Was ist ein angemessener Umgang mit unserer deutschen Vergangenheit? Kann es überhaupt eine „angemessene“ Antwort geben, die dauerhaft Bestand hat? Muss unsere Haltung nicht vielmehr immer wieder neu gegen die Anfragen und Verharmlosungen jeder neuen Generation justiert werden?
Ein Blick auf die Jahrzehnte seit Kriegsende zeigt sehr verschiedene Phasen: Im Nachkriegsdeutschland konnten zunächst zahlreiche Täter „ungeschoren“ Karriere machen, auch in Justiz und Politik. Statt Umgang mit der eigenen Vergangenheit stand Neubeginn und Wiederaufbau auf der Agenda. Erst mit der 68er Generation kamen massiv kritische Anfragen auf und eine intensive Aufarbeitung wurde eingefordert. Die Filmserie „Holocaust“, neue Curricula in den Schule – als ich 1981 Abitur machte, gehörte ich zu einer Schülergeneration, die sich mit der verbrecherischen NS-Vergangenheit intensiv auseinandergesetzt hatte. Dann kamen mit der Wende neue Herausforderungen dazu, sowohl die Auseinandersetzung mit dem SED-Unrecht als auch das weitgehende Fehlen einer Aufarbeitung der NS-Verbrechen in der ehemaligen DDR.
Inzwischen gilt Deutschland als vorbildlich in der Aufarbeitung seiner NS-Vergangenheit. Einigen, wenn auch insgesamt nur wenigen, Kriegsverbrechern wurde der Prozess gemacht. Es gibt eine Erinnerungskultur, zahlreiche Gedenkstätten, Entschädigungszahlungen für Opfer. Dankbar registrieren wir, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes erfolgreich aus den Erfahrungen der NS-Zeit Lehren gezogen haben.
Sich der Verantwortung stellen
Doch im Verhältnis zur eigenen Geschichte gab es immer auch die Tendenz zur Verharmlosung: „Schließlich war ja Krieg.“ – „Andere Staaten sind auch keine Unschuldslämmer.“ – „Kann es nicht mal gut sein?“ – „Alles schon so lange her.“ Das zeigte sich z.B. deutlich im Zusammenhang mit den Wehrmachtsausstellungen ab 1995 und dem Bau des 2005 eröffneten Holocaust Mahnmals in Berlin.
Heute gilt mehr denn je: Es ändern sich zwar die Rahmenbedingungen, die Verantwortung sich zu stellen, bleibt bestehen. Jetzt wird uns bewusst, dass bald die letzten ZeitzeugInnen verstorben sein werden, sowohl Überlebende des Holocaust, als auch Frauen und Männer, die aus eigenem Erleben über die Schrecken des Kriegs erzählen können. Wir erleben einen neuen, wachsenden Nationalismus, der die deutschen NS-Kriegsverbrechen negiert oder relativiert und wie der AfD Politiker Gauland die NS-Zeit zum „Vogelschiss“ der deutschen Geschichte erklärt. Es mangelt manchen SchülerInnen offenbar schlicht an Wissen über die NS-Zeit. Manche mit Zuwanderungsgeschichte kommen aus einem antisraelischen und antijüdischen Kontext. Ihnen muss klar gemacht werden, dass wer dauerhaft in Deutschland heimisch werden will, sich auch mit diesem Teil der deutschen Identität auseinandersetzen muss und sich von der Verantwortung, die wir alle tragen, nicht freisprechen kann. Wir sollten umgekehrt nicht vergessen, mit welchen Gewalt- und Traumaerfahrungen manche Zuwanderer bei uns ankommen. Können da empathische Offenheit und klare Haltung, die auch persönliche Grenzen aufzeigt, zu Brückenbauern über die unterschiedlichen Biographien hinweg werden?
Für eine friedliche Gegenwart und Zukunft
Wir wollen sie einen Beitrag leisten zu einer Kultur, die eine gewaltsame Vergangenheit weder verharmlost noch verdrängt, sondern so aufarbeitet, dass eine friedliche(re) Gegenwart und Zukunft möglich werden. Als Menschen bringen wir, neben unserer fachlichen Expertise, natürlich eigene Erfahrungen mit der Aufarbeitung gewaltbelasteter Vergangenheit mit. Immer müssen gemeinsam mit den Menschen vor Ort kulturell und situativ angepasste Lösungen entwickelt werden. Dabei arbeiten wir aus christlicher Identität heraus, bietet diese doch reiche Quellen zu einem konstruktiven Umgang mit eigener und fremder Schuld und Versöhnung.
Die Erfahrung des Umgangs mit der eigenen gewaltsamen Vergangenheit macht uns nicht zu allwissenden ExpertInnnen, aber hoffentlich zu sensiblen WeggefährtInnnen für Menschen und Gesellschaften, die diesen schmerzvollen und langen Weg der Aufarbeitung beschreiten. Gleichzeitig kommen Menschen aus anderen Kulturen mit neuen Erfahrungen zurück und hinterfragen kritisch unseren Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Viele Beispiele lehren, dass Verdrängung von erlittenem Unrecht oft zu neuem Unrecht führt. Doch Gewalt und ihre Folgen müssen nicht das letzte Wort haben, solange wir bereit sind, uns ihnen zu stellen.
Dr. Claudia Lücking-Michel | AGIAMONDO contacts