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Da verschiebt sich die Perspektive: Eine Chance geben

12. Juli 2025

Nach seiner 25-tägigen Ersatzfreiheitsstrafe wegen zivilen Ungehorsams hat der Jesuit und Aktivist Jörg Alt die Haftbedingungen in der JVA Nürnberg beklagt. Was sagt ein Gefängnisseelsorger zu der Kritik? Ein Interview mit Michael Diezun, Gefängnisseelsorger an der Justizvollzugsanstalt Remscheid-Lüttringhausen.

Kennen Sie das, was der Jesuit Jörg Alt aus Nürnberg in seinem 53-seitigen Bericht schreibt, dass teilweise nur zwei Mitarbeitende für über hundert Inhaftierte zuständig sind?

Personalmangel ist im Moment eines der größten Probleme bei uns. Das ist wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft auch so. Die Älteren werden pensioniert und es ist schwer, Neue zu gewinnen, weil die Bediensteten im Dreischichtdienst arbeiten, und natürlich auch samstags und sonntags. Das ist schon eine anstrengende und herausfordernde Arbeit. Deshalb gelingt es nicht, so viele zu gewinnen, wie es eigentlich braucht.

Jörg Alt schreibt von einem „Running Gag“, dass man im Knast unter anderem aufgrund von Langeweile kriminell werde. Ist das so?

Langeweile ist eines der größten Probleme, denn wenn Gefangene 24 Stunden eingeschlossen sind und eine Stunde Freigang haben, in der sie auf den Hof dürfen, dann ist das natürlich nicht viel Zeit. Das ist für viele Menschen eine absolute Herausforderung. In der Anfangsphase, wenn die Neuen in die Anstalt kommen und noch keinen Fernseher haben und keine Playstation haben dürfen, dann sitzen sie auf der Zelle und haben nur einen Radiowecker.

Viele Häftlinge leiden unter Drogenentzug, psychischen Belastungen oder werden in Isolationshaft untergebracht. Wie erleben Sie diese Situation auch im Blick auf die Würde und Stabilität der Inhaftierten?

Das sind jetzt drei ganz unterschiedliche Sachen. Einmal ist es natürlich so, dass Drogensüchtige leicht kriminell werden, wenn sie diesen Mangel haben, Geld auf legalem Weg für ihre Drogen zu organisieren. Deshalb sind die auch häufig im Gefängnis. Sie werden straffällig und dann eingeliefert. Bei der Verhaftung nimmt keiner Rücksicht darauf, ob sie den letzten Schuss vor vier Stunden oder vor drei Tagen gehabt haben. Die sind im Gefängnis dann erst einmal in einer ganz schwierigen Situation, weil man ihnen auch nicht sofort Ersatzdrogen geben kann, sondern erst mal sehen muss, was bei ihnen überhaupt los ist. Diese Zeit ist wirklich sehr unangenehm.

Nach den Beobachtungen vom Jesuiten Jörg Alt sprechen rund zwei Drittel der Gefangenen nicht ausreichend Deutsch. Welche Rolle spielt die Sprache in Ihrer seelsorglichen Arbeit?

Zwei Drittel würde ich nicht sagen, aber natürlich ist es so, dass Deutschland ein Land ist, durch das die Menschen aus dem Osten in den Westen und umgekehrt ziehen. Wenn sie dabei straffällig werden, landen sie in unserer Anstalt. Ich habe in dieser Woche ein Gespräch mit einem Menschen aus Litauen gehabt, der nur Russisch kann. Der braucht dann andere litauische Gefangene, die ihm erklären, wie es bei uns in der Haftanstalt abläuft und was er tun muss. Natürlich hat er riesige Probleme, weil es ihm nicht gelingt, sich innerhalb der Strukturen zu organisieren, sodass er zum Beispiel seine Familie ein Vierteljahr nicht informiert hat, wo er ist.

Was ist sonst wichtig in der Gefängnisseelsorge? Wie ist das zum Beispiel mit der Perspektive der Inhaftierten?

Die Entlassung ist eine ganz große Sorge der Inhaftierten. Tatsächlich hat jetzt jemand geklagt, in Haft bleiben zu dürfen. Ja, es klingt schräg, aber er weiß, dass er nicht sofort Arbeit und auch keine Wohnung bekommt, wenn er rauskommt. Da verschiebt sich die Perspektive. Die Nachbarn sagen, sie möchten in ihrem Haus keinen verurteilten Straftäter haben, auch wenn sie nach Ende der Haft erwarten können, dass der straffrei lebt. Das macht es schwierig. Wenn wir das Vater-unser beten, dann sagen wir: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben. Das erwarte ich von Christen, dass sie imstande sind, sich Menschen zumindest erst einmal genau anzuschauen und dann zu sagen, dass jemand verurteilt wurde, vier Jahre im Knast gesessen hat und jetzt eine Chance auf ein neues Leben braucht. Dann sind sie als ChristInnen gefordert, denen eine Chance zu geben. Deshalb brauchen wir Handwerksmeister, die es mal mit den Ex-Gefangenen probieren. Und wenn der sich bewährt, können sie ihn einstellen. Das ist doch gut.

In dem Bericht von Jörg Alt wurde beschrieben, dass Gewalt sowohl unter Inhaftierten als auch gegenüber dem Personal keine Seltenheit sei. Kennen Sie das auch Ihnen gegenüber, dass da jemand mal gewalttätig wurde?

Nein, ich glaube als Seelsorger und als Pfarrer hat man eine Sonderstellung, sodass das eher sehr unwahrscheinlich ist. Es gibt aber unklare Situationen, da muss man sicherlich vorsichtig sein. Stellen Sie sich vor: Da sind strenge Muslime, die keinen Alkohol trinken und keine Drogen nehmen und Drogensüchtige auf einem Raum. Da gibt es natürlich Spannungen ohne Ende. Wenn die das nicht auf eine normale Weise pflegen können und wenn die Bediensteten gerade unter Druck sind und nicht genau hinschauen können, weil keine Zeit ist, um so was zu dämpfen und Leute auseinanderzubringen, dann kommt es da schon zu Gewalt. Es ist aber selten der Fall und dann hat das für die Beteiligten auch deutliche Konsequenzen. Sie werden dann zum Beispiel abgesondert oder kommen in eine Arrestzelle. Bei uns in Lüttringhausen ist das relativ ruhig im Vergleich zu anderen Anstalten, aber Gewalt gegenüber Bediensteten und in andere Richtungen gibt es natürlich auch. Aber ich halte das wirklich für relativ selten.

Das domradio-Interview führte Tobias Fricke

 

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