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Gehen Sie in das Gefängnis. Gehen Sie direkt dorthin

23. Februar 2020

In dem Buch „Gehen Sie in das Gefängnis. Gehen Sie direkt dorthin“ werden inhaftierte Menschen vom Braunschweiger Gefängnisseelsorger Franz-Josef Christoph porträtiert. Gemeinsam mit der ehemaligen Anstaltsleiterin Katharina Bennefeld-Kersten erzählt er von traurigen, komischen und auch aberwitzigen Begegnungen. Den Titel „Gehen Sie in das Gefängnis“ haben die Autoren vom Monopoly-Spiel entnommen – als positive Provokation.

Die Autoren erzählen in 18 berührenden kurzweiligen Geschichten den Alltag im Strafvollzug in dieser etwas anderen Welt. Leser lernen einen verhinderten Bankräuber kennen, erleben, was in einem flüchtigen Sicherungsverwahrten vorgeht, der von einem Kriminalkommissar besucht wird. Sie erfahren, wie man mit viel Glück trotz Festnahme den Sieg der Deutschen im Viertelfinale beim Public Viewing feiern und wie man Dämonen vertreiben kann.

„Ich habe Geschichten genommen, die mir in Erinnerung geblieben sind, die mich beschäftigt und bewegt haben“, sagt der Gefängnisseelsorger.

Verbrechergeschichten nicht „made in Hollywood“

Dabei legen Bennefeld-Kersten und Chris­toph ihren Fokus nicht aufs Spektakuläre wie die Doku-Soap „Hinter Gittern“ eines bekannten Privatsenders. „In dem Buch werden Geschichten erzählt von Menschen hinter Gittern – mit deren Schicksal, mit deren Tat- und Schuldvorwürfen, mit ihren Fragen und Ängsten. Geschichten, die man sonst so nicht mitbekommt über die Medien, die nicht so transportiert werden.

„Es ist alles nicht so sensationell und spektakulär, wie wir das aus dem Fernsehen so kennen oder aus Hollywoodfilmen“, erläutert der katholische Theologe. Meist nehmen die Häftlinge nach dem gut besuchten Gottesdienst am Samstag oder Sonntag Kontakt mit ihm auf. „Ich habe Geschichten genommen, die mir in Erinnerung geblieben sind, die mich beschäftigt und bewegt haben. Die habe ich dann entsprechend mit der Freiheit des Autors gestaltet“, sagt der 63 jährige über seinen Erfahrungsschatz. Er hat sie so verfremdet, dass die vorkommenden Personen nicht wiederzukennen sind. Christoph arbeitet seit 2001 als Seelsorger in der Braunschweiger Justizvollzugsanstalt auf dem Rennelberg, zuvor in der Psychiatrie und im Maßregelvollzug.

Dabei geht es in einem Großteil seiner Kurzgeschichten um seine Rolle als Seelsorger. Die eigentlichen Straftaten spielen hingegen keine besondere Rolle. Ausnahme ist die Story rund um Mustafa, einen Teppichhändler Mitte 40, der seine Ehefrau sexuell missbraucht haben soll. Nachdem er zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde, wendet sich seine Ehefrau total verzweifelt an Christoph. Sie habe die Anschuldigungen nur erfunden, weil sie so gekränkt über die Affären ihres Mannes gewesen sei. Nun wolle sie seinen Platz im Knast wegen der falschen Anschuldigungen einnehmen. Mustafa winkt ab: Der Fall sei abgeschlossen, ihr Platz sei bei den Kindern.

Die Erzählungen illustrierte Sabine Wilharm, die das Cover des Harry Potter-Buches zeichnete.

Kontakt über ein Projekt der Gefängnisseelsorge

Die Idee zum Buch kam von Katharina Bennefeld-Kersten. „Wir haben uns über die Gefangenentelefonseelsorge kennengelernt. Sie hat das Projekt bei uns in Niedersachsen auf den Weg gebracht und mich gefragt, ob ich nicht Lust habe, mit ihr zusammen ein Buch zu schreiben mit Kurzgeschichten von Gefangenen hinter Gittern“, sagt der Gefängnisseelsorger. Bennefeld-Kersten, Jahrgang 1947, arbeitete als Anstaltsleiterin in der JVA Salinenmoor. Die promovierte Diplom-Psychologin war dort zuständig für langjährig Inhaftierte und Sicherheitsverwahrte. Daneben forschte sie über Gefangene, die sich in der Haft selbst das Leben nahmen.

Eines ihrer Ergebnisse war, dass die Suizidgefahr in den ersten 14 Tagen der Inhaftierung am größten ist. Deshalb initiierte sie in Niedersachsen 2010 ein in Deutschland einmaliges Projekt: Untersuchungshäftlinge haben in ihrer Zelle ein Telefon, mit dem sie anonym zwischen 21 Uhr abends und 6 Uhr morgens mit einem Seelsorger von der katholischen oder evangelischen Kirche über ihre Probleme sprechen können. Diese Telefone – mit denen man ausschließlich mit den Gefängnisseelsorgern telefonieren kann – sind inzwischen in fast allen niedersächsischen Haftanstalten installiert.

Sabine Moser | Mit freundlicher Genehmigung: Kirchen Zeitung

 

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