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Bei mir gibt es viele Kurven in meinem Lebenslabyrinth

20. August 2023

Verwundert schauen die jugendlichen Gefangenen im Gottesdienst auf ein Holzbrett, in das ein Labyrinth eingefräst ist. „Das ist ein Murmelspiel“, sagt einer. Im weiteren Gespräch fällt das Stichwort „Irrgarten“. „Man kann sich verlaufen…“ meint ein anderer Jugendlicher. Doch bei diesem Labyrinth ist es nicht so.

Der Weg bietet einen Ein- und Ausgang sowie eine Mitte. Das Labyrinth als Symbol für den eigenen Lebensweg. Da gibt es Wendungen, Abkehrungen und Um-Wege. Manchmal wähnt man sich der Mitte nahe, und dann ist man wieder ganz am Rande. Genau hier können die inhaftierten Jugendlichen mitreden. Sie sind in den Jugendvollzug gekommen, weil sie straffällig und von einem Gericht rechtskräftig verurteilt wurden. „Die Mitte kann auch der Beginn sein“, sinniert ein 17-jähriger. „Im Laufe des Lebens bin ich immer tiefer gefallen“, erzählt er. Dabei zeigt er auf die vielen Kurven im Labyrinth. Kurvenreich verlief sein Leben.

Die Anstaltskirche der Justizvollzugsanstalt Herford in Ostwestfalen.

Mein Leben ist besser geworden…

„Wo ist für Euch die Mitte?“, fragt der Gefängnisseelsorger. „Was könnte das bedeuten?“ Nachdenkliche Gesichter, in denen man erkennen kann, wie es in jedem Einzelnen arbeitet. „Es ist mein Ziel, einen Ausbildungsplatz zu bekommen“, sagt einer. „Die Mitte ist der Punkt, an dem ich überlege, ob ich zurückgehen soll oder ich eine Zeit dortbleiben will“, mein ein anderer. „Die Mitte ist für mich die Vergewisserung, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin“, sagt ein 22-jähriger. Brendy, ein 20-jähriger, steht auf, greift zum Mikrofon und singt A-cappella ein Lied auf rumänisch. Niemand versteht, was er singt. Als dann sein „Halleluja“ erklingt, merken die Gefangenen auf. „Das geht unter die Haut“, sagt einer leise zu seinem Nachbarn. „Mein Leben ist gut geworden, mein Leben hat einen besseren Weg gefunden, weil ich ihn getroffen habe“, so übersetzt Brendy den Liedtext. Mit „ihn“ meint er Gott. Für andere ist die Mitte ihre Familie, die Freundin oder auch der Fußball.

Im Labyrinth des Vollzuges

Einige der jugendlichen Täter arrangieren sich mit dem Jugendvollzug. Sie passen sich an oder aber machen anscheinend Karriere, in dem sie sich subkulturell betätigen. „Das ist ein Weg, der nur scheinbar in die Mitte führt“, sagt der Gefängnisseelsorger. Die Geister zu unterscheiden ist wichtig. Es gibt falsche Propheten, so hören die Teilnehmenden im Evangelium Matthäus 7, 1-20. Dazu stehen alle auf, die Bibel wird in die Mitte getragen. „Die Beamten haben keinen Respekt, die bleiben sitzen beim Gebet“, kritisiert David nach dem Gottesdienst. Er schaut vorwurfsvoll die zwei Bediensteten an. „Die goldene Regel des Umgangs miteinander gilt auch für die Beziehung zu den Bediensteten“, antwortet der Gefängnisseelsorger. David kennt den Alltag im Jugendvollzug. Er ist bereits zum 2. Mal inhaftiert, weil er die Auflagen nicht einhielt. „Eine neue Runde im Vollzug“, grinst er. „Vielleicht habe ich dann doch noch eine Chance“, meint er. „Dazu habe ich noch viele Pläne und verliere den Horizont nicht“ sagt er lachend. Das Finden einer Mitte gerät auch im Alltag der Inhaftierung nicht aus dem Blick.

Michael King

 

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