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Betroffenenbeirat zum Missbrauch im Missbrauch

5. März 2021

Der Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz hat sich intensiv mit den Themen des Synodalen Weges beschäftigt. Nun hat der Betroffenenbeirat eine Stellungnahme über den Zusammenhang der Themen des Synodalen Weges und den Fragen der sexualisierten Gewalt erarbeitet. Mit der Veröffentlichung der MHG-Studie ist seit Herbst 2018 die Frage nach den Ursachen für die Häufung von sexualisierter Gewalt im Raum der katholischen Kirche in Deutschland verschärft in den Blick gekommen.

Seit Beginn des Synodalen Weges mit der ersten Vollversammlung Anfang 2020 gibt es fundamentale Kritik am Weg der Aufarbeitung und an der Verknüpfung der Beratungen mit den Ergebnissen der zugrundeliegenden MHG-Studie. Immer wieder ist – auch von Bischöfen – die Aussage zu hören, hier würde „Missbrauch des Missbrauchs“ betrieben. Gemeint ist damit die Behauptung, die Verknüpfung der Themen des Synodalen Weges mit der Missbrauchskrise sei nur vorgeschoben, um einer Jahrzehnte alten Reformagenda aus progressiven Kreisen der katholischen Kirche endlich den nötigen Schub zu verleihen.

Als Betroffenenbeirat möchten wir die geäußerte Kritik aufgreifen, denn die Frage ist erlaubt, was denn bisher – strukturell gesichert – die Beratungsinhalte des Synodalen Weges mit der Missbrauchskrise zu tun hatten. In der Tat hat es bis zur Digital-Konferenz des Synodalen Weges Anfang Februar 2021 gedauert, bis mit dem Statement des Sprecherteams des Betroffenenbeirates bei der DBK Betroffenen auch ausdrücklich ein Rede- und Gaststatus eingeräumt wurde. Anscheinend hat es dieser Menschen mit Namen und Gesicht bedurft, um sichtbar zu machen, dass wir Betroffene von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche Deutschlands kein Phantom sind, nicht irgendwelche Leute im Irgendwo, sondern dass wir real sind, dass wir viele sind, dass wir zum Teil nach wie vor Mitglieder dieser Kirche sind, dass man uns immer alltäglich begegnen kann.

In den Mühlen der Kirchen Machtasymmetrie

Das Erstaunen, das diese Erkenntnis ausgelöst hat, auch insbesondere unter den Vertreterinnen und Vertretern der Laienverbände, löst Erstaunen unsererseits aus! Nun ist endlich – wenn auch erst in der Halbzeit des Synodalen Weges – gewährleistet, dass Betroffene ihre Expertise und ihre Blickwinkel ausdrücklich in die weiteren Beratungen einbringen können. Diese Möglichkeit greifen wir gerne auf, auch um der These vom „Missbrauch des Missbrauchs“ im Kontext des Synodalen Weges entschieden entgegenzutreten. Die Schwerpunkte der vier Synodalforen geben hierzu Gelegenheit.

Reflexartiger Schutz des Klerikerstandes

Das Forum „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ bearbeitet Fragen der bisherigen Machtasymmetrie, der bisher fehlenden Partizipation und Transparenz im kirchlichen Leitungshandeln. Wer auch immer in den vergangenen Jahrzehnten betroffen war von sexualisierter Gewalt in kirchlichen Kontexten, musste damit rechnen in die Mühlen dieser Machtasymmetrie zu geraten. Diese Gefahr besteht bis heute, denn immer noch gibt es den reflexartigen Schutz der Institution und des „Klerikerstandes“: So wie sich hier kollektiv geschämt wird, wird auch kollektiv geschützt und kollektiv kommuniziert. Das Wort „wir“ könnte in diesem Kontext zum katholischen Unwort des Jahres gekürt werden. Die Zahl der Bischöfe, die ausscheren aus diesem kollektiven Handeln und begonnen haben „ich“ zu sagen, Macht wirksam zu teilen, transparente Verfahren der Aufarbeitung einzuführen, den Betroffenen einen aktiven Status zuzuerkennen und sich empathisch auf ihre Seite zu stellen, wird hoffentlich größer, auch durch die Beratungen des Synodalen Weges. Betroffene erwarten zurecht, dass diese Beratungen nicht in Lippenbekenntnissen enden, sondern nachhaltige Veränderungen einleiten im Hinblick auf Macht und Gewaltenteilung in der katholischen Kirche.

Zölibat als Deckmantel

Mit dem Synodalforum „Priesterliche Existenz heute“ ist auch die Frage nach der zölibatären Lebensform von Priestern als Beratungsgegenstand des Synodalen Weges benannt. „Missbrauch des Missbrauchs“ betriebe, wer behaupten würde, dass Menschen, die aus freier Wahl oder faktisch nicht in einer Partnerschaft leben, anfälliger wären zum Missbrauchstäter oder zur -täterin zu werden. Einer solchen pauschalen Verdächtigung wollen auch wir entschieden entgegentreten. Trotzdem lehren uns die eigene und die Erfahrung vieler anderer Betroffener von sexualisierter Gewalt, dass der Zölibat als Lebensform von Priestern offenbar lange einen hervorragenden „Deckmantel“ für sexualisierte Gewalt geboten hat.

Wahrheit(en) im Karnevalsumzug

So konnten z.B. Missbrauchstäter unter dem Vorwand, sie hätten „Zölibatsprobleme“, ihre Taten in den Beichtstuhl tragen und wurden dort entschuldigt. Oder sie konnten sich ihren Bischöfen entsprechend erklären und wurden versetzt, um sie aus der „Gefahrenzone“ der Person, die ihnen diese Probleme „bereitet hatte“, herauszunehmen. Das ist „Missbrauch des Missbrauchs“! Eine solche Beichtpraxis ist Missbrauch des Bußsakramentes; eine solche Umkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses ist Missbrauch der zölibatären Lebensform. In diesem Sinne gehört die Frage nach der „Priesterlichen Existenz heute“ auf die Tagesordnung des Synodalen Weges; in diesem Sinne muss hier auch der Zölibat als ein Aspekt systemischer Ursachen für sexualisierte Gewalt im Raum der Kirche zur Disposition gestellt werden.

Frauen in den Ämterdiensten

Als Betroffene von sexualisierter Gewalt in kirchlichen Kontexten sind wir froh, dass die Frage nach „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ in die Beratungen des Synodalen Weges aufgenommen wurde, auch wenn die Ergebnisse der MHG-Studie dies zunächst nicht nahegelegt hatten. Zu den systemischen Ursachen für sexualisierte Gewalt in katholischen Kontexten gehört auch der Hang zum Männerbündischen und zu speziellen Klerikermilieus. Wir wissen, dass Frauen nicht per se die besseren Menschen sind: auch Frauen werden Täterinnen, Mitwissende, Vertuscherinnen von sexualisierter Gewalt. Dennoch bieten gemischtgeschlechtliche Leitungsstrukturen immer auch die Chance Milieus aufzubrechen und diverse Blickwinkel einzubeziehen.

Hinzu kommt die Wahrnehmung Betroffener, dass die meisten der Täter*innen in kirchlichen Kontexten doch Männer waren und dass viele Betroffene daher die ausschließliche Spendung von Sakramenten durch Männer als Zumutung, manchmal auch als regelrechten Trigger empfinden. Niemand von uns kann es sich aussuchen, welches Geschlecht die Person hat, der wir in der Feier von Sakramenten begegnen; bisher sind dies im katholischen Kontext immer Männer. Zahlreiche Betroffene von sexualisierter Gewalt sind nach wie vor Mitglieder der katholischen Kirche und wollen es weiterhin sein. Sie haben ein Recht darauf, dass die Folgen ihrer Traumatisierungen mitbedacht werden, wenn über den Ausschluss von Frauen von geweihten Ämtern beraten wird.

Homosexuelle Präferenz keine Täterschaft

Das Synodalforum „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ markiert schon in der Formulierung einen größeren Kontext der Fragestellung, den wir ausdrücklich begrüßen. Eine biologistisch enggeführte Sexualmoral, zudem mit Verschweigen und Verboten flankiert, hat vielgestaltig beigetragen zu Tatkontexten und Täterstrategien. Dies zu sichten und ins Bewusstsein zu heben, sehen wir als Teilauftrag des vierten Synodalforums. Ausdrücklich widersprechen wir in diesem Zusammenhang allerdings der Behauptung, die im Kontext des Synodalen Weges immer wieder geäußert wird, dass die signifikante Häufung von männlichen Opfern im Forschungsfeld der MHG-Studie einen Zusammenhang zwischen der homosexuellen Präferenz eines Menschen und einer möglichen Täterschaft nahelege.

Wer die Ergebnisse der MHG-Studie hierzu sorgfältig liest, kann nicht zu einem solchen Schluss kommen. Wer die Vielgestaltigkeit von Konstellationen, in denen sexualisierte Gewalt im Raum der Kirche geschehen ist, in den Blick nimmt, kann nicht zu solchen kurzschlüssigen Beurteilungen kommen. Dabei wollen wir als Betroffene noch einmal darauf hinweisen, dass mit der MHG-Studie weder das Dunkelfeld sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche bearbeitet werden konnte, noch neben den betroffenen Minderjährigen weitere Betroffenengruppen in den Blick genommen wurden: Ordensleute, zum Tatzeitpunkt volljährige betroffene Frauen, Männer und Erwachsene, die sich keiner Geschlechtskategorie zuordnen. Auch diesen Gruppen sind wir als Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz verpflichtet. Sie markieren die Vulnerabilität und Vulneranz aller Menschen im Kontext von Sexualität und Partnerschaft, die in den Beratungen des Synodalforums „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ angemessene Berücksichtigung finden müssen.

Der Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz

 

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