Hinter Gittern herrscht oft ein raues Klima. Sowohl unter Bediensteten wie unter den Inhaftierten. Ist an diesem AndersOrt eine gewaltfreie Kommunikation möglich? Um dies herauszufinden machen sich zehn GefängnisseelsorgerInnen bei der Justiztagung in Nordrhein-Westfalen auf Spurensuche. Sie treffen sich mit der Mit-Gründerin des Netzwerks Gewaltfreie Kommunikation in Leipzig e.V. Ariane Brena.
Schon zu Beginn gibt es am Tagungsort der Johanniter Akademie in Münster viele Situationen zu erzählen, wie in einer Justizvollzugsanstalt eine gewaltfreie Kommunikation erschwert oder gar blockiert wird. Im hierarchischen System werden Urteile gefällt, Kritik geübt oder bestimmte An-Forderungen gestellt. Die Gefangenen kommen aus verschiedenen Biografien konzentriert an einem Ort zusammen. “Auch die Gesellschaft ist Jahrhunderte so geprägt worden, dies und jenes zu be- oder zu verurteilen”, sagt die Coachin Ariane Brena. “Aber dass es bei jedem Menschen Bedürfnisse gibt, die dahinter stehen können, wird weniger in den Blick genommen”, führt die Leiterin der Tagung aus. Menschen benutzen unterschiedliche Strategien, sich ihre universellen Bedürfnisse zu erfüllen. Etliche davon sind tragisch und erfüllen nicht das tatsächliche Bedürfnis. Suchterkrankungen oder alte Verhaltensmuster können solche Stratgien sein.
Eigene Übungen
Brena erzählt ein Beispiel aus einer Justizvollzugsanstalt in Sachsen, in der sie einen Kurs mit Inhaftierten und Bediensteten angeboten hat. Ein Gefangener habe ihr am Ende des Seminares, das über ein Jahr ging, gesagt, dass seine Freundin festgestellt habe, dass er jetzt besser zuhören könne. Erst einmal zuhören ist angesagt bei der Vorstellungsrunde der evangelischen und katholischen GefängnisseelsorgerInnen. Mit Karten soll man sich in Zweiergruppen beispielsweise erzählen, welchen Augenblick jemand gerne noch einmal erleben möchte. Oder welches Bedürfnis man sich heute bereits erfüllt hat. Es geht um das Einüben mit einer Haltung, den Anderen zu würdigen ohne diesen festzulegen mit Sätzen wie “Du bist immer…” oder “Wie üblich…” Es geht um eine dynamische Sprache, die das “in Kontakt kommen” ermöglicht, was die Menschen bewegt. Im Gefängnis wollen Inhaftierte weniger miteinander in Kontakt kommen, weil subkulturelle Gegebenheiten und strafende Maßnahmen sie in der Haltung des “sich schützen” bringen kann.
Marshall Rosenberg
Die Gewaltfreie Kommunikation wurde in den 1960er Jahren von dem US amerikanischen Psychotherapeut Marshall Rosenberg (1934 – 2015) entwickelt. Er beschäftigte sich mit der Frage, wie Kommunikation so gestaltet werden kann, dass Menschen zur Bereitschaft zurückfinden, sich selbst auf die Spur zu kommen. Die Grundlage bildete unter anderem die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers. Aus diesem Ansatz übernimmt Marshall Rosenberg die Bedeutung von bedingungsfreier Wertschätzung, Authentizität (Kongruenz) und Empathie sowie den Gedanken der steuernden Funktion von Bedürfnissen. Marshall Rosenberg ergänzte ein wesentliches Element, dem Aspekt der Selbstempathie. Auch Mahatma Gandhis Überlegungen zur Gewaltfreiheit haben Marshall Rosenbergs Arbeit beeinflusst. Wie rede ich mit anderen und mit mir selbst? “Ein erleuchteter Egoismus und die Verbindung mit sich selbst lässt Empathie zum anderen entwickeln”, erzählt die Referentin.
In Verbindung miteinander kommen
Die Giraffe ist das Symboltier für die Gewaltfreie Kommunikation. Mit ihrem langen Hals hat das Tier einen wunderbaren Überblick über die Situation und kann von oben alles überblicken. Dadurch hat sie mehr Abstand und ein großes Herz. Das Herz einsetzen, empathisch sein und versuchen, miteinander in Verbindung zu kommen. Dies gelingt dann, wenn die Bedürfnisse hinter dem Verhalten oder der Problemstellung gefunden werden kann. In den seelsorgerlichen Gesprächen mit Gefangenen und Inhaftierten kann ich “mittanzen”: Was denkst Du, welches Bedürfnis steckt dahinter, welche Gefühle hast Du und wie geht es Dir jetzt dabei? Durch die Fragestellungen kann jemand sich selbst erforschen und kommt damit mit sich selbst in Kontakt. “Das emphatische Hören der anderen Person ist genauso wichtig, wie das eigene Sprechen”, betont Ariane Brena.
Ein Bediensteter des Justizvollzuges in Sachsen erwidert auf die Feststellung eines Gefangenen, dass er eh nur als Inhaftierter gesehen wird und nichts zu sagen hätte: “Nein, ich sehe Sie als Menschen, der zur Zeit weniger Freiheit hat als ich”, sagt dieser. Er öffnet damit Türen und hat eine Verbindung zu dem Gefangenen geschaffen. Daher ist eine emphatisch-wertschätzende Kommunikation um so mehr hinter den Mauern gefragt. “Man muss nicht nach den Bedürfnissen fragen. Eher die andere Sprache wieder zu lernen: Geht es Dir um… Vermisst Du…? Oder: Was fehlt Dir… Brauchst Du (mehr)…” fügt die erfahrene Referentin hinzu.
Michael King