelsorgern unterstützt wurde. Allerdings wurden auch Exempel statuiert. Einen eindeutig politischen Hintergrund hatte die Entlassung des katholischen Geistlichen Dr. Paul Laufenberg bei der Zellenstrafanstalt Butzbach. Laufenberg wurde am 27. Januar 1934 ohne Angabe von Gründen verhaftet und im Staatspolizeigefängnis zu Darmstadt in Schutzhaft genommen. Als er knapp drei Wochen später aus der Schutzhaft entlassen wurde, erreichte ihn unter demselben Datum des 14. Februar 1934 eine Verfügung des Reichsstatthalters Sprenger, die Laufenberg unter Berufung auf § 2a des Berufsbeamtengesetzes mit sofortiger Wirkung aus dem hessischen Staatsdienst entließ. Zugrunde lag ein in dieser Form einmaliger Fall.
Glimpflicher verlief ein polizeilicher Vorstoß gegen den katholischen Strafanstaltsgeistlichen Friedrich Kneip. Am 8. September 1934 wandte sich das Geheime Staatspolizeiamt an das Preußische Justizministerium mit der Bitte, gegen Kneip „in seiner Eigenschaft als Strafanstaltspfarrer dienststrafrechtlich einzuschreiten, da er nicht die Gewähr bietet, sich rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einsetzen zu können.“ Dem lag eine eher absonderliche Geschichte zugrunde. Während eines Ferienaufenthaltes auf der Insel Helgoland hatte Kneip einen dortigen Amtsbruder vertreten und am 15. Juli 1934 zu den Bibelworten „Gib Rechenschaft von deiner Verwaltung, du kannst nicht länger mehr Verwalter sein” und „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet” gepredigt. Unmittelbar danach meldeten sich beim SA Standortführer in Helgoland zwei SA Sturmmänner aus Dresden, die Kneips Ausführungen in der Kirche als staatsfeindlich anzeigten.
Nationalsozialistische Gesinnung
Einzelnen Geistlichen, die 1933/34 wegen politisch interpretierbarer Konflikte aus dem Amt scheiden oder entlassen wurden, stehen andere gegenüber, die sich in besonderem Maße für die nationalsozialistische Sache einsetzten und dafür auch Misshelligkeiten mit den eigenen Kirchenbehörden in Kauf nahmen. Der größere Teil der Anstaltspfarrer bewegte sich jedoch bis in die Kriegsjahre hinein in der Mitte des Spektrums, in er Anpassung und Dissens sich weitgehend vermischten, und geriet dabei weder mit dem NS System noch mit den kirchlichen Vorgesetzten in tiefgreifenden Konflikt. Das beruhte nicht zuletzt auf der wirksamen Ausblendung ganz wesentlicher Elemente der NS Herrschaft. Ein Beispiel dafür bietet der Umgang der Gefängnisgeistlichen mit den politischen Gefangenen des Systems. Dabei Muss allerdings unterschieden werden, welche Gruppen von Gefangenen die Strafanstaltsgeistlichen überhaupt meinten, sobald sie von „politischen” Gefangenen sprachen. Für die ersten Jahre des Dritten Reiches lassen sich hier im wesentlichen drei Gruppen festhalten. Politische Gefangene waren für die Strafanstaltsgeistlichen zum einen die oben angesprochenen Schutzhaftgefangenen, unter denen sich aus dem konfessionellen Blickwinkel überwiegend Juden und sogenannte Dissidenten befanden. Sie gehörten jedoch, wie oben beschrieben, nicht zur ortsüblichen Belegung einer Haftanstalt. Anders war es, wenn die Gefangenen als politisch Verurteilte in die Gefängnisse und Zuchthäuser kamen. In diesen Fällen bildeten sie seit dem Frühjahr 1933 in ihrer Mehrzahl eine deutlich wahrgenommene Gruppe von politischen „Überzeugungstätern”, die sich zum größten Teil aus verurteilten Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten zusammensetzte. Ihre Zuordnung zu den Überzeugungstätern erfolgte in den Rastern, die den Geistlichen aus der Weimarer Republik geläufig waren.
Sogenannte Überzeugungstäter und politische Gefangene bildeten bereits in der Weimarer Zeit eine besondere Gruppe. Die Diskussion um eine Trennung der politischen Gefangenen von kriminellen Straftätern und eine privilegierte Behandlung für Täter, die aus „nicht ehrlosen” Motiven handeln, hat dabei in der Strafvollzugsgeschichte eine lange Tradition, die mit adligen Privilegien und der Geschichte der Festungshaft verbunden ist. Die Privilegierung von politischen Überzeugungstätern, wie sie in der Weimarer Republik gehandhabt wurde, war allerdings den Strafanstaltsgeistlichen in der Regel höchst unwillkommen, kam sie doch den „falschen” Gefangenen zugute und förderte Haltungen, die der Gefängnisseelsorge unmittelbar zuwiderliefen. Schon in den Bundesratsgrundsätzen von 1897 hatte § 28 dem Überzeugungstäter das aus geistlicher Sicht höchst zweifelhafte Privileg gewährt, ihn von der Pflicht zur Teilnahme am Gottesdienst freizustellen. In den Augen der Pfarrer erkannte der gesetzliche Status diesen Gefangenen indirekt zu, dass ihre Tat zwar als strafbar geahndet werden musste, jedoch keine Schuld im moralischen Sinne darstellte. Demnach boten sie einer auf der Schuldanerkenntnis beruhenden Seelsorge keinen Anhaltspunkt. Im Gegenteil wurde ihr Einfluss innerhalb der Anstalten als besonders störend wahrgenommen, da sich in unliebsamer Weise auch die übrigen Gefangenen auf dieses Vorbild berufen konnten. Insbesondere die Aktivitäten von sogenannten Freidenkern im Strafvollzug waren ihnen ein Dom im Auge.
Gottesdienste für eigene Zwecke
Zu den Segnungen der neuen Dienstvorschriften zählte beispielsweise, dass „die Gefangenen, die aus politischen Gründen einsitzen und früher, durch Presse und Parteipolitiker verhetzt, vielfach zu Widersetzlichkeit neigten und dadurch große Schwierigkeiten bereiteten, sich heute willig einfügen.“ Außerdem kam es in manchen Anstalten zu einem vermehrten Kirchenbesuch gerade derjenigen Gefangenen, die sich damit von den politischen Gefangenen distanzieren wollten. Die politischen Gefangenen lernten ihrerseits, den Gottesdienst für eigene Zwecke zu nutzen. Häftlingsberichte, die die illegale Verbindungsaufnahme von Gefangenen untereinander zum Gegenstand haben, schilden immer wieder, dass die Kirche einen Umschlagplatz für Informationen darstellte: Vielerorts hätten gerade die Dissidenten sich eifrig zum Gottesdiensten angemeldet, „um Kassiber auszutauschen und eine Organisation herzustellen.“ Gefangene, die bei solchen Verbindungsaufnahmen entdeckt wurden, hatten allerdings mit harten Strafen wie Kostentzug und Dunkelarrest zu rechnen und durften auf keinerlei Unterstützung durch die Geistlichen hoffen. Erst die Zuspitzung der Verfolgung von politischen Gegnern, mit deren Motiven und Milieus die Seelsorger sich stärker verbunden fühlten, signalisiert nach Beginn des Zweiten Weltkriegs bei einigen Gefängnispfarrern ein spätes Umdenken.
Zunehmende Kirchenfeindlichkeit
Wie schon das Schwellenjahr 1933 bildet auch der Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 eine Bruchstelle, die uns im Rückblick schärfer erscheint als den Zeitgenossen im Augenblick des Geschehens. Dennoch ist der Charakter einer Zäsur durch den Kriegsbeginn unübersehbar. In immer rascherer Folge wurden nun traditionelle gesetzliche Grundlagen durch bloße Verfügungen ersetzt, die während des expansiven Vernichtungskriegs nach außen die nationalsozialistischen Selektions- und Mordprogramme nach innen deckten. Die Geschichte des Strafvollzugs unter diesen Bedingungen ist noch nicht geschrieben und kann hier nur angedeutet werden. Fest steht, dass die ohnehin schon unerträglichen Zustände in den Haftanstalten nach Kriegsbeginn durch die außerordentlich hohe Arbeitsbelastung, die drastisch verschlechterte Ernährungslage und die anhaltende Überfüllung der Anstalten noch verschlimmert wurden. Eine erste Rundverfügung des Reichsjustizministers Fürtner vom 28. Oktober 1939 gab in vier Punkten die Richtung an, und die die Entwicklung gehen sollte: die Selbstbeschäftigung der Gefangenen wurde zugunsten „volkswichtiger Arbeit” verboten, die tägliche Arbeitszeit auf zwölf Stunden erhöht, und für jede Art von Arbeitsverweigerung wurden unnachsichtige Strafen angekündigt. Gleichzeitig wurde der strenge Arrest als Hausstrafe allgemein zulässig. Eine zweite und bei weitem noch nicht hinreichend untersuchte Tendenz bildete dann die immer stärkere Verschmelzung mit den nationalsozialistischen Selektionsprogrammen, die seit 1942 ihren Ausdruck in der Abschiebung von Justizgefangenen in die Konzentrationslager „zur Vernichtung durch Arbeit“ fand. Ebenso wurden seither Strafgefangene, die eigentlich als nicht wehrwürdig galten, aus den Haftanstalten in sogenannte Bwährungsbataillone überstellt, die sie an der Front in mörderischen Einsätzen „verheizten“.
Die Veränderungen trafen auch die Gefängnisgeistlichen und waren von der zunehmenden Kirchenfeindlichkeit des NS Regimes geprägt, die nicht nur in der Strafjustiz immer schärfer zutage trat. Zwar hielt die reichseinheitliche Strafvollzugsordnung von 1940 weiterhin am Prinzip der amtlichen Vermittlung von christlicher Seelsorge für die Gefangenen fest und sah unverändert die Anstellung von hauptamtlichen Geistlichen im Justizdienst vor. Sie beschränkte deren Wirken jedoch eng auf Gottesdienste und rein religiöse Anliegen und bot damit nur noch geringe Freiräume gegenüber der Anstaltsleitung und den Aufsichtsbehörden. Das zeigte sich beispielsweise in Konflikten um die religiöse Lektüre der Gefangenen und beim Verbot der Seelsorge an inhaftierten Polen.
Der Amtsantritt des neuen Reichsjustizministers Otto Thierack im August 1942 verschlechterte dann die Lage der Gefängnisseelsorge noch weiter. Obwohl von beiden Kirchen wiederholt Eingaben an das Ministerium gerichtet wurden, die eine Rücknahme von Einschränkungen in der Seelsorge für die Gefangenen und eine Verbesserung der Betreuung von Todeskandidaten verlangten, blieb der Erfolg in der Regel aus. Nur der gleichzeitig von evangelischen und katholischen Bischöfen aus ganz Deutschland erhobene Protest gegen das im September 1944 ausgesprochene Verbot von Gottesdiensten in den Haftanstalten führte zu einer Rücknahme der Maßnahme, die freilich im Rahmen des Kriegsgeschehens nur noch geringe Auswirkungen hatte.
Zustimmung zum Sanktionssystem
Die Frage nach dem Verhalten der Gefängnispfarrer in der Kriegszeit kann sich allerdings nicht in einer Beschreibung der zunehmend restriktiven und schließlich offen kirchenfeindlichen Politik der Reichsjustizverwaltung erschöpfen. Beid er Mehrzahl der Geistlichen stieß die veränderte Strafpraxis des Nationalsozialismus nicht auf grundsätzliche Bedenken, sondern im Gegenteil auf Zustimmung. Die Abkehr von der als „Humanitätsduselei” empfindenden „Verweichlichung” des Weimarer Reformvollzugs erschien ihnen wie die Rückwendung zum Straf- und Sühneverständnis einer gottgewollten Daseinsordnung, die auch als nationale oder völkische Schicksalsgemeinschaft mit dem kirchlichen Selbstbild vereinbar blieb. Zum Konflikt mit dem neuen Sanktionssystem, das unter scheinbar vertrauten Begriffen wie dem des „Strafübels” auf neuartige Formen der Ausbeutung und Selektion gerichtet war und in den Anstalten mittels beispielloser Härte durchgesetzt wurde, kam es in der Regel nur, wenn die traditionelle Mitwirkung der Geistlichen daran behindert oder beschnitten wurde. Mehr lesen / ausdrucken…
Brigitte Oleschinski