Ein Flur einer Abteilung der Justizvollzugsanstalt in der JVA Bochum.
Anton Steinhoff war in den Kriegsjahren Kaplan im Dortmunder Kreuzviertel. Ein noch lebender Zeitzeuge, damals Messdiener, sprach ihn einmal auf seinen immer traurig wirkenden Blick an. Schließlich habe Steinhoff ihm anvertraut, dass es zu tun habe mit seiner Arbeit im Gefängnis Lübeckerstr. 21 a. Die Strafeinrichtung war von 1943 bis 1945 eine zentrale Richtstätte des Reiches. Dutzende Gefangene habe Steinhoff begleiten müssen auf dem Weg zum Fallbeil.
Unter den Todeskandidaten waren auch ein französischer und zwei belgische Priester. Zuvor waren diese drei eine Zeitlang inhaftiert in der Bochumer Krümmede. Die letzten Gespräche mit den verurteilten Mitbrüdern hinterließen bei Steinhoff einen unauslöschlichen Eindruck. Er bezeichnet sie als Märtyrer und Heilige, die ihr Leben als Sühnopfer gaben. Ihr Tod bringe Gnade auf Kirche und Land mehr noch als ihr arbeitsreiches Leben.
Am 18. Oktober 1943 betritt Steinhoff um 17.00 Uhr die Zelle des belgischen Paters Josef Raskin. Er findet den Beichtvater des belgischen Königs kniend im Gebet. Um 18.30 Uhr wird Pater Raskin abgeholt. Barfuß, die Hände auf dem Rücken gebunden, mit nacktem Oberkörper, über den lose eine blaue Jacke geworfen wurde, schreitet er aufrecht die Eisentreppe hinunter zur Guillotine. Mit fester Stimme singt er das Magnifikat. In allen Fluren ist es zu hören. Steinhoff muss zurück bleiben. Der deutsche Priester spricht seinem belgischen Mitbruder ein Schriftwort zu: „Heute noch wirst du bei mir im Paradies sein.“ Raskin antwortet: „Je l´espère bien, mon père.“ Ich hoffe es sehr, mein Vater. Danke sehr! Dann wird er von den Henkern in Empfang genommen. Sie ziehen den Vorhang zu. Das Beil fällt. Der Kopf des Priesters fällt in einen Blecheimer. Steinhoff hält die Uhrzeit fest: Es ist 18.43 Uhr, der 18. Oktober 1943, vor 75 Jahren.
Wer war Pater Josef Raskin? 1892 im belgischen Stevoort geboren schloss er sich den Missionaren von Scheut an. Von 1920 bis 1934 arbeitete er als Lehrer und Missionar in China. Nach der Kapitulation der belgischen Armee 1940 trat er als ein führender Kopf dem Widerstand gegen das Terrorregime Hitlers bei. Es existieren sogar noch Kassiber Raskins, die er mit Brieftauben den Engländern zugespielt hat. Den Glauben, die Kirche und das Vaterland zu verteidigen, war für ihn eine Sache. Nach seiner Verhaftung 1942 kam er u.a. über Bochum ins Strafgefangenenlager Esterwegen. In einer der zehn mit je 150 Häftlingen belegten Baracken des großen belgischen Blocks befanden sich 14 Priester. Wie alle mussten auch sie im Moor arbeiten. Im Geheimen feierten sie sonntags die heilige Messe, während Freimaurer am anderen Ende des Tisches Versammlung abhielten und die Türe im Auge behielten.
Ende August 1943 kam unter Vorsitz Roland Freislers der Erste Senat des Volksgerichtshofes nach Papenburg. Ein Raum der ehemaligen Ursulinenschule wurde zum Gerichtssaal. Am Ende beteuerte Raskin, dass er alles auf sich nehme und nichts bereue. Die Kirchturmuhr schlug gerade zwölf Mal an diesem Mittag des 1. Septembers 1943, als Freisler sagte: „Raskin, Josef, verurteilt durch das Beil!“ Mit Raskin, nach dem in Papenburg eine Straße benannt ist, erhielten weitere fünf Esterwegener Häftlinge die Höchststrafe. Zurück im Lager legte er von Baracke zu Baracke hinter dem Rücken der Wachtmeister bei einem belgischen Benediktiner die Beichte ab – in lateinischer Sprache. Ebenso erfolgte die Absolution. Bevor Raskin im Lastwagen in die Dortmunder Todeszelle verbracht wurde, segnete er alle. Im Lübecker Hof musste er noch einen Monat auf seine Hinrichtung warten. Kaplan Steinhoff bezeugt und berichtet, Raskin habe allen für ihre Dienste gedankt Und er habe all seinen Feinden verziehen. Es liegt nahe, mit Steinhoff anzunehmen, dass der seitdem lange andauernde Frieden in Europa auch zu tun hat mit dem Segen und der Gnade, die der Tod dieser Märtyrer ausgelöst hat.
Alfons Zimmer | JVA Bochum