parallax background

Ich gehe im Frauenknast ein Stück Weg mit

28. Februar 2020

Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Die Angeklagte ist schuldig und wird zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Mit diesen Worten beginnt für die Bewohnerinnen der Justizvollzugsanstalt für Frauen im Osten von Berlin ein neuer Lebensabschnitt. Sie müssen in den Strafvollzug. Das heißt eingeschlossen zu sein in einer Zelle. Nur eine begrenzte Zeit am Tag gibt es freie Bewegungsmöglichkeiten auf der Station oder im Gefängnisgarten. Schwester Annette Fleischhauer hat in einer der Zellen des Hauses ihren Arbeitsplatz. Sie ist Gefängnisseelsorgerin.

Annette Fleischhauer ist Ordensschwester, sie gehört zu den Steyler Missionsschwestern, den Dienerinnen des Heiligen Geistes. Wer jetzt eine antiquiert aussehende Nonne vor Augen hat, der irrt, Schwester Annette ist groß, schlank und modisch gekleidet, hat strahlende Augen und ein gewinnendes Lächeln. Vor einiger Zeit kam Schwester Annette nach Berlin, um in eine für sie ganz neue Welt einzutauchen.

Inhaftierten Frauen begegnen

„Ich hab gedacht, Gefängnis ist etwas, das in meinem Leben noch nicht vorgekommen ist bis dahin. Und die Mauern haben mir auch etwas Angst eingeflößt. Aber ich habe mir vorgestellt, es geht ja letztlich um die Menschen, die da in diesem Gefängnis sind. Und dann sind diese Mauern und das andere ist in den Hintergrund getreten. Es ist trotz dieser Beschränkungen ein Ort mit sehr viel Wirkungsmöglichkeit“, sagt Fleischhauer. Viel Wirkungsmöglichkeit, im Gefängnis die Liebe Gottes zu verkünden, das erfordert von Sr. Annette Ideen für Angebote, um mit den Inhaftierten in Kontakt zu kommen. 14 tägig am Sonntag feiert sie Gottesdienst und sie hat inzwischen weitere Möglichkeiten gefunden, den Frauen zu begegnen. „Wenn die Inhaftierten mit mir in Kontakt treten wollen, dann schreiben sie einen Antrag. Es gibt da so einen Raum, in dem Fächer sind und dann landet dieser Antrag in meinem Fach. Dann gehe ich auf die Frau zu und dann sprechen wir zusammen über ihr Anliegen.

Am Anfang habe ich das immer nur streng mit diesen Anträgen gemacht, bis ich gemerkt habe, dass viele da auch eine Hemmschwelle haben, das gar nicht irgendwo hinbekommen. Es sind viele aus prekären, einfachen Verhältnissen hier und wo ich gemerkt habe, dass die sich schon auch freuen, wenn ich auf einmal auftauche und auch sagen, sie möchten wiederkommen. und ich mache es jetzt so, dass ich mir vornehme, jede Woche einmal über die Aufnahmestation zu gehen, wo dann Neue sind und sie besuche, ihnen die Seelsorge vorstelle und auch mich. Und das Seelsorgegeheimnis ist der einzige Ort im Gefängnis, wo das, was sie sagen, in keinerlei Vollzugsplan einfließt.“

Jemand, der Begleitung anbietet

Ein Ort für Geheimnisse, das ist das Büro von Schwester Annette. Alles, was hier gesagt wird, bleibt in dieser Zelle. Diese Gewissheit lässt die inhaftierten Frauen Vertrauen aufbauen zu der Seelsorgerin. Hier finden sie ein Ohr für ihre Sorgen und Nöte. Denn viele kreisen mit ihren Gedanken um die Zukunft, um ihre Familie aber auch um ihre Schuld. Und wohin sollen sie mit ihrem Frust und ihren Ängsten. Jessica lebt hier für eine Zeit und beschreibt ihre Angst so: „Dieses Eingeschlossen sein in seiner kleinen Zelle, wenn die Tür aufgeschlossen lassen würde, hätte ich, glaube ich, weniger ein Problem. Aber dass man eingeschlossen wird. Es ist bedrückend, es bedrückt einen, weil, es ist einfach zu. Wenn was passiert man kann nicht raus, man kann einfach nicht raus. In der normalen Wohnung kann man rausrennen, wenn es brennt, das funktioniert hier nicht, hier ist man zu.“

Wer mit dieser Angst täglich leben muss, ist froh über die Angebote der Gefängnisseelsorgerin, die Begleitung anbietet. „Es ist tatsächlich, ich gehe ein Stück hier im Gefängnis mit dir. Das ist bei vielen, die hier aus ihrer Lebenswelt herausgerissen sind. Und manche, wo ganz viele Fragen plötzlich auftauchen oder Beklemmungen, Ängste. Wo ich merke, es ist für viele wichtig, dass da jemand ist, der zuhört oder dass jemand freundlich angelächelt wird, oder dass sie ein empathisches Gegenüber haben, das sich ihnen zuwendet und dass dadurch Personen sich öffnen oder dass dadurch der Person Dinge bewusst werden, im Gespräch und ich habe schon öfter gehört: Jetzt bin ich erleichtert… Frauen berichten davon, dass sie Gewalt erfahren haben, Missbrauche erfahren haben, von Eltern, Familienangehörigen, das geht dann mit dem Mann, mit dem Partner weiter.“

Von Geschädigter zur Täterin

Statistiken zeigen, dass 80 % derer, die zu Tätern geworden sind, vorher Opfer waren. Das sind Voraussetzungen, die man sich als Durchschnittsbürger gar nicht so vorstellen kann, was viele Menschen mitmachen müssen, und wie sie in solche Situationen hineingetrieben werden,  in denen auch viele kriminelle Energie vorhanden ist, wo aber auch viele andere Dinge hineinspielen. Ich versuche, die Personen zu bestärken, dass sie selber an ihre Ressourcen herankommen. Ihre Lebenskräfte, ihre Hoffnung wecken es geht weiter. Und da, wo ich spüre, da ist eine spirituelle Offenheit oder da, wo ja auch sehr existentielle Not erfahren wird, wo ich merke, es kommt an bei meinem Gegenüber, dass ich von meiner eigenen Glaubenserfahrung erzähle: Gott nimmt das nicht weg, der verspricht auch keinen rosaroten Teppich aber mir gibt der Glaube die Gewissheit, dass ich in schwierigen Situationen, wo ich denke, warum muss ich das ertragen, dass ich weiß, ich bin da nicht alleine. Und da kann ich nur von mir sagen, was mir Kraft und Halt gibt, alles andere muss dann der da oben tun.“

Diesen Weg haben die meisten hier in der JVA für Frauen hinter sich. Von der Gesellschaft werden sie verachtet und der Strafvollzug ist kein freundliches Hotel, in dem der Gast verwöhnt wird. Astrid, eine der Strafgefangenen, sagt, dass sie auch über Privates reden kann. „Mit Häftlingen möchte ich das nicht“, sagt sie, „weil ich schon ein bisschen vorsichtig bin. „Und mit den Beamten, die haben einfach nicht die Zeit dafür.“ „Das ist so ein menschlicher Faktor, wo jemand da ist zum Reden, jemand, der Zeit hat und zuhört. Dass ein Mensch da ist, nicht in Anstaltskleidung dasitzt und man reden kann, also nicht über die Strafe an sich sondern was mich als Person bewegt und belastet. Weil es schon eine Situation ist, die belastend und ungewohnt ist. Da ist es ganz viel wert, einfach eine Stunde reden zu können, was mir so einfällt. Die Bezugspersonen sind weit weg, die können nicht herkommen zum Besuch. Und da ist es viel wert, dass man privat reden kann. Mit Häftlingen möchte ich das nicht, weil ich schon ein bisschen vorsichtig bin. Und mit den Beamten, die haben einfach nicht die Zeit dafür. Und da ist es schon eine gute Alternative, mit jemandem reden zu können“, sagt Astrid.

Die Gespräche helfen sehr

Die Gespräche mit Gefängnisseelsorgerin Schwester Annette sind für die inhaftierten Frauen anders als der Kontakt mit Strafvollzugsbediensteten, sie finden auf Augenhöhe statt. Die Seelsorgerin hat Zeit zuzuhören und führt die Gespräche nicht ergebnisorientiert. Im Unterschied zu Sozialarbeitern, die in ihren Gesprächen das Ziel haben, dass die Häftlinge nach ihrer Entlassung wieder in das Leben der Gesellschaft zurück finden. Aber eine Zusammenarbeit zwischen all diesen Berufsgruppen ist ein großer Vorteil für die Frauen, denn manche von ihnen ist gefangen in ihrer Not, drogenabhängig oder uneinsichtig. „Es gibt Personen, die ganz klar kommen und sagen: ich hab Mist gebaut und dafür sitz ich hier und das weiß ich und jetzt guck ich, wie ich damit fertig wer-de und die es auch stärkt auf ihrem Weg. Ich denke, dass sie mal andere Impulse bekommen, manche, die so in ihrer Sichtweise gefangen sind. Wo ich denke: gucken Sie doch mal von der Seite, vielleicht gibt es auch von da ´ne Möglichkeit. Es gibt hier viele Frauen, die mit Drogen zu tun haben, die in den Teufelskreislauf von Drogenkonsum kommen und Beschaffungskriminalität, wo es ganz schwer ist, wieder rauszukommen. Es gibt Ersatzprogramme. Viele, die die Möglichkeit haben, im Anschluss in Therapie zu kommen, da setzen viele ihre Hoffnung drauf.“

Auch für Bedienstete da

Annette Fleischhauer ist als Gefängnisseelsorgerin auch Ansprechpartnerin für Sorgen und Nöte des Personals. Oft finden nur kleine Gespräche zwischen Tür und Angel statt, die vielleicht gar nicht so sehr nach Seelsorge klingen, aber den Beamten ist Frau aus der gemütlich eingerichteten Zelle wichtig. Wenn es schwierig wird mit den Häftlingen, dann können sie sich auf sie verlassen. Manchmal kommen sie bei der Aufnahme von neuen Häftlingen auf sie zu und sagen: „gucken Sie doch mal nach der Frau, der könnte Seelsorge gut tun.“ Oder es gibt ungewöhnliche Ereignisse, dann ist auch ihr Einsatz gefragt, zu dem sie viel Sensibilität braucht. „Es hat die Situation gegeben im letzten Sommer, dass zwei Kollegen verstorben sind. Und das war ein großer Schock. Da habe ich versucht, mit den Personen, die mit ihnen näher zusammengearbeitet haben, in Kontakt zu kommen. Und habe angeboten, einen Gottesdienst zu machen. Wir haben dann in Zusammenarbeit mit der Leitung eine Gedenkfeier gemacht, die ist auch sehr gut besucht gewesen.“

Beitrag anhören: „Apropos Sonntag“ Antenne Brandenburg

Gefängnisseelsorgerin Schwester Annette sagt, dass sie ihre Arbeit sehr gern hat. Aber es ist ein ständiges Geben. Wie sieht es mit ihren eigenen Energiequellen aus, woher nimmt sie die Kraft. „Abends, wenn mir noch Gespräche nachgehen, sage ich: Lieber Gott, ich habe getan, was ich konnte, jetzt musst du den Rest machen und ich versuche, das bewusst abzugeben. Ich nehm´s auch mit ins Gebet rein, die Natur gibt mir immer ganz viel. Ich gebe viel, aber ich bekomme auch viel zurück hier im Gefängnis, wenn ich gespiegelt bekomme, dass die Frauen sich bedanken, dass es ihnen besser geht, dass es ihnen gutgetan hat. Dann habe ich das Gefühl, das macht Sinn, dass ich da bin und das ist auch was, wo ich Tanks wieder auffüllen kann.

Hildegard Stumm

 

Feedback 💬

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert