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Der Traum eines Hauses am See mit funkelnden Sternen

4. Dezember 2020

Heute morgen schaue ich aus dem Fenster und nehme bewusst das Haus des Nachbarn wahr. Es ist hell erleuchtet, funkelnd mit vielen Lichtspielen. Wie auf der Kirmes, denke ich. Da geht so manchem das Herz auf. Mir kommt das Lied von Peter Fox in den Sinn. In dem Song „Haus am See“ aus dem Jahr 2008, geht es um den Traum von einem besseren Leben. Ich mache mich auf den Weg in den Knast. Dort sieht es nicht so hell aus. Junge Gefangene, die in Haft sind, träumen und wünschen sich ein „normales“ Leben: Haus, Kind, hübsche Frau, Hund und eine „fette Karre.“ Doch die Wirklichkeit im Hafthaus sieht anders aus.

Ein anderes Traumhaus zur Advents- und Weihnachtszeit. Foto: Hartmann

„Und die Welt hinter mir wird langsam klein“ mit dieser Metapher steigt der Sänger in seine Traumwelt ein. Inhaftierte möchte gerne ihren Alltag zurücklassen. Hauptsache weg von hier. Das kann auch eine andere Justizvollzugsanstalt sein. Überall ist es besser als in diesem derzeitigen „Kindergarten“ des Jugendvollzuges. Jan-Michael träumt vor sich hin, als er im Gespräch seinen Kaffee im Seelsorgebüro schlürft. Müde und noch schlafend sitzt er da. Immerhin hat er es aus dem Bett geschafft. „Ach, wie wäre es schön ein eigens Haus zu haben mit allen drum und dran. ich würde chillen jeden Tag“, so Jan-Michael. Beliebt sein und von Frauen verehrt, das ist sein Ziel. Der Song drückt dies treffend aus: „Ich hab den Tag auf meiner Seite, ich hab Rückenwind! Ein Frauenchor am Straßenrand, der für mich singt!“ Ein stressfreies Leben haben mit toller Idylle und Romantik.

Jan-Michael hat Stress. Bei seinen Straftaten, bei denen er unbeteiligte Gegner vor Wut und Aggression zusammenschlägt. Dies wiederholt sich in seiner Haft. Ein angeblich stiller und in sich gekehrter 21- jähriger rastet aus, wenn er meint, provoziert zu werden. Provokationen gibt es viele im Jugendvollzug. Im Hafthaus hinter Mauern kann man sich nicht so schnell aus dem Weg gehen. Die Mitgefangenen suche ich mir nicht aus. „Draußen bin ich ganz anders“, betont er und wacht nach dem ersten Schluck Kaffee ein wenig auf. „Warum stellen die hier nur Weihnachtsbäume auf?“ Ja, warum nur, weil Advents- und Weihnachtszeit ist und die Menschen sich hoffnungsvoll auf ein salbungsvolles Fest freuen… „Es gibt keine Lichter hier im Bau. Gott sei Dank wird es früh dunkel, da geht die Zeit schneller vorbei“, sagt der Wachgewordene.

Es gibt eine Sehnsucht nach Wärme und Perfektion. Doch meistens kommt das Gegenteil heraus. Mit der Übertreibung Vater von 20 Kindern zu sein, unterstreicht das Lied seinen Wunsch nach dem perfekten Familienleben. Ein makelloses Leben? „Gott hat einen harten linken Haken“, das hat Jan-Michael früh gespürt. Aufgewachsen bei seiner Tante in einem Haus am Stadtrand. „Es war die Hölle“, erzählt er. „Die Tante hat mich kontrolliert wo es nur ging“, fügt er hinzu. Seine Mutter war drogenabhängig und so sprang die Schwester der Mutter ein, die auch zwei Kinder hat. Jan-Michael sei genug bestraft worden. Deshalb habe er auch Drogen konsumiert, um all das auszuhalten. Es gab keine „Taschen voll Gold“, aber das wird er schon noch erreichen. „Am besten in einem anderen Land, wo mich niemand kennt und wo ich an keine Drogen ran komme“, sinniert er. Wenn das mal so einfach wäre. Man nimmt sich immer selbst mit.

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Sich aus dem alten Leben zu befreien kommt nicht wie ein Blitzschlag oder am Ende der Haftstrafe an der Fahrzeugschleuse des Gefängnisses. Sich ein Traumbild zu machen mag vielleicht in manchen Momenten helfen. Doch die Erwartungen sind riesig. Rückschläge und Enttäuschung werden sich wieder breit machen. „Neid hilft auch nicht weiter“, sage ich. „Hab taube Ohr’n, ‘nen weißen Bart und sitz im Garten“ so die Vorstellung nach Ruhe und Stille. Der Weg entsteht im Gehen. Visionen und Träume sind wichtig. Einem Traum hinterherjagen, den ich voraussichtlich nie erreichen werde, ist eine Kraftanstrengung, die ich anderswo einsetzen kann.

„Jetzt werde ich erst einmal in den Erwachsenenvollzug gehen und dann schaue ich weiter“, sagt Jan-Michael entschlossen. Sehr gut, da ist eine Entscheidung gefallen, die weiterführt. Zumindest weg aus seinem derzeitigen Haftraum, den er überwiegend mit einem Vorhang dunkel hält. Seine Höhle, die mit dem „Guckloch“ des Fernsehers ausgestattet ist. „Ein winziges Licht habe ich aber“, sagt er stolz, „meine rote Lampe zeigt mir, dass es weiter geht“, sagt er leise und schaut mich an. „Immerhin hast Du eine Perspektive“, sage ich als Gefängnisseelsorger. Innerlich denke ich heute an den Barbaratag, an dem Zweige in die Vase gestellt werden, die dann blühen. Ich wünsche es Jan-Michael von Herzen.

Michael King

 

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