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Das Leben hier drin ist nicht so einfach wie gedacht

14. März 2021

Eine inhaftierte Frau schreibt für ihren Mann einen Brief, damit er sich vorstellen kann, wie es im Gefängnis ist. Sie ist zum ersten Mal in der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Vechta inhaftiert. In Ihren Ausführungen schreibt sie über den Knast und ihre Gefühle. Der Schlüssel hat nicht nur einen symbolischen Wert, dieses kleine Ding entscheidet letztendlich, ob man etwas völlig banales tun kann, wie zum Beispiel eine Tür öffnen. Im Knast trennen Türen Welten. Man gibt nicht nur seine Klamotten ab, sondern beinahe jede Form der Eigenständigkeit, fast alles ist fremdbestimmt. Jede Tür bis zur „Zelle“  bestätigt aufs Neue, dass Menschen an diesem Ort in Unfreiheit leben müssen.

Zwischen mir und der Freiheit liegt nicht nur eine Überwachungskamera und Maschendrahtzaun, zwischen mir und der Freiheit liegt: Tür auf, Tür auf, Tür auf… Es ist als entferne man sich mit jeder Tür einen Schritt weiter von der Welt der anderen. Fakt ist, eine Haftzeit ist keine Butterfahrt. Ich muss im Abstand von anderthalb Metern vor einer Tür warten, bis der Vollzugsbedienstete sie aufgeschlossen hat. Erst nach einer Aufforderung darf ich hindurchgehen und habe im Anschluss im gleichen Abstand zu warten, bis die Tür wieder verriegelt ist. Man ist immer begleitet von einem Beamten. Dieses Ritual wiederholt sich täglich mehrfach. Es gibt keinen großen Weg (bis auf Toilette/Dusche) den ich allein gehen kann. Der dumpfe Klang, wenn die schweren Türen ins Schloss fallen, die scheppernden Türen, das Personal, die am Hosenbund die Schlüssel tragen, waren und sind momentan die mit lautesten Geräusche. Die Zeit hier drin, denkt man, geht schneller um mit der Zeit von Brief zu Brief, von Besuch zu Besuch, von Einkauf zum Einkauf. Im Prinzip kann man sagen, dass mein Leben der jeweilige Bedienstet am Hosenbund trägt.

Tagesablauf in der JVA

6.00 Uhr erfolgt eine sogenannte Lebenskontrolle, manchmal durch Beamte, die man noch nie gesehen hat. Lebenskontrolle = Sicherstellung, ob man noch lebt und sich nichts antat, mindestens ein „Hallo“ muss von „uns“ kommen. Falls man erkrankt ist oder sich krank fühlt, muss man sofort aufspringen und sich auf den Flur bei der durchlaufenden „Sprechstundengehilfin“ krank melden, zum Arzt melden.

6.45 Uhr sammeln, versammeln sich die Arbeiterinnen vor der Tür, dass eine Beamtin kommt, um uns die ersten 3 Türen aufzuschließen, sodass wir unten im Keller/Kammer warten können. Dort versammeln sich alle Arbeiterinnen des ganzen Hauses. Sobald alle Beamten, die im Dienst sind, eingetroffen sind, werden 5 Frauen „rausgesucht“, die zur Leibesvisite in einen abgesonderten Raum müssen. Dort werden sie nach Drogen, Waffen, oder anderen illegalen Gegenständen durchsucht. Anschließend werden wir Frauen von verschiedenen Beamten zu unserer „Arbeitsstelle“ gebracht.

 

7.00 Uhr Arbeitsbeginn: Wenn man während der Arbeitszeit (7.00 Uhr bis 16.00 Uhr) auf die Toilette muss, muss man den Bediensteten Bescheid geben.

16.00 Uhr Arbeitsende: Verdienst netto an 1 Tag sind ca. 4-5 Euro. Von der Arbeitsstelle geht es zurück auf die jeweiligen Stationen. Es wird das Abendessen verteilt.

16.15 Uhr
Die Post wird ausgeteilt, die vor meinen Augen geöffnet und kontrolliert wird. Briefumschläge werden noch im Büro entfernt.

Bis 19.45 Uhr hält sich ein Bediensteter auf dem Flur auf, dann erfolgt eine Zählung und die Tür zum Flur wird abgeschlossen, der sogenannte „Nachteinschluss“. Ab da kann im Notfall die „Ampel“ gedrückt werden. An der Pforte leuchtet eine Lampe auf und der Nachtdienst wird informiert; bis zum Eintreffen der Bediensteten kann es schon mal eine Stunde dauern. Bei akuten Notfällen kann schon der „Hausalarm“ gedrückt werden, dann treffen die Bediensteten auch in Minuten ein.

 

 

Anträge stellen

Nach einiger Zeit wandert man hier schlafwandlerisch „durch die Anstalt“. Der Satz, man ist dann nicht mehr ich selbst, bekommt hier drin eine völlig andere Bedeutung. Man lebt hier drin nicht, man überlebt. Ich kann es voll und ganz nachvollziehen, wenn Du mir oder jeder andere von draußen sagt, ich kann mir das nicht vorstellen! Man kann all dieses, was ich hier drin erlebe, keineswegs draußen nachspielen! Die Atmosphäre ist eine völlig andere! Man leidet hier drin täglich unter erdrückenden und erschreckenden Gefühlen. Damit Du Dir noch einiges vom „Knastalltag“ vorstellen kannst, habe ich mir „Zeit“ genommen, um Dir mal einiges aufzuschreiben! Man muss alles über Anträge laufen, die erst im Büro abgegeben werden und dann innerhalb von ein paar Tagen in die richtigen Hände gelangen. Trotz Anträge kann es schon Wochen dauern, bis man Gespräche führen kann. 1 x im Monat findet eine Haftraumkontrolle statt, wo wirklich alles auseinander genommen wird und die auch schon mal von männlichen Beamten durchgeführt werden. Ob der Kleiderschrank, Lebensmittel, Regale, Unterwäsche, Kosmetikartikel, alles wird auf den kleinsten Korn kontrolliert. Die Privatsphäre ist keine Privatsphäre mehr. Zusätzlich finden täglich kleine Haftraumkontrollen statt. Für Fenster auf und Heizung an, bekommt man einen sogenannten „Diszi“, bei mehrfachem Vorkommen wird der komplette Einkauf gestrichen.

Warten lernt man hier

Nach einem schriftlichen Antrag, der im Büro abgegeben werden muss, dann zur Abteilungsleiterin geht, die dann entscheidet, ob man mit in die VPK geht. VPK ist eine Vollzugsplanung, die 1 x wöchentlich stattfindet. Da drin sitzen Abteilungsleitung, Anstaltsleitung, Sicherheit, Drogenberatung, Sozialarbeiter, Psychologen und ein Beamter der Station. Dort wird besprochen, ob eine Überprüfung der Lockerungen stattfindet. Überprüfung heißt: die zuständige Staatsanwaltschaft, die Polizei, sowie der Richter werden gefragt, ob es Bedenken gibt. Schmuck darf man nur 5 Teile haben. Fotos sind auf 30 Stück begrenzt, Briefmarken, wenn man sie von draußen bekommt, wird man gefragt, wie viel man noch im Haftraum hat, max. 10 Stück darf man im Haftraum halten.

10 Frauen teilen sich 2 Duschen, 2 Waschbecken und 1 Toilette, die eigentlich 1 x täglich von unserem Hausmädchen, auch eine Inhaftierte, gereinigt werden sollte. Es gibt einen Waschplan, jeder Haftraum hat 2 Waschtage in der Woche, das heißt jedoch nicht, dass man den ganzen Tag waschen kann, den Waschtag teilt man sich noch mit 7 anderen Inhaftierten. Da wir ja erst ab 16.00 Uhr auf der Station sind, wird es eng und es gibt schon mal Streit. Alle 2 Wochen freitags wird eine Liste verteilt (2 DIN A3 doppelseitige Bögen), darauf stehen alle Lebensmittel und Kosmetika zu erhöhten Preisen. Wir können auf einem DIN A4 Zettel alle Artikelnummern eintragen, die wir kaufen möchten und können, von dem verdienten Geld. Diese Liste wird bis Sonntag im Büro abgegeben. Am Donnerstag darauf bringt der Kaufmann, abgepackt, die bestellten Dinge. Wir können diese dann im Besucherraum abholen. Tauschen oder ändern ist nicht mehr möglich.
Wenn ein Artikel nicht geliefert wird oder von mir vergessen wurde, ist es Pech. Und manchmal muss ich 2 oder 3 Wochen warten bis zum nächsten Einkauf.

Zeitgeber ist der Schlüssel

Vom Keller bis zum Arbeitsplatz befinden sich 7 Türen, die von Bediensteten jedes Mal auf- und zugeschlossen werden. Auch bis zur Krankenstation sind es 5 Türen. Alle diese Wege müssen mit Bediensteten stattfinden, da man sich nicht „frei“ in der Anstalt bewegen kann und die Türen ja auf- und zugeschlossen werden müssen. Jeden Sonntag findet ein Gottesdienst in der Klosterkirche statt. Dazu müssen wir uns um 8.45 Uhr melden und an der Tür warten. Von da aus werden wir rübergebracht. Bis zur Kirche sind es 7 Türen, die wieder vor uns aufgeschlossen und sofort hinter uns wieder verschlossen werden. Beim Hineingehen in die Kirche werden die Inhaftierten genau gezählt, da die Kirche sonst noch von nicht Inhaftierten genutzt wird. Der Kirchenraum wird vorher genauestens von Beamten durchsucht. Während des gesamten Gottesdiensts sitzen bis zu 4 Beamte mit im Gottesdienst. 1x täglich steht uns eine sogenannte Freistunde zu. Diese Freistunde ist fest vorgeschrieben, sie ist direkt nach der Arbeit, wenn man sie nutzen möchte, ohne vorher zu duschen. Die Freistunde findet auf dem sogenannten „Sporthof“ statt, wo man seine Runden drehen kann, wo man natürlich auch nur mit Beamten hinkommt und wieder abgeholt wird.


So, nun habe ich Dir wirklich mal einiges aus meinem „Alltag“ geschrieben, einiges wie die täglichen „Zickerein“ und so weiter, dachte ich mir, schreibe ich Dir mal nicht. Du kannst/solltest und müsstest Dir einfach vorstellen, dass der Mangel an Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten einen/mir zu schaffen macht. Die dauernde Nähe auf diesem kleinen Raum zu Zweit ist belastend. Nichts aber auch wirklich nichts bleibt verborgen. Auseinandersetzungen kann man hier nicht aus dem Weg gehen. Weißt Du, die Tage im Knast sind alle gleich lang, aber unterschiedlich breit. Der eigentliche Zeitgeber im Knast ist nicht die Uhr, sondern der Schlüssel. Mit dem Aufschluss morgens beginnt der Tag, mit dem Nachteinschluss endet er. Dazwischen wechseln sich einschließen, zuschließen, aufschließen, durchschließen, umschließen und vorschließen ab. Nirgends woanders habe ich so viele unterschiedliche Formen und Arten des Schließens kennengelernt. Ein Inhaftierter braucht keine Uhr mehr.

Achterbahnfahrt ohne Stopp

Ich messe die Zeit im Knast in ganz anderen Dimensionen. Fakt ist, dass eine Zeit im Knast Dich als Menschen ein Stück weit verändert, dennoch ist man trotz allem der Mensch, der man „draußen“ auch war. Vielleicht bereitet Dir dieser Brief Ängste, das ist nicht meine Absicht gewesen, der Sinn dieses Briefes ist ein anderer und folgender: Ich wollte Dir in diesem Brief nahelegen, dass hier eigentlich nichts rosig ist, dass das Leben hier drin nicht so einfach ist, wie es sich für Dich von draußen so spiegelt. Auch als Gefangener nimmt man Rücksicht auf die draußen lebenden Menschen, weil man sie nicht beunruhigen möchte. Ich möchte Dir mit diesem Brief keine Angst machen, auf gar keinen Fall, ich möchte bzw. denke, dass Du nach dem Brief einiges mehr verstehst. Meine Knastzeit ist wie eine Achterbahnfahrt, nur ohne sichtbaren Stopp! Ich möchte einfach Dir einiges verdeutlichen, auch meine Stimmungsschwankungen. Ich bitte nur um Verständnis und hoffe, dass wir weiter glücklich sein können. Ich finde, es war jetzt mal an der Zeit, Dir dieses zu schreiben.

Ich liebe Dich – Deine nur Dich liebende A.
Zeichnung: Hoffnung, Gefangener JVA Frankenthal

 

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