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Der Wille zur Veränderung: Der Fluch der bösen Tat

15. Juli 2022

Diebstahl, Betrug, Körperverletzung, Drogengeschäfte. Verurteilt zu zwei, drei und mehr Jahren Gefängnis. In der rheinhessischen Justizvollzugsanstalt Rohrbach sitzen sie ein: 370 Männer und 60 Frauen. Manche von ihnen denken in den mitunter langen und zähen Stunden Ihres Haftalltags über ihr bisheriges Leben nach. Vor allem auch über die Folgen ihres kriminellen Tuns für sie selbst. Und manche von ihnen suchen darüber auch das Gespräch.

Hubert Frank ist für sie da. Der hauptberufliche Diakon ist einer der Gefängnisseelsorger, speziell ausgebildet für die Arbeit mitgewalttätigen Männern. Zum Beispiel Z. Verurteilt wegen vielfacher Delikte rund um den Drogenhandel. Er ist in einer patriarchalen Kultur aufgewachsen, wurde in der Familie als Jüngster unter mehreren Geschwistem ständig gedemütigt und geschlagen. Schon als Junge greift er zu Drogen, steigt später dann ins Drogengeschäft ein und verdient viel Geld damit. Die Gewalt, die er in seiner Familie erlebt hat, gibt er an andere, Schwächere, weiter. Mit dem Geld entkommt er der Armut, in der er aufgewachsen ist. „Das viele Geld verleiht ihm nun Macht und Einfluss“, sagt Hubert Frank, der mit Z. über die Folgen seines kriminellen Lebenswandels gesprochen hat. „Aber er erkennt auch klar den Teufelskreis, in dem er sich befindet“, erzählt der Diakon: „Indem er alles daransetze, aus dem eigenen Sumpf herauszukommen, stürze er andere mit dem Drogenverkauf ins Unglück, bekennt er selbst.“ Was Z. vor allem erkennt und beklagt: Sein kriminelles Verhalten sei zur Gewohnheit geworden, er könne es einfach nicht abstellen, er sei darin gefangen. Bislang fehlt ihm offenbar die Kraft, dies zu ändern. Vielleicht auch der letzte Wille?

Die Justizvollzugsanstalt Rohrbach. Foto: Justiz Rheinland-Pfalz

Ich hoffe sehr für ihn

„Völlig perplex war er“, erzählt der Seelsorger, „als s ihm seine inzwischen mit ihm verlobte Freundin, eine Deutsche, erklärt, dass sie sein Geld nicht wolle, es gehe ihr um ihn, sie liebe ihn. Z. erlebt hier zum e ersten Mal, was eine echte Beziehung ist: Er wird akzeptiert, so, wie er als Person ist.“ Denn in dem Milieu, in dem er aufgewachsen ist, gebe es das nicht: ehrliche, tiefe, vertrauensvolle Beziehungen hatte Z. dem Seelsorger erzählt. Da werde betrogen und gelogen, jeder sei nur sich selbst der Nächste. Z. selbst – so der Eindruck von Hubert Frank – sehne sich nach verlässlichen Beziehungen, spüre aber sofort sein tief verankertes Misstrauen, das bislang jeden Ansatz einer tragfähigen Partnerschaft zerstört hat. Wie geht das: eine ehrliche Beziehung? Das fragt sich dieser Mann. Hubert Frank glaubt, dass die neue Beziehung einen Wandel bringen könne. “ Ich hoffe es sehr für ihn.“

Über sein Leben reden

Eine akzeptierende Beziehung erleben die Häftlinge allein schon in der Begegnung mit dem 63-jährigen Seelsorger. „Mein Plus ist, dass ich nicht zum Justizvollzugssystem gehöre“ sagt Hubert Frank über seine Position. „Mir können die Häftlinge vertrauensvoll alles erzählen, denn sie wissen, dass ich nichts an die Gefängnisleitung weitergebe.“ Aber es braucht Zeit, bis Vertrauen und Akzeptanz, die zentralen Grundhaltungen in seinen Gesprächen, wachsen. Auch N., wegen unterschiedlicher Delikte – Diebstahl, Unterschlagung, Urkundenfälschung, Betrug – zum wiederholten Mal zu mehreren Jahren Haft verurteilt, nimmt die Gelegenheit gerne wahr, über sein Leben zu sprechen. Die Rede vom „Fluch der bösen Tat“ macht ihn sofort an, sodass er seine Gedanken sogar aufschreibt. Eine seiner Erkenntnisse formuliert N. so: „Der größte Fluch ist für mich, dass ich mich selbst schleichend seelisch deformiert und selbst zerstört habe. „Ich habe mich auf dem Lebensweg verloren.“

Eltern hätten auch mit Fluch zu kämpfen

N. wächst in einer Großfamilie auf, die mit der Zeit zur Patchwork-Familie wird. Die Verhältnisse sind kompliziert. Viele Geschwister. Die Eltern wollen das Beste für sich und die Kinder. Doch sie scheitern, fühlen sich überfordert. Ständig wird gestritten, schließlich die Trennung. N. findet keinen Halt, vermisst Liebe und Beachtung, gleitet ab ins kriminelle Milieu. Er nimmt Drogen, lenkt sich ab. Er schreibt von „negativen Erlebnissen“ und „Ohnmachtsgefühlen“, die er mit den Drogen betäubt habe. Im Rückblick macht N. das starke Leistungsdenken in der Gesellschaft, dem die Eltern entsprechen wollten, für seine Entwicklung mit verantwortlich. Eine Schuld will er den Eltern aber nicht geben, „sie hätten.auch schon mit einem Fluch zu kämpfen“. Also ein Wegschieben der Verantwortung von sich selbst auf andere, auf die Gesellschaft? Nicht ganz. Denn als Erkenntnis formuliert N. auch: „Ich bin in die Irre gelaufen und habe den Fluch für mich selbst heraufbeschworen. Er hätte also auch einen anderen Weg einschlagen können.

Gefühle als Bedrohung

Die Fragen „Wer bin ich wirklich?“ und „Wie kann ich mein Leben ändern?“ sind für viele Häftlinge die entscheidenden. Das hat Hubert Frank in den sechs Jahren, seit er in der Haftanstalt arbeitet, erfahren: „Wir lassen in den Gesprächen das Innere Kind zu Wort kommen: mit seiner Wut, seinem Hass, seiner Verzweiflung, aber auch seinen Sehnsüchten nach Liebe, Zuwendung, Akzeptiert-Werden. Sodann versuchen wir gemeinsam, die Perspektive des Erwachsenen-Ich´s zu stärken, das die kindlichen Bedürfnisse wahrnimmt, zu verstehen sucht und dadurch vielleicht besser beherrschen lernt. Es kommen dann natürlich auch eher weiche Gefühle zur Sprache, die Erfahrung von Abhängigkeit und Schwäche-Gefühle, die gerade von vielen dieser harten Männer als eine sehr große Bedrohung erlebt werden.“

Nur ein frommer Wunsch?

N.´s größte Angst ist es, von seiner Familie verstoßen zu werden. Denn das ist das Schicksal vieler kriminell gewordener Häftlinge: der Bruch mit der Herkunftsfamilie. „Bei mir“, schreibt N., „wird es auch jedes Mal schlimmer mit dem Bruch in der Familie, speziell zu bestimmten Familienmitgliedern“. Hubert Frank beschreibt den Häftling als sehr reflektiert und wissbegierig. „Er hat inzwischen gelernt, dem nachzuspüren, was in ihm selbst vorgeht. Das konnte er früher nicht. Auch macht er sich Gedanken über das Leben überhaupt, er liest viel und denkt über Gott nach.“ So glaubt N., in seinen schriftlich fixierten Gedanken am Ende festhalten zu können: „Nach vielen Höhen und Tiefen kann ich endlich sagen, dass ich selbst aus eigener Kraft mit der Unterstützung des barmherzigen Gottes wieder aus diesem Fluch herausgefunden habe.“ Er sehe jetzt einer „glücklicheren, hoffnungsvollen und selbstachtenden Zukunft entgegen“. Ist das nur ein frommer Wunsch? Hubert Frank wiegt nachdenklich den Kopf: „Sei es, wie es ist, ich sehe es jedenfalls als meine Aufgabe an, den Optimismus und jeden Ansatz von neuem Selbstvertrauen bei den Häftlingen zu stärken, ja regelrecht zu befeuern.“

Hartmut Messmann | Mit freundlicher Genehmigung: Publik Forum EXTRA THEMA | Ausgabe Juli 2022

 

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