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Ein Schlüssel ist das Hoffnungsbild für inhaftierte Menschen

3. Juli 2025

Der Parkplatz am Pilgerkloster des Wallfahrtsortes Werl in Nordrhein-Westfalen füllt sich morgens mit Menschen. In Gruppen kommen sie zu Fuß oder werden mit Fahrzeugen angefahren. Nichts Ungewöhnliches für den Ort mit der Basilika „Maria Heimsuchung“. Doch besonders ist, dass die PilgerInnen alle aus Gefängnissen kommen. Nur der Hinweis eines Gefangenen-Transportwagen mit Blaulicht und Werbung für den Vollzugsdienst deutet darauf hin.

 

Die dritte Gefangenenwallfahrt in der Region des Erzbistum Paderborn beginnt an diesem Tag. Es sind Frauen und Männer aus dem offenen Verzug der JVAen Bielefeld-Senne, Castrop-Rauxel, Attendorn und Hövelhof. Aus dem geschlossenen Verzug der JVAen Bielefeld-Brackwede, Schwerte, Hamm und Werl werden sie von Bediensteten in Zivil und Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes begleitet. Etwa 100 Personen warten gespannt darauf, was ihnen bei dieser Wallfahrt begegnen wird.

Aus dem Vollzug rauskommen

Manche waren letztes Jahr bereits dabei: Zwei aus der Sicherungsverwahrung beispielsweise aus Werl. „Es ist nicht einfach, dass die Menschen überhaupt an diesem Ort pilgern können. Sicherheitsaspekte und Genehmigungen der Ausführungen oder des Ausgangs müssen vorliegen“, erzählt die Diözesanbeauftragte für Gefängnisseelsorge im Erzbistum Paderborn, Daniela Bröckl. Aus ihrer JVA sind es fast 10 Teilnehmer. Einer von ihnen ist adrett ganz in weiß gekleidet. Eine silberne Uhr trägt er am Handgelenk. Seine bunten Tätowierungen sind auffällig. „Ich habe mich hier angemeldet, weil ich damit mal aus dem Vollzug rauskomme. Ich bin eigentlich gläubig und komme ursprünglich aus Italien“, erzählt er von sich. Nüchtern sieht er diese Veranstaltung als eine willkommene Abwechslung für sich.

Schlüssel als Hoffnungsbild

Die Motive der TeilnehmerInnen an dieser Gefangenenwallfahrt teilzunehmen sind unterschiedlich. Ali ist Muslim. Er trägt aber die für diesen Tag hergestellte Pilgerkerze. Die Kerze sei nicht bunt, weil der Vollzug eben nicht bunt sei, meint er. Sein Smartphone scheint sein Begleiter zu sein. Auf dem Weg zur Marienkapelle auf der Gänsevöhde, redet er gestikulierend und tippend darauf ein. Dort angekommen wird es still. Ursula Altehenger als Werler Wallfahrtsseelsorgerin beginnt mit ein paar Begrüßungsworten. Die WallfahrerInnen erhalten ein Armband. „Das soll zeigen, dass wir zusammengehören, egal ob als Gefangener, Bediensteter oder SeelsorgerIn“, führt sie aus. Es findet ein Austausch in Gruppen statt. Die PilgerInnen teilen einander mit, welches Symbol ihnen in dem ausgeteilten Hoffnungs-Heft am meisten entspricht. Das Ergebnis, dass dies überwiegend der Schlüssel ist, überrascht in diesem Kontext nicht. „Im Knast habe ich allerdings keinen davon“, sagt eine Inhaftierte der JVA Bielefeld-Brackwede.

Heilige Pforte

Die Gruppe aus 47 Inhaftierten und etwa die gleiche Anzahl evangelischer und katholischer GefängnisseelsorgerInnen, Bediensteten sowie ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, werden von einer Fahnen-Delegation mit dem Wallfahrtsseelsorger Stephan Mockenhaupt an der denkmalgeschützten Kapelle abgeholt. Über die Ampel geht es rüber, den Weg entlang zur Fußgängerzone bis zur Heiligen Pforte der Basilika „Maria Heimsuchung“. An dieser Stelle wird die Knast-Kerze feierlich übergeben. Andächtig schreiten die besonderen PilgerInnen durch das offene Tor. „Das ist ein schönes Gefühl, sind die Tore und Schranken im Vollzug doch geschlossen. Ich darf vor Gott so sein, wie ich bin. Ich bin willkommen“, kommentiert später ein jugendlicher Gefangener die Szene.

Hoffnungsorte aufsuchen

In der Kirche ertönt Orgelmusik. Beeindruckend für alle, als der ehemalige Werler Gefängnisseelsorger Theo Halekotte die Pfeifen zum Klingen bringt. Verschiedene Orte der Hoffnung können die Teilnehmenden aufsuchen: den Meditationsraum, den Pilger-Garten, die Krypta oder im Eingangsbereich mit dem Pilger-Stempel ihr Hoffnungsheft vervollständigen. Einige bleiben vor ihrer angezündeten Kerze stehen und verweilen einen Augenblick. „Wir haben gleich vier Kerzen gekauft“, sagt ein Gefangener. „Wir dürfen kein Bargeld mitnehmen, aber wir haben das mit unserem Betreuer geregelt. Anzünden können wir die Wallfahrts-Kerze im Knast nicht. Die kommt auf die Kammer“, meint einer aus dem offenen Vollzug. Ein älterer Gefangener geht mit Rollator vom Schriftenstand weg. Das kostenlose Buch zu den Wallfahrts- und Hoffnungsorten im Erzbistum Paderborn im Heiligen Jahr 2025 legt er sich auf die Ablage. „Das Buch nehme ich mit als Andenken“, sagt der Gehbehinderte.

Vor kurzem noch „auf der anderen Seite“

“Vor kurzem war ich noch auf der anderen Seite“, erzählt ein stämmiger Mann. Er wäre eine Zeitlang Schöffe (ehrenamtlicher Richter) bei Gericht gewesen. Jetzt sei bei ihm irgendein psychisches Problem aufgetreten und er sei straffällig geworden. „So schnell kann es gehen… Ich bin aber zuversichtlich, dass ich nach Haft wieder neu beginnen kann. Mit Gottes Hilfe schaffe ich das“, sagt er zuversichtlich und blickt auf das heilige Tor der Kirche. Manche der Geschichten, die die Menschen am Rande sehr offen erzählen, sind lange Stories. Einer erzählt, er sei 2008 im Jugendvollzug gewesen. Aktuell sei er wieder neu im offenen Vollzug der JVA Bielefeld-Senne. Irgendwie ist er aus der „kriminellen Ecke“ nicht herausgekommen. „Gott verzeiht und ist barmherzig mit mir“, sagt er schon fast entschuldigend.

Hoffnung nicht verlieren

Zum Mittagessen gibt es Gulaschsuppe. Besorgt fragt ein Gefangener, ob das Schweinefleisch sei. Als Alternative dazu gibt es Tomatensuppe. Die Fragen der Inhaftierten sind facettenreich. Beispielsweise ob Yoga im Christentum verboten sei? „Dies können Sie direkt den Weihbischof Josef Holtkotte fragen“, sagt eine evangelische Gefängnisseelsorgerin. Der Weihbischof ist sichtlich angetan ob der Konversation beim Mittagstisch. Interessiert fragt er nach. Sein großes silbernes Metallkreuz steckt er in seine linke Hemdtasche. Das macht Eindruck auf die Gefangenen. Einer erzählt, dass er den Weihrauch nicht vertragen könne Er sei evangelisch. Aber es mache ihm heute nichts mehr aus, das war früher… Weihrauch wird im anschließenden Gottesdienst reichlich verwendet. Stellenweise sind die zwei Ministranten der Sicherheitsverwahrung in der Kirche fast durch den Rauch unsichtbar geworden. Weihbischof Holtkotte geht mit dem Mikrofon auf die unterste Stufe und legt die biblische Emmaus-Geschichte aus. „Sie kennen das bestimmt aus ihrem eigenen Leben, niedergeschlagen zu sein und nicht mehr weiter zu wissen, wie es in Zukunft weitergehen kann“, sagt der Würdenträger mit Bischofsstab.  „Ich wünsche Ihnen, dass sie trotz allem Ihre Hoffnung nicht verlieren“, führt er aus.

Persönlicher Segen

Zum Abschluss kann jede und jeder in der Kirche nach vorne kommen und einen persönlichen Segen „abholen“. Die Schlange beim Weihbischof ist lange, obwohl die Wallfahrts-Seelsorgerin ebenso den Segen nebenan weitergibt. Letztlich ist es eine besondere Geste für die Menschen, zugesagt zu bekommen, dass sie trotz „ihrer Sünden“ nicht abgestempelt sind und immer wieder neu beginnen können. Beim Kaffee und Kuchen von der Knast-Bäckerei der JVA Werl, werden im Pilgersaal noch so manche Anekdoten ausgetauscht. Ein jugendlicher Gefangener bedankt sich persönlich für diese Erfahrung, die er bei dieser Gefangenenwallfahrt machen konnte. Besonders das eingespielte „Vater-unser“ Gebet des Bonner Rappers Sugar MMFK, ein Mann mit angolanischer Abstammung, bewegt einige. Doch nicht der Glaube an Jesus Christus ist alleine entscheidend, sondern dass Menschen interkulturell und interreligiös gemeinsam feiern können. Das zeigt diese Gefangenenwallfahrt in Werl. „Der Tag ist ein Schlüsselerlebnis in meinem Leben“, sagt der Inhaftierte mit den bunten Tätowierungen. Ob das ernst gemeint ist? Bestimmt, doch das je eigene Leben wird zeigen, wohin die Reise geht.

Text/Fotos: Michael King

1 Rückmeldung

  1. Achim sagt:

    Da kommen einem fast die Tränen von einer solchen Super-Wallfahrt zu lesen. Die Inhaftierten scheinen „lammfromm“ geworden zu sein?! Alles wird in mildem und sehr aufwertendem Licht beschrieben. Irgendwo kommt leise Wut in mir hoch. Aber es sind Menschen und die Türen stehen ihnen vor Gott offen. Wer immer Gott für sie ist. Das ist in Ordnung. Und doch würde ich mir wünschen, dass solch eine „Wallfahrt“ mit Menschen, die wahrscheinlich überwiegend weder kirchlich sozialisiert sind noch einer christlichen Religion angehören, religions-sensibler gestaltet wird. Die Wallfahrt ist christlich geprägt, keine Frage. Der Ort der Werler Basilika spricht davon.

    Dass aber ein solches „Pontifikalamt“ mit dem Prunk und der Macht der Katholischen Kirche gefeiert wird, zeigt nur, dass versucht wird weiterhin „die Wahrheit“ in alten Formen mit neuer Farbe zu „vermarkten“. Für manche scheint die Veranstaltung eine heimliche Bewunderung auszulösen, es könne ja doch etwas „dran“ sein und Göttlichkeit wirkt besonders darin. Weniger ist mehr und kann eine Offenheit gegenüber anderen Erfahrungen zeigen. In dieser Art kann „spiritueller Missbrauch“ die Gefahr sein. Damit meine ich, dass anscheinend klare Antworten aus dem Glauben vorgegeben werden. Selbst die Kirche hat ihre dunklen Seiten. Ob diejenigen, die diese Gefangenenwallfahrt vorbereiten das auch so sehen, mag ich bezweifeln.

    Wenn die mündigen Christen nicht mehr kommen, bleiben der katholischen Kirche immer noch diese hochgelobten Gefangenen-Transport-Wallfahrten. Dass diese als „besonders bezeichneten Pilgerinnen“ (welch ein scheinheiliger Wort-Missbrauch) berührt sind, wen wundert es… Eine von ihnen selbstgewählte Freizeitgestaltung steht ja nicht zur Debatte!

    Warum kann man nicht einmal an diesem Ort in Werl eine ökumenisch-interreligiöse Feier gestalten? Das alles ohne Beichtangebot im bunten Beichtstuhl und der „Heiligen Messe“ mit Weihrauch? Zum Beispiel im Garten dieses ehrwürdigen Ortes? Das wäre ein wahrlich gutes Zeichen.

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