Schon viele Jahrhunderte hat die Kirche der Justizvollzugsanstalt im ostwestfälischen Herford bereits erlebt. Wenn die Mauern erzählen könnten, würden sie viele Geschichten von Menschen erzählen, die in dieser Knastkirche Trost, Halt und Leben gefunden haben. Bei den jugendlichen Inhaftierten heute löst die Kirche immer wieder Erstaunen und Verblüffung aus, wenn sie zum ersten Mal den Raum erleben. An manchen Gesichtern kann man ablesen, wie sich so manche Anspannung löst. “Die Kirche strahlt etwas aus”, sagt ein 20 jähriger, der bis dato keine Berührung mit Kirche hatte.
“Hier kann man atmen”, fügt er hinzu. “Man spürt hier nicht mehr, dass man eingesperrt ist”, sagt er betont. Tatsächlich hat die Kirche noch nie Gitter an den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Kirchenfenstern gesehen. Das Kirchengebäude gehört von Beginn an 1883 mit zum Konzept des damaligen Zuchthauses und späteren Zellengefängnisses Herford. Die Gefangenen sind in einem Art Mönchsgestühl platziert worden, das wie in einem universitären Vorlesungssaal aufgebaut war. Die Fenster waren daher nicht erreichbar. Aus Platzgründen ist die Kirche in den 60 er Jahren in zwei Stockwerke getrennt worden. Im unteren Bereich zogen eine betriebseigene Schneiderei und ein Arbeitsbetrieb ein. Oben blieb der Kirchenraum. Dieser wurde mit Kirchenbänken neu gestaltet.
Eine Art Gemeindezentrum
Heute befindet sich im unteren Kirchengebäude der medizinische Bereich – das Revier. Wie sich Menschen und Haltungen verändern, so erfuhr der Kirchenraum immer wieder Veränderung. Anfang der 2000er Jahre baute man die Kirche erneut um. Die große Orgel und die Kirchenbänke sind entfernt worden. Dazu kamen zwei Holz-Pavillons in den großen Raum, die von der Tischlerei gebaut sind. “Eine Art Gemeindezentrum sollte es sein”, sagt der ehemalige Gefängnisseelsorger Matthias Wasmuth. “Eine Küche und ein Gruppenraum ermöglichen Kleingruppen, so dass der Charakter des Kirchenraumes nicht beeinträchtigt wird”, sagt der erfahrene Kirchenmann. Heute finden weiterhin christlich geprägte Gottesdienste, muslimische Feste, Dienstversammlungen und Ausstellungen sowie Progressive Muskelentspannung in der Kirche statt.
Wasserschäden nach Schneesturm
Aufgrund eines Schneesturms hat sich auf dem Kaltdach der Kirche großflächig feinpulvriger Schnee angesammelt. Dieser schmolz und das Wasser lief von der Decke ins Innere der Kirche. Hässliche Flecken und Beschädigungen auf dem Boden machten eine Renovation notwendig. Diese ist nun durch eine benachbarte Malerfirma über den Bau- und Liegenschaftsbetrieb (BLB) ausgeführt worden. So einfach wie geplant, war es dann doch nicht. Die historischen Dachbalken und Pavillons versperren den Aufbau eines Gerüstes. Im mühevollen Auf- und Abbau des Gerüstes sowie den Abdichtungsarbeiten an den Innenwänden, machten sich vier Mitarbeiter der Firma in fast zwei Wochen ans Werk. In den letzten Jahren haben die jetzigen Gefängnisseelsorger die Kirche “zurückbauen” lassen. Sprich, der Charakter der Kirche soll wieder betont werden. Beispielsweise ist die Apsis, der Chorraum, durch einen roten Vorhang abgetrennt gewesen und schwarzer Stoff zur Verdunklung zierten die Balken.
Unabhängig von Konfession und Religion
In der Kirchen kommen Menschen zusammen, die nicht nach Konfession und Religion getrennt werden. Die Lebenswirklichkeiten in der Kirche spiegelt das Leben der Persönlichkeiten in den Hafthäusern von Bediensteten und Inhaftierten wieder. Der Blick nach Göttlichkeit an einem dunklen Ort des Gefängnisses ist besonders wichtig. “Wo, wenn nicht in der Kirche, gibt es mehr Respekt als anderswo”, erzählt der 20 jährige Gefangene. “Auch wenn ich manches im Gottesdienst nicht verstehe, bekomme ich doch etwas mit von dem, was da erzählt und gefeiert wird” erläutert er. Die Feier des Gottesdienstes am Sonntag ist unabhängig von Zugehörigkeiten offen für alle Interessierten.
Im Mittelpunkt: Lebenserfahrungen
“Liturgie wird kontextuell gefeiert”, meinen die derzeitigen Gefängnisseelsorger der evangelischen und katholischen Kirche. “Ein jeder aus seiner Tradition und Wurzeln, aber im Mittelpunkt stehen Lebenserfahrungen, die in der Bibel genauso vorkommen”, sagt Michael King, der schon als katholischer Gefängnisseelsorger im Jugendvollzug Sachsen-Anhalts tätig war. “Mit den muslimischen Seelsorgern, die stundenweise reinkommen, arbeiten wir eng zusammen. So führen wir die Zugangscafes der Neuzugänge gemeinsam durch”, berichtet Stefan Thünemann, der seit 7 Jahren als evangelischer Gefängnisseelsorger im Jugendvollzug arbeitet. Mittelpunkt kultureller und gottesdienstlicher Veranstaltungen bleibt und ist die Anstaltskirche. Sie erstrahlt jetzt im neuen Glanz.
Michael King | JVA Herford