Die nach Bombenangriff zerstörte Essener Stafanstalt, 12. Dezember 1944. Der 200 toten Inhaftierten des Gefängnisses Essen in der Bombennacht vom 26. März 1944 wird mit roten Nelken und einem französischen Vaterunser gedacht. Foto: Willy Van Heekern, Fotoarchiv Ruhr Museum.
Durch alliierte Luftangriffe kamen in der Stadt Essen mindestens 6384 Zivilisten ums Leben. 93 Prozent der Altstadt war 1945 dem Boden gleich. Hinzu kommen sehr hohe Opferzahlen unter ausländischen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und auch Strafgefangenen. Diese Gruppen durften die Schutzbunker nicht betreten, Inhaftierte der „Krawehle“ wurden in ihren Zellen belassen.
Laut Essener Chronik 1944 kamen allein beim Angriff vom 26. März um 21.50 Uhr 91 Strafgefangene ums Leben, davon 52 ausländische. Die Zahlen der Friedhofsverwaltung und die belgischer Listen sind wesentlich höher. Hinzu kommt eine große Anzahl von Vermissten, die auch nicht alle überlebt haben werden. Auf dem Totenzettel des belgischen Friedensrichters Paul Hanson ist die Rede von 200 Opfern an diesem Tag vor 75 Jahren.
Etwa Zweidrittel der Krawehle-Gefangenen waren Résistance-Häftlinge aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden. Da alle Gefangenenakten verbrannt sind oder vernichtet wurden, sind wir auf Zeugnisse Überlebender angewiesen. Der Mechelner Désiré Beeck, Mitglied einer königstreuen belgischen Widerstandsgruppe – er starb erst 2017 im Alter von 95 Jahren – berichtet: Sieben meiner Gruppe starben in dieser Nacht. Als noch nicht Zwanzigjähriger wurde ich gerettet, weil ein kriegsversehrter Essener Hilfswachtmeister Herz zeigte. Er öffnete meine Zellentüre und ließ mich ins Freie laufen, noch bittend, ich möge ihn nur nicht verraten. Sieben meiner Gruppe starben in dieser Nacht in der Strafanstalt. Désiré machte nach seiner Befreiung in Dachau eine Dankwallfahrt zur Lieben Frau von Scherpenheuvel.
Neben dieser königlich-konservativen Widerstandsgruppe in Belgien gab es vor allem in Frankreich zahlreiche kommunistische Geheimverbände, die Spionage und Sabotage verübten. Viele Mitglieder wurden verraten. Am 24.3.1943 gab es einen Gefangenentransport von Lille über Brüssel nach Essen. Zwei Tage später wurden allein von den 30 Mitgliedern der kommunistischen Sektion aus der Departementhauptstadt Arras neun in der Essener Bombennacht getötet. Ein Foto haben wir von Charles Dieu. Der überlebte zwar den Essener Luftangriff, starb aber an Erschöpfung im KZ Buchenwald. Von den 10 Mitgliedern der kommunistischen Widerstandsgruppe aus Bourbourg bei Calais starben fünf im März 1944 in der Kruppstadt.
Unter den Toten dieses Luftangriffs war auch der Pfarrer der christlichen Arbeiterjugend (JOC=CAJ) von Mons-Mesvin, Abbé Paul Lefèbvre. Er half, alliierte Fallschirmspringer zu verstecken. Mit ihm starb am 26.3.1944 laut Gedenkbuch Brügge der junge Abbé Edouard Adam. Beide warteten in Essen auf ihre Verhandlung vor dem dortigen Sondergericht. Der belgische Benediktinermönch André-Marie Duesberg, bedeutender Widerstandsführer, überlebte zwar Bombardierungen von Stadt und Strafanstalt, einige Monate später jedoch kam er im KZ Groß Rosen ums Leben.
Wertvolle nachträgliche Aufzeichnungen gibt es von Pfarrer Josef Reuland aus dem Trierer Land, verurteilt wegen hetzerischer fälschlicher Behauptung der Religionsfeindschaft der Nationalsozialisten. Zusammen mit dem belgischen Ordensbruder Mannes Waeyaert musste er im November und Dezember 1944 als Häftling in Essen Blindgänger entschärfen. Den Angriff vom 12.12. überlebten viele Dutzend seiner Mitgefangenen nicht, auch Bruder Mannes starb. Reuland schreibt, in seinem Flügel hätten nur die wenigsten überlebt, die meisten seien an Lungenriss verstorben. Die schwere Zellentüre war herausgerissen, er selber lag bewusstlos auf Glasscherben. Sein Empfinden fasste Reuland oft in Psalmworten zusammen, so auch hier: Die Erde wankte und bebte. Verzehrendes Feuer kam aus seinem Mund. (Ps. 70) Reuland überlebte: Mit seinen Flügeln beschirmt er dich. (Ps. 91)
Mit Kerzen auf dem Parkfriedhof an den Gräbern zweier Kommunisten aus Arras, mit roten Nelken und einem französischen Vaterunser an der JVA-Mauer, mit einem Artikel in der Lokalpresse und mit einer heiligen Messe in der Gefängniskirche und Erklärungen für die heutigen Inhaftierten wird der zahlreichen Toten des 26.3.1944 gedacht. Weit außerhalb des damaligen Geschehens aufbewahrte Zeugnisse helfen, die schrecklichen Kriegsereignisse im Gefängnis Essen nicht zu vergessen.
Alfons Zimmer | Pastoralreferent in den JVAen Bochum