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Die Seelsorge der Kirchen in der nationalsozialistischen Zeit

22. Januar 2025

Die damalige „Bundeszentrale für Heimatdienst“ in Bonn gab im Juli 1956 in der Wochenzeitung „Das Parlament“ eine Beilage unter der Rubrik „Politik und Zeitgeschichte“ mit dem Titel „Tapfere Seelsorge“ heraus. Im Fokus wird die Rolle der Kirchen in der nationalsozialistischen Zeit beleuchtet. 11 Jahre nach Kriegsende ist es eines der ersten Geschichtsdokumente, das die Einschränkungen der Seelsorge im sogenannten „3. Reich“ und deren Märtyrer beider Kirchen behandelt.

In der ersten Reichstagssitzung nach der Machtergreifung, am 23. März 1933, gab Hitler in seiner neuen Funktion als Reichskanzler die feierliche Versicherung ab: „Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums… Ihre Rechte sollen nicht angetastet werden.“ Seine wirkliche Einstellung zu den Kirchen enthüllte Hitler zwei Wochen später vor seinen engsten Gefolgsleuten in der Reichskanzlei: „Mit den Konfessionen, ob nun diese oder jene, das ist alles gleich, das hat keine Zukunft mehr. Für die Deutschen jedenfalls nicht. Der Faschismus mag in Gottes Namen seinen Frieden mit der Kirche machen. Ich werde das auch tun. Warum nicht! Das wird mich nicht abhalten, mit Stumpf und Stiel, mit allen seinen Wurzeln das Christentum aus Deutschland auszurotten. Man ist entweder Christ oder Deutscher. Beides kann man nicht sein.“ […]

Das Konkordat 1933

Zögernder ging Hitler zunächst gegen die katholische Kirche vor. Ihn beeindruckte bei seiner primitiven Auffassung, in allem bloße Machtmittel zur Massenbeeinflussung zu sehen, die feste Organisation der katholischen Kirche, und er fand bereits in seinem Buch „Mein Kampf rühmende Worte über ihre kluge Menschenführung und ihr „starres Festhalten an den einmal niedergelegten Dogmen“. Unverkennbar war dabei sein Mißtrauen vor der festen Verwurzelung der katholischen Lehre in breiten Schichten des Volkes. Intuitiv hatte Hitler hier einen gefährlichen Gegner erkannt, dem gegenüber Vorsicht und ein vorläufiges Friedensangebot ratsam erschien. So drängte er, auch wegen des Ansehens seiner Herrschaft im In- und Ausland, auf den Abschluß eines Konkordates, das schon im Sommer 1933 unterzeichnet wurde. Die katholische Kirche nahm dieses Angebot als Rechtsgrundlage gegenüber den Ansprüchen einer totalitären Herrschaft anbemüht, ihren Gläubigen, wie 1937 Papst Pius XI. ausführte, „im Rahmen des Menschenmöglichen die Spannungen und Leiden zu ersparen, die andernfalls unter den damaligen Verhältnissen mit Gewißheit zu erwarten gewesen wären“. Schon im Frühjahr 1933 verbanden die deutschen Bischöfe ihren Beschluß, die Mitgliedschaft von Katholiken in der NSDAP zu dulden, mit der eindeutigen Ablehnung der nationalsozialistischen Ideologie. Sie wandten sich gegen den Antisemitismus und forderten von der neuen Regierung Schutz für die Freiheit und Ehre des einzelnen und Verzicht auf Rachepolitik.

Orden und Organisationen im Visier

Vor allem Erzbischof Michael Faulhaber von München, der schon in den voraufgegangenen Jahren eindeutig und unermüdlich vor der nationalsozialistischen Ideologie gewarnt hatte, wandte sich auch 1933 wieder in seinen Predigten gegen die antijüdische Hetze und wurde daraufhin von den Anhängern der Partei offen bedroht. Die Vereinbarungen des Konkordats wurden von den Nationalsozialisten von Anfang an verletzt, so daß der Vatikan in einer Note an die Regierung des Dritten Reiches am 14. Mai 1934 feststellen mußte, „daß der katholische Klerus im heutigen Deutschland auch nicht entfernt das Mindestmaß derjenigen Freiheit in der Ausübung seines seelsorgerischen Amtes genießt, ohne die er der Pflicht der geistlichen Leitung der ihm anvertrauten Seelen nicht genügen kann.“ Der erste und schwerste Ansturm richtete sich gegen die katholischen Organisationen, die – ungeachtet des konkordatsmäßig zugestandenen Schutzes – gleichgeschaltet oder aufgelöst wurden. Eine Note des Heiligen Stuhles vom 15. April 1934 protestierte gegen den konzentrierten Angriff auf die katholischen Verbände, der „an Schärfe, an Bedenkenlosigkeit, an geringer Achtung der Gesetze der Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Liebe seinesgleichen“ suche, der durch eine einseitige Propaganda, „den verzerrenden Hohlspiegel einer Meinungsmache“ noch gesteigert würde und gekennzeichnet sei durch „das mitleidlose Ausspielen der Faust gegen das Recht“.

Im weiteren wurden die katholischen Orden besonders hart von der Gestapoverfolgung getroffen, weil sie dem Regime als der „militante Arm der Kirche“ galten. Schon im Oktober 1934 wies eine Geheimverfügung des NSDAP-Schatzamtes alle Gauämter an, Grundbesitz und Barvermögen der verschiedenen Ordensniederlassungen genau zu erkunden und Vorschläge für ihre spätere Verwendbarkeit zu machen. Außerdem sollte das kulturpolitische Amt der Partei die Tätigkeit der Orden überwachen, um Vorwände für Maßnahmen gegen die Klöster liefern zu können. Durch willkürliche Besteuerung, durch entschädigungslose Enteignung unter unhaltbaren Vorwänden, durch einschneidende Beschränkungen der Arbeitsmöglichkeit für Ordensangehörige vor allem in erzieherischen und Krankenpflegeberufen, suchten die Nationalsozialisten den Klöstern ihre wirtschaftliche Grundlage zu nehmen und ihre Angehörigen zum Austritt aus dem Orden zu zwingen. Eine Geheimanweisung des SS-Sicherheitsdienstes vom 15. Februar 1938 enthielt die Forderung, die Orden müßten „von ihren Einflußgebieten zurückgedrängt, eingeengt und schließlich vernichtet werden… Für umfassendere Maßnahmen auf dem Gebiete des Ordenswesens muß der Boden erst propagandistisch noch mehr vorbereitet werden“. Ein Beitrag dazu waren die berüchtigten und unter skrupellosen Verleumdungen geführten Devisen-und Sittlichkeitsprozesse gegen Geistliche und Ordensangehörige nach der Parole: „Wir schaffen keine Märtyrer, sondern Verbrecher.“ Unter lügenhaften Behauptungen wurden Abwegigkeiten und Einzelfälle zum Riesenausmaß aufgebauscht, die die Presse in umfangreichen Berichten auf der ersten Seite veröffentlichen mußte.

Eingaben und Beschwerden

Vergeblich leiteten die Bischöfe ihre Beschwerden an die zuständigen Stellen. Die bayerischen Bischöfe gaben in einem Hirtenbrief an ihre Gläubigen vom 9. Mai 1937 ihrer Empörung über die schamlose Diffamierung von Geistlichen Ausdruck. Darin hieß es: „Das katholische Volk, das in all seinen Schichten den Priesternachwuchs stellt und tagtäglich seine Priester beobachtet, weiß, was es an diesen seinen Priestern im Leben und Sterben hat. Das katholische Volk erfährt es tagtäglich, wieviel Opfergeist, Religiosität und Seeleneifer in Welt- und Ordensklerus zu finden sind.“ Gegenüber dem offenen und versteckten Vorgehen gegen die Priesterseminare und theologischen Fakultäten – sie wurden als „Schulungsstätten des weltanschaulichen Gegners“ zum Teil zwangsweise geschlossen – gegenüber der zunehmenden Einschränkung jeder religiösen Erziehung und gegenüber dem umfassenden Angriff auf ein allgemein gültiges Naturrecht, dem die nationalsozialistische These vom Volk als einzigem Lebenszweck entgegengestellt wurde, bewiesen die katholischen Bischöfe in Predigten, Hirtenbriefen und Beschwerden an die zuständigen Stellen, „ihren Mut zur Wahrheit im Kampf um die Gewissensfreiheit, um die Würde des Menschen und um die Freiheit in der Ausübung der von Gott und der Natur dem Menschen gegebenen Rechte“.

Als Sprecher der alljährlich auf der Fuldaer Bischofskonferenz versammelten deutschen Bischöfe richtete Kardinal Bertram von Breslau wiederholt Eingaben und Beschwerden an die Führung des Dritten Reiches, die zu laut vernehmbaren Anklagen wurden. Die Bischöfe traten dabei für die Rechte der Kirche ein; sie erhoben ihre mahnenden Stimmen für die verfolgten Juden und sie forderten Rechenschaft über den Mord an Geisteskranken. Hierbei wußten sie sich gestützt von der Überzeugungskraft einer breiten Priesterschaft, die im gleichen Sinn auf die Gemeinden einzuwirken versuchte, ein Beispiel dafür die Unbeirrbarkeit des Domprobstes an der St. Hedwig Kathedrale Berlin, Bernhard Lichtenberg. Die zunehmende Schwere der Kirchen Verfolgung veranlaßte Papst Pius XI. in einer Enzyklika, die am 14. März 1937 von den Kanzeln verlesen wurde, die Doktrinen und Praktiken des Nationalsozialismus anzuprangern: „Nur oberflächliche Geister können der Irrlehre verfallen, von einem nationalen Gott, von einer nationalen Religion zu sprechen, können den Wahnversuch unternehmen, Gott, den Schöpfer aller Welt… in die Grenzen eines einzelnen Volkes, in die blutmäßige Enge einer einzelnen Rasse einkerkern zu wollen.“ Die Papstworte brandmarkten die Unwahrhaftigkeit eines Regimes, durch das nämlich „von der anderen Seite die Vertragsumdeutung, die Vertragsumgehung, die Vertragsaushöhlung, schließlich die wehr oder minder öffentliche Vertragsverletzung zum ungeschriebenen Gesetz des Handelns gemacht wurden. Mit verhüllten und sichtbaren Zwangsmaßnahmen, Einschüchterungen, Inaussichtstellung wirtschaftlicher, beruflicher, bürgerlicher und sonstiger Nachteile wird die Glaubenstreue der Katholiken… unter einen Druck gesetzt, der ebenso rechtswidrig wie menschlich unwürdig ist.“

Kirchliches Schrifttum eingeschränkt

Die Verlesung der Enzyklika trug der Gestapo schwere Vorwürfe Hitlers wegen mangelnder Überwachung ein, und leitende Parteistellen bezeichneten die kirchenpolitische Lage als aufs äußerste gespannt. Durch einen besonderen Erlaß wurden alle Druckereien beschlagnahmt, die das Papstrundschreiben vervielfältigt hatten. Bischofspredigten und Hirtenbriefe konnten in dieser Periode kaum noch veröffentlicht werden, zumal schon nach der Gleichschaltung der katholischen Presse 1933 und ihrer schrittweise vorgetriebenen Vernichtung auch das rein kirchliche Schrifttum mehr und mehr eingeschränkt war. Druck und Verteilung führten immer häufiger zu polizeilichen Maßnahmen gegen die Druckereien selbst, so daß sich die Angestellten weigerten, noch Hirtenbriefe zu setzen. Durch die Unterbindung von Publikationen versuchte die Gestapo nicht nur öffentliche Proteste gegen nationalsozialistische Methoden zu verhindern, sondern auch die Nachrichtenübermittlung zwischen den einzelnen Bistümern zu erschweren und das kirchliche Leben lahmzulegen.

Bald nach Kriegsbeginn wurde die Kirchenverfolgung unter dem Vorwand kriegsnotwendiger Einschränkungen noch verschärft. Am 6. Juni 1941 verfügte ein Geheimerlaß der Reichskanzlei an alle Gauleiter: „Niemals aber darf den Kirchen wieder ein Einfluß auf die Volksführung eingeräumt werden. Dieser muß endgültig und restlos gebrochen werden. Erst wenn dieses geschehen ist, hat die Staatsführung den vollen Einfluß auf die einzelnen Volksgenossen.“ Und am 11. August 1942 wurde aus der Tischunterhaltung im Führerhauptquartier die Äußerung Hitlers notiert: „Solange wir die Pfaffen dulden, geschieht uns das ganz recht. Aber diesen Kampf der deutschen Geschichte werde ich endgültig einmal für immer zum Austrag bringen… ich werde die Pfaffen die Staatsgewalt spüren lassen, daß sie nur so staunen. Ich schaue ihnen jetzt nur zu. Würde ich glauben, daß sie gefährlich werden, würde ich sie zusammenschießen.“ Doch mit zunehmender Spannung hatte sich vielerorts das katholische Volk fester um seine Kirche und Priester geschart. Predigten und Firmungsreisen der Bischöfe gaben Anlaß zu Treuekundgebungen der Gläubigen und wurden in den Karteien der Gestapo als „Volksaufwiegelungen“ geführt. Dieser Zusammenhalt hinderte sogar Hitler und Goebbels dem Ratschlag Bormanns zu folgen und den Bischof Galen von Münster zu erhängen, weil man fürchtete, sonst die „Bevölkerung ganz Westfalens“ abschreiben zu müssen.

Um so bedrängender wirkte sich der Terror im kleinen Bezirk der Pfarrei aus, wo sich die Geistlichen mühten, trotz des hohen persönlichen Risikos ihre seelsorgerischen Pflichten zu erfüllen, um nach der Mahnung des Heiligen Vaters den ihnen anvertrauten Menschen „die rechten Wege zu weisen in Lehre und Beispiel, in täglicher Hingabe, in apostolischer Geduld“. In der Verdächtigung jeder seelsorgerischen Betreuung und im Angriff auf die Sakramentenspendung — vor allem auf Taufe, Beichte und Ehe — wurden die nationalsozialistischen Praktiken besonders deutlich. So richtete beispielsweise der „Stürmer“ zynische Angriffe gegen den Pfarrer der St. Matthias Kirche in Berlin wegen der Taufe jüdischer Konvertiten. Wie in vielen ähnlich gearteten Fällen erklärte jedoch der Pfarrer danach seiner Gemeinde im Gottesdienst: „Euer Pfarrer ist nicht willens, sich seine tägliche Tätigkeit vom ´Stürmer´ diktieren zu lassen, sondern von seinem eigenen Gewissen. Und dem Gewissen folgend, wird er nicht zögern, Ungläubige jeder Rasse in die Kirche aufzunehmen, die Christus für alle Menschen gegründet hat.“ Die Erfüllung ihrer Hirtenaufgabe, auch gegenüber den Lauen und Abtrünnigen, trug unzähligen katholischen Geistlichen Konzentrationslagerhaft ein. Einen Eindruck von der hohen Zahl dieser Verfolgungen vermittelt die Angabe über das Konzentrationslager Dachau, in dem sich am 15. März 1945 noch insgesamt 1493 Priester befanden, unter ihnen 261 Deutsche, 64 Österreicher, 791 Polen, 122 Franzosen, 38 Holländer, 34 Belgier und 29 Italiener.

Menschen der Kirchen leisten Widerstand

Wenn auch die Auffassung, daß die Auseinandersetzung um eine bestimmte Staatsform nicht zum Auftrag der Kirche gehöre, die katholische Kirche gegenüber den ersten politischen Ausschreitungen Hitlers in seiner neuen Machtposition Zurückhaltung üben ließ, so wuchs doch ihr Widerstand aus ihrer elementaren Forderung, daß jede staatliche Rechtssatzung unter dem Gottesgebot steht und damit an sittliche Normen gebunden bleibt. Das Bewußtsein, daß die tyrannische Herrschaft Hitlers die Grundlagen allen rechtlichen Zusammenlebens bewußt zerstörte, wurde Männern der katholischen Kirche wie Prälat Dr. Otto Müller, Pater Constantin Rösch oder Pater Alfred Delp zur Grundlage ihres Handelns im politischen Raum. Für sie sprechen die Worte des damaligen Berliner Bischofs Konrad von Preysing im Sommer 1937: „Es geht um die Frage, ob es eine über aller irdischen Macht stehende Autorität, die Autorität Gottes, gibt, dessen Gebote und Gesetze unabhängig von Zeit und Raum, von Land und Rasse Geltung beanspruchen. Ob der einzelne Mensch persönliche Rechte besitzt, die ihm keine Gemeinschaft und kein Staat nehmen darf, ohne den Willen Gottes zu verletzen und das Wohl des Menschen zu gefährden. Ob der Mensch im letzten Grunde frei ist und frei sein darf, oder ob die freie Gewissensentscheidung des Menschen vom Staate verhindert, vom Staate verboten werden kann.“

Aus den gleichen Impulsen drängten Geistliche beider Konfessionen zu einem entschiedenen Vorgehen gegen das Hitlerreich. Diese Impulse machten den evangelischen Pfarrer Dietrich Bonhoeffer und den Zentrumspolitiker Josef Wirmer zu engen Verbündeten; sie führten Stauffenberg zu dem Bischof von Preysing, aber auch Goerdeler zu Preysing und Kardinal Faulhaber; sie waren, wie es in einem Geheimbericht des Reichssicherheitshauptamtes zu den Prozessen vom 20. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof hieß, bestimmend für eine große Zahl von Persönlichkeiten innerhalb des gesamten politischen Widerstandes. Dabei unterstrich der Bericht die große Rolle konfessioneller Bindungen und kirchlicher Beziehungen bei der Ablehnung des Nationalsozialismus. Ein Jahrhundert zuvor hatte Söerren Kierkegaard geschrieben: „Das Christentum bedarf vor allem dessen, daß das Martyrium wieder in seine Wirklichkeit eingesetzt wird. Das Christentum ist das, was das Dasein vom tiefsten Grund her bewegen will. Für eine solche Bewegung aber wird, wie Archimedes so richtig sagt, ein außenliegender Punkt gefordert. Der außenliegende Punkt ist einzig und allein das Martyrium.“ Gesamtes Dokument…

Mit freundlicher Genehmigung: Bundeszentrale für politische Bildung bpb

 

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