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Geschlossene Türen. Nicht mehr ein X für ein U machen

23. Dezember 2020

Im Film „Der Hauptmann von Köpenick“ lässt der Gefängnispfarrer die Gefangenen den Choral anstimmen: „Bis hierher hat mich Gott gebracht“. Sehr fein ist die Doppelbödigkeit dieser Aussage in Szene gesetzt. Ich bin immer wieder amüsiert über diese Art der Situationskomik. Doch nun muss ich über mich selbst lachen. In den Vorbereitungen für den Gottesdienst am 1. Advent in der JVA ist ein Lied quasi gesetzt: „Macht hoch die Tür die Tor macht weit“. Und meine Gedanken sind längst bei anderen Liedern, als ich merke, die Falle hat längst zugeschnappt.

„Macht hoch die Tür die Tor macht weit“ ist fast so gut wie „Tag der offenen Tür“ – wohlgemerkt: im Gefängnis! Ich weiß, das ist ein alter Kalauer! Aber es ist immer wieder gut. Natürlich muss ich damit rechnen, dass jemand nachfragt. „Was singen wir da eigentlich?“ Und diese Frage wird nicht etwa aus Naivität oder gar Dummheit gestellt. Ich erleben es in unseren Gottesdiensten im Jugendvollzug immer häufiger, dass ich ‚beim Wort genommen werde‘. Sicherlich wird vieles hinter den Mauern eines Gefängnisses einfach nur hingenommen, weil es eine willkommene Abwechslung ist.

Die Knastwelt ein wenig schöner gestalten? Im Gefängnis lassen sich Inhaftierte nicht ein X für ein U vormachen. Sie sind sensibel für geschlossene und offene Türen.

Situationskomik im Knast

Doch in unseren Gottesdiensten kommt es zunehmend zum Widerspruch, wenn etwas nichts mehr mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu tun hat oder vollkommen abgehoben klingt. Also: “Macht hoch die Tür die Tor macht weit“, was für ein Quatsch! Ich habe noch mehr als zwei Jahre!“ höre ich bereits jetzt schon jemanden vor sich hin murmeln. Ich bin noch einmal bei diesem Gefühl der Situationskomik. Wir sind einerseits amüsiert. Wir lachen aber eher in uns hinein als laut auf, weil uns das laute Gelächter im Hals stecken bleibt. Denn Situationskomik macht uns andererseits auch betroffen, weil irgendjemand nicht merkt, wie absurd die Situation gerade ist.

Eine absurde Situation

Wenn wir im Advent dieses Lied singen oder nur hören, dann ist das normal, weil es Teil unserer Advents- und Weihnachtstradition ist. Aber eigentlich sollte es genau anders sein. Die Befehlsgeber wollen eine ganze Stadt, ja ein ganzes Land geradezu aufwecken, aus dem Tritt bringen und aus dem Alltäglichen herausrufen, um am Ende uns für den Empfang des großen und allmächtigen Königs bereit zu machen. „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe“ heißt es in Psalm 24.

Bleibt die Frage, ob wir nicht längst auch in derselben absurden Situation stecken? Wir singen oder hören diesen Auftrag, kehren dann aber sogleich zu unseren Gewohnheiten zurück und nehmen ebenfalls dieses Lied nicht ‚beim Wort‘. Die Jugendlichen im Gefängnis bekommen zwangsläufig ein neues Gefühl für offene Türen und Tore, bzw. für geschlossene Türen und Tore, und lassen sich dabei auch nicht mehr ein X für ein U vormachen. Vielleicht sollten gerade wir, die wir alle Freiheiten haben und in Freiheit leben, doch noch einmal genauer hinsehen, welche Tore und Türen für uns immer noch verschlossen sind. Damit wir in der Advents- und Weihnachtszeit nicht nur das Allvertraute erwarten, sondern den, der am Ende alle Tore und Türen aus den Angeln heben wird, den Sohn Gottes geboren in der Absurdität eines Stalls.

Stefan Thünemann

 

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