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Ein Ende der Migration löst Probleme nicht

8. September 2024

Mit acht Jahren kommt der heutige 19–jährige Diallo* mit seiner Mutter aus dem Irak nach Deutschland. Er ist Jeside, seine Familie hat den Schutzstatus in Deutschland erhalten. Das Strafregister des Jugendlichen liest sich lang und schwer. Mit feuchten Augen sitzt mir Dialllo gegenüber und sagt immer wieder „Kopf kaputt. Ich werde ver-rückt“. Vor sich hat er das Papier der Ausweisungsandrohung und dem Entzug seines Aufenthaltstitels.

Die laufende Klage vor dem Verwaltungsgericht schiebt die Ausweisung nicht hinaus. Im zwölfseitigen Dokument der Ausländerbehörde kommen die leider üblichen Auseinandersetzungen im Jugendvollzug zur Sprache. Hier wird gesagt, dass im Irak die Situation für Jesiden besser sei und er sehr gut die kurdische Sprache spreche.

Abschiebung nicht mehr aufzuhalten

Die Rechtsanwältin setzt sich für ihn ein. Sein Bruder ebenfalls. Die Anwalts-Rechnungen zahlt er. Diallo ist ein aufgeweckter junger Mann mit guten Sprachkenntnissen. Mit dem Schreiben hapert es noch etwas. Sein Witz und seine Weltsicht sind manches Mal kindlich, doch er macht auf sein Gegenüber einen sympathischen Eindruck. Er bringt die Leute mit seinem Reden zum Lachen, obwohl im nicht zum Lachen zumute ist. „Sagen Sie ehrlich, die Abschiebung ist nicht mehr aufzuhalten, oder?“, fragt er mich weinerlich. „Was soll ich im Irak?“, fragt er hilflos. Die Not ist ihm anzusehen. D. hat sich strafbar gemacht, aber muss er in dieser konsequenten Weise von seiner Familie getrennt werden, die ihn so viele Male im Knast besucht?

Ende der Migration – alles gelöst…

Mir selbst fehlen die Worte – weil alles so absehbar ist. Die politische Situation verschärft sich nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Prof.in Dr.in Michelle Becka von der Professur für Christliche Sozialethik an der Universität Würzburg bringt es auf den Punkt: „Eine altbekannte Vermischung von politischem Aktionismus und Sündenbockmechanismus nach dem Motto: ´Ende der Migration als Antwort auf alle Probleme.´ Die meisten Probleme haben aber gar nichts mit Migration zu tun. Die Positionen, die jetzt vertreten werden von den Parteien ´der Mitte´ wären noch vor wenigen Jahren nur von der AfD gekommen. Der Diskurs hat sich längst verschoben – und die AfD hat aktuell die Diskursmacht.

Verknotete Lage

Das wird mir am Beispiel des Inhaftierten D. deutlich. Er ist straffällig geworden und wurde rechtmäßig verurteilt. Gründe genug ihn „erfolgreich“ abzuschieben. Seine Rechte hat er verwirkt. Kein Widerspruch kann das ändern. Dass er sich verändert hat, will niemand hören oder es wird ihm nicht geglaubt. Eine verknotete Lage, aus der ich ihn nicht retten kann. „Können Sie mich nicht adoptieren?“, fragt er. Diallo trinkt einen Cappuccino nach dem anderen. Er beruhigt sich ein wenig. Ich höre zu und kann seinen Schmerz nachzuvollziehen. Ein Mit-Aushalten der Situation im Alltag der Gefängnisseelsorge.

Michael King | * Namen geändert

 

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