Yvonne Radetzki, Vorsitzende der Bundesvereinigung, der AnstaltsleiterInnen e.V., spricht in ihrem Grußwort bei der Studientagung in Fulda zum Thema Diversität im Justizvollzug. Die Menschen in der JVA-Leitungen und in anderen Bereichen des Justizvollzuges sowie in den Justizministerien seien ebenso „ein bunter Haufen“, sagt Radetzki als erste Vorsitzende. Der Justizvollzug sei bunt, würden VollzugspraktikerInnen sagen…

Bunter Austausch unter Gefängnisseelsorge-Kollegen im Bonifatiushaus in Fulda

G*tt (w/m/d): Gastgeschenke an die ReferentInnen.

Kleingruppen-Gespräch im Workshop.
Im Vollzugsalltag werden wir mit fast allen Situationen konfrontiert, die auch außerhalb der Anstaltsmauern vorkommen können. Entsprechend haben Sie als Thema Ihrer diesjährigen Studientagung das Thema „Diversität im Justizvollzug“ gewählt. Die Wahl Ihres Themas legt damit für Außenstehende nahe, dass es Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Inhaftierten geben kann. Diversität ist dabei gekennzeichnet durch Vor- und Nachteile, die mit Privilegien und Diskriminierung verbunden sein können.
Kulturelle Hintergründe
So erleben wir bereits seit vielen Jahren eine kulturelle Vielfalt in den Anstalten und befinden uns damit in einem ständigen Prozess des Lernens, wie wir am besten mit Inhaftierten aus den jeweiligen unterschiedlichen Kulturen umgehen. Auch Erfahrungen, die die jeweiligen Gefangenen mit staatlichen Einrichtungen in Ihrem Heimatland gemacht haben bis hin zu Kriegstraumatisierungen spielen dabei eine Rolle. Die kulturelle Vielfalt in den Anstalten ist ein Teil ihrer Diversität. Die kulturellen Unterschiede der Inhaftieren führen nicht selten zu Spannungen dieser untereinander, aber auch den Bediensteten der Anstalten ist manches Verhalten fremd. Um diesem zu begegnen legen wir Wert darauf, dass auch die Bediensteten der Anstalten über unterschiedliche kulturelle Hintergründe verfügen. Auf diese Weise gelingt es uns verschiedene Perspektiven einzunehmen und ein besseres Verständnis für so manches Verhalten von Inhaftierten zu entwickeln, Vorurteile abzubauen und ein respektvolles Miteinander zu fördern.
Binnen-Differenzierungen
Im Justizvollzug finden wir Diversitätsdimensionen nicht nur in der kulturellen Vielfalt. So trennen wir seit je her weibliche von männlichen Gefangenen, indem wir diese in unterschiedlichen Anstalten oder Bereichen einer Anstalt unterbringen. Wir trennen erwachsene von jugendlichen Gefangenen. Darüber hinaus haben wir in einigen Justizvollzugsanstalten Binnendifferenzierungen. Inhaftierte werden nach Delikt, Alter oder auch danach getrennt, ob sie eine Suchtproblematik aufweisen oder nicht. Auch psychische Belastungen können eine Gruppe von Gefangenen kennzeichnen. Ein wichtiger Aspekt von Diversität im Justizvollzug ist die Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse dieser Gruppen. Dabei gibt es erst in der jüngeren Vergangenheit eine weitere Gruppe, nämlich die der Gefangenen, die sich nicht eindeutig als weiblich oder männlich zuordnen lassen. Auch Gefangene, die sich noch im Transitionsprozess befinden, fallen hierunter.
Aufgeregte Fragen
Im Justizalltag werden wir derzeit noch eher selten mit diesem Thema konfrontiert. Zunächst dachte ich spontan bei der Beschäftigung mit diesem Thema an einen diversen Sozialpraktikanten und die Diskussion in meiner Anstalt, die dieser im Vorfeld seines/ihres Praktikums auslöste. Wie sollen wir ihn/sie ansprechen und welche Toilette stünde denn zur Verfügung, waren nur einige der aufgeregten Fragen. Bei längerer Beschäftigung mit diesem Thema, erinnerte ich mich auch schmunzelnd an den Bericht eines Anstaltsleiterkollegen aus Baden-Württemberg, der bei einem Vorstandstreffen von einem Fall in seiner Anstalt erzählte. Er berichtete von dem Anruf seines Mitarbeiters während der Nacht, der völlig hilflos angesichts eines Zugangs war. Dieser war auf dem Papier weiblich, eine Geschlechtsumwandlung war aber noch nicht erfolgt. Aufgeregt berichtete er seinem Chef, unserem Anstaltsleiterkollegen, es sei ein „Zipfel“ dran, und fragte, ob er diesen Zugang nun aufnehmen solle oder nicht. Auch wenn wir im Vollzugsalltag noch eher selten mit diesen Situationen konfrontiert werden, so ist doch die Aufregung groß, wenn es dann passiert. In einigen Bundesländern finden sich bereits Regelungen in den Landesstrafvollzugsgesetzen, die die Unterbringung oder auch die Durchsuchung regeln.
Vulnerabilität gerecht werden
Doch es bleibt ein noch weitgehend ausgeklammertes Thema im Alltag. So gibt es bei genauerer Betrachtung noch weitere Fragen, mit denen die Anstalten konfrontiert sein könnten. Dies sind nicht nur die Fragen der Unterbringung, sondern auch welche Kleidung zu tragen ist, wie die Ansprache erfolgt und wie körpernahe Durch- und Untersuchungen durchzuführen sind. Auch die Versorgung der psychischen Gesundheit dürfte angesichts fehlender Betreuungs- und Behandlungsprogramme weitgehend unvollständig sein. So kann es auch passieren, dass entsprechende Gefangene in abgesonderten Bereichen untergebracht werden, um konkurrierenden Sicherheitsinteressen gerecht zu werden. Eine Teilnahme am normalen Haftalltag wird damit erschwert oder findet gar nicht statt. Die Unterbringung in einer Haftanstalt kann damit erhebliche Beeinträchtigungen und Benachteiligungen für diese Gefangenengruppen mit sich bringen. Die Anstalten ihrerseits sind jedoch verpflichtet einer erhöhten Vulnerabilität dieser Gefangenen gerecht zu werden und die menschenwürdige Unterbringung sicherzustellen. Wie können wir diesem Spannungsfeld gerecht werden? Ein erstes Forschungsprojekt des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Hochschule Freiburg beschäftigt sich mit diesem Thema. Ihnen ist dies vielleicht bekannt. Das Forschungsprojekt läuft noch bis September 2025, so dass wir auf daraus möglicherweise resultierende Handlungsempfehlungen noch warten müssen. Bis dahin gilt es Lösungen im Einzelfall zu entwickeln.
Yvonne Radetzki
1 Rückmeldung
Das neue Selbstbestimmungsgesetz tritt zeitgleich mit dem katholischen Fest „Allerheiligen“ in Kraft – wie passend!
Ab dem 1. November 2024 können trans-, intergeschlechtliche und nichtbinäre Personen ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt ändern lassen. Damit ist ein weiterer Schritt getan im Sinne des Grundgesetzes, das das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung schützt. So ist eine Prozedur überwunden, die von vielen betroffenen Menschen als entwürdigend erlebt wurde. Psychologische Gutachten und das Amtsgericht entschieden bisher gemäß des so genannten Transsexuellen Gesetzes über die persönliche Identität, als ginge es um eine Krankheit. Nun also dieses neue Gesetz zur Selbstbestimmung. Ein Gesetz, das auch zu kritischer Auseinandersetzung führt. Dabei geht’s in der katholischen Kirche katholisch zu: vielfältig und zum Teil sich widersprechend die Reaktionen, doch einig in der Maßgabe, alle Menschen unabhängig ihrer geschlechtlichen Zuordnung zu respektieren. Selbst Papst Franziskus empfängt Trans-Personen, um mit ihnen im Gespräch zu bleiben.
Es lohnt ein Blick in die Schöpfungsgeschichte der Bibel. Sie beginnt mit den Worten „Bereschit Bara Elohim“: „im Anfang schuf Gott“. Alles, was geschaffen ist, ist die freie Tat Gottes. Ohne uns zu fragen, werden auch wir Menschen in diese Welt geboren. Biblisch gelesen ist dies der Wille eines liebenden Gottes, „er sah alles an, was er geschaffen hatte, und es war sehr gut“ (Gen 1,31). Ausdruck dieser Freiheit Gottes ist die Vielfalt seiner Schöpfung: männlich und weiblich schuf er den Menschen. Gemeint ist die Vielfalt menschlichen Daseins, nicht aber eine Fixierung in geschlechtliche Rollenzuschreibungen. Dabei zeigt gleich der erste Buchstabe des ersten Wortes der Bibel „bereschit“, worum es geht, es ist der in hebräischer Leserichtung offene Buchstabe bet ב. Die Schöpfung Gottes ist nicht fertig, sie ist ein Prozess. Aus dem Nichts geschaffen mit dem Segen Gottes ins Leben geworfen (existere) ist sie im Werden auf ihre Vollendung hin – bis Gott „alles in allem sein wird“ (1 Kor 15,28). Diese biblische Perspektive eröffnet eine menschliche Identität, die über gesellschaftliche Zuschreibungen hinausgeht. Sie lässt Veränderung zu gemäß der menschlichen Entwicklung und Selbstbestimmung. Gottes Schöpfung entwickelt sich nicht am Menschen vorbei, sie braucht seine Antwort, oder, wie es der heilige Augustinus sagte: „Der dich ohne dich erschaffen hat, rechtfertigt dich nicht ohne dich.“ Denn nicht das Geschlecht, sondern der lebendige Geist Gottes als Wirkkraft im Menschen zählt. So heißt es in der Konstitution über die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils zum universalen Ruf zur Heiligkeit, dass niemand davon ausgenommen ist: »In den verschiedenen Verhältnissen und Aufgaben des Lebens wird die eine Heiligkeit von allen entfaltet, die sich vom Geist Gottes leiten lassen…“.
So vielfältig Gott selbst ist, so vielfältig ist alles Erschaffene. Das Zeugnis des Johannesevangeliums mit dem programmatischen Satz „Das Wort ist Fleisch geworden“ macht deutlich: alles Menschliche ist von Gott her bereits durchwirkt, Gottes Liebeserklärung gilt bedingungslos. Das befreit auch, sich neu, womöglich anders als bisher festgelegt, aufzumachen, geheiligt durch Gott.