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Einsamkeit im Gefängnis: Gift, das durch den Körper strömt

27. November 2021

„Herr Pfarrer, ich halte das hier nicht aus, ich habe Angst alleine in der Zelle, ich war noch nie wirklich alleine“ – ein Satz, den ich oft in Gesprächen mit Inhaftierten, die neu in die baden-württembergische Justizvollzugsanstalt Bruchsal kommen, höre. Seit 14 Jahren arbeite ich als Gefängnisseelsorger in der JVA Bruchsal. Einsamkeit ist ein beherrschendes Thema in der Haft. Nur wenige Inhaftierte trauen sich darüber zu sprechen. Nicht selten sehen Gefangene nur noch im Selbstmord einen Ausweg. Besonders bei denjenigen, die sich wegen einer Straftat selbst der Polizei gestellt haben und die bis zur Gerichtsverhandlung nicht in Untersuchungshaft waren, ist der Haftbeginn ein harter Einschnitt und bringt eine komplette Veränderung des Lebensalltags mit sich.

Justizvollzugsanstalt in Bruchsal im Landkreis Karlsruhe in Baden-Württemberg. Prominente Häftlinge waren Christian Klar, ehemaliges Mitglied der Rote Armee Fraktion.

Im Regelfall ist in der Strafhaft vom Gesetzgeber die Unterbringung in einer Einzelzelle vorgesehen. Der Kontakt zur Familie, zu Freunden, zum ganzen sozialen Umfeld ist plötzlich auf ein Minimum reduziert. Postverkehr, Besuch, Telefonate – alles unterliegt der Kontrolle und gegebenenfalls auch der Zensur. „Es hat mich am Anfang meiner Haftzeit so viel Überwindung gekostet, über persönliche Dinge oder die wirklichen Gefühle zu schreiben oder zu reden…, wenn ich weiß, dass da jemand mitlesen oder sogar zuhören kann“, erzählt mir ein Inhaftierter, „aber nach den Jahren im Knast ist mir das so was von egal, mir ist wichtig, die letzten Kontakte nicht zu verlieren, um nicht alleine dazustehen.“

Wenn abends die Zellentür ins Schloss fällt…

Die Angst vor der Einsamkeit ist für viele Gefangene mit das Schlimmste während der Haftzeit. Wenn abends die Zellentür laut ins Schloss fällt und doppelt verschlossen wird, dann sind die Gedanken frei – in alle Richtungen. Benno (Name geändert) redet sehr offen: „Eine Nacht im Knast kann richtig hart sein. Die Einsamkeit ist manchmal schwer zu ertragen. Der gleiche Mist geht mir schon zum hundertsten Mal durch den Kopf und ich kann das Karussell nicht Aalen Gerade wenn der Tag in Haft kurzweilig war, weil ich gearbeitet habe, am Hofgang teilgenommen habe, telefonieren konnte, und in der der Freizeitgruppe war, ist der Abend und die Nacht auf der Zelle manchmal der Albtraum. Benno erzählt von Nächten voller Sehnsucht, Not und voller Angst.

Über diese Nächte, in denen auch viel geweint wird, wird unter den Inhaftierten selten gesprochen, Schwäche kann und will sich keiner leisten. Die Angst, als Schwächling abgestempelt zu werden, ist zu groß. Einmal schwach – immer schwach! Und die Subkultur im Knast nutzt das schamlos aus. Es sind genau diese Nächte, in denen der eine oder andere sich das Leben nimmt oder darüber nachdenkt – und das tun sehr viele – immer wieder. Dominik (Name geändert) führt einen guten Vergleich an: „In Haft sind alle Emotionen und Gefühle, im Gegensatz zum Leben draußen, viel komprimierter. Wo ich in Freiheit ‚mal eben eine Zigarette holen‘ gehen kann, um notfalls etwas Abwechslung zu haben, sind im Knast die Ausweich- und Ausgleichsmomente sehr rar… Der ‚Brandbeschleuniger‘ zum Anfeuern der Einsamkeit ist der ständige Gedanke an die Familie, Kumpels… Keiner der Mithäftlinge kann die Familie ersetzen, und diese Art der Einsamkeit belastet mich am meisten.“

Alles um dich herum ist stockdunkle Nacht

Auf meine Nachfrage, wie sich diese Einsamkeit anfühlt, kommt die spontane Antwort: „Du stehst alleine in der Mitte der großen Sportarena und ein einziger Spot leuchtet von oben auf dich. Alles um dich herum stockdunkle Nacht. Selbst dein stilles Weinen kommt als Echo zurück.“ Ein anderer Inhaftierter spricht von der Einsamkeit als dem „Gift, das durch den Körper schleicht“. Nicht nur, aber auch im Gefängnis ist die Einsamkeit ein die Menschen beherrschendes Thema – so meine Erfahrung aus vielen Gesprächen.

Peter Holzer, JVA Bruchsal | Aus: Neue Caritas, Heft 20/2021 

 

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