Nachts schlafen sie wie alle anderen in ihren Zellen hinter Schloss und Riegel. Aber morgens dürfen ein paar Gefangene das Vechtaer Frauengefängnis für ein paar Stunden verlassen. Denn: Ihr Ausbildungsplatz ist derzeit gut 200 Meter jenseits von Mauern und Gittern – im Antoniushaus. Die meisten Gäste der kirchlichen Tagungs- und Bildungsstätte werden davon wohl gar nichts mitbekommen.
Ungewöhnlich ist es trotzdem, dass derzeit dort mittags nicht nur das übliche Küchenteam für einen gedeckten Tisch sorgt, sondern an den meisten Wochentagen auch Häftlinge aus dem Vechtaer Frauengefängnis. Seit März und noch mindestens bis zum kommenden Frühjahr hat die Justizvollzugsanstalt (JVA) ihre Lehrküche ins Antoniushaus verlegt. Umfangreiche Umbauarbeiten im Gefängnis sind der Grund. Als Ausweichquartier stand zunächst eine teure und enge Container-Lösung im Innenhof der Strafanstalt zur Debatte. Dann jedoch waren die beteiligten Verantwortlichen der JVA, des Ludgerus-Werks Lohne und der Kreisvolkshochschule in Vechta als Träger der Ausbildung auf die Idee mit dem Antoniushaus gekommen.
Ein Gewinn für beide Seiten
Die befristete Übernahme der Bildungshaus-Küche sei ein Gewinn für alle, betonen die Verantwortlichen. Für die Gefangenen, weil ihre Ausbildung nicht unterbrochen werden muss. Für das Antoniushaus, weil auch dessen Gäste profitierten, wie die Leiterin Petra Focke mit Blick auf Küchenmeister Frank Schmidt und sein Team meint. „Er kann mit seinen Mitarbeitern etwas Besonders bieten. Das könnte das Antoniushaus mit seinem begrenzten Personal nicht leisten.“ In der Küche lernen inhaftierte Frauen zusammen mit Nichtinhaftierten, die das Arbeitsamt vermittelt hat. Derzeit bereitet Küchenmeister Frank Schmidt drei Umschülerinnen und einen Umschüler auf die Prüfung vor der Industrie- und Handwerkskammer vor. Außerdem schult eine Frau zur Küchenhelferin um.
Außerhalb der Mauern kochen
Das JVA-Team ist von montags bis donnerstags jeweils mittags für das Essen zuständig. Um Frühstück, Abendbrot und die Verpflegung am Wochenende kümmern sich weiterhin die Mitarbeiterinnen des Antoniushauses. Die werden weiterhin gebraucht, betont Petra Focke. „Sie können aber in dieser Phase der Zusammenarbeit mit der JVA andere Aufgaben erledigen oder Überstunden abbauen.“ Auch für die inhaftierten Frauen unter den Auszubildenden hat das Experiment im Antoniushaus Vorteile. Weil es für sie etwas Besonderes bedeutet, außerhalb der Gefängnismauern kochen zu dürfen, ohne dauernde Aufsicht. „Es ist eine Anerkennung, dass wir ihnen das Vertrauen schenken, erklärt Edith Reißnauer, Fachbereichsleiterin Bildung der Gefangenen in der JVA.
Spätere Berufschancen sind sehr gut
Völlig ohne Kontrolle läuft das Projekt indes auch nicht. Wenn Küchenmeister Schmidt mal früher zum Feierabend bläst, ruft er vorher in der JVA an – und fünf Minuten später müssen die Frauen vor der Gefängnistür stehen. Die späteren Berufschancen der Auszubildenden nennt Edith Reißnauer „glänzend“. „Koch ist ein Mangelberuf ähnlich wie Altenpfleger oder Restaurantfachfrau. Mit dem Facharbeiterbrief der IHK in Händen ist es leicht, eine Stelle zu finden.“ Dazu kommt der gute Ruf der Gefängnis-Lehrküche. Immer wieder sprechen Restaurants aus der Umgebung Frank Schmidt auf fähige Nachwuchsköche an.
Michael Rottmann | Kirche+Leben Netz