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Anfänge des Strafvollzugs und der Seelsorge im Zuchthaus Herford

16. Juli 2023

Die Herforder Justizvollzugsanstalt an der Eimterstraße ist rund 150 Jahre alt und sie stellt die dritte, genau genommen sogar erst die zweite Herforder Haft-Anstalt in einem Zeitraum von rund 250 Jahren dar. 2008 erschien anlässlich des 125jährigen Bestehens dieser JVA eine Festschrift, die ihre Geschichte und Entwicklung anschaulich darstellt – ein Blick auf die 100 Jahre zuvor macht aber erst recht deutlich, wie viele tiefgreifende Entwicklungen sich auf diesem Gebiet im 19. Jahrhundert vollzogen haben.

Skizze des alten Zuchthauses im Grauen Kloster, Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen, Bestand Karten A, Signatur Nr. 20260

Dabei soll hier ausschließlich vom Strafvollzug im “Zuchthaus” – so der ursprüngliche Begriff – die Rede sein, denn nicht jede Zelle, nicht jeder Zellentrakt ist ein Gefängnis. Wir sprechen hier nur von der später sogenannten “königlichen Gefangenenanstalt”, in der “Züchtlinge” oder “Verbrecher” eine gerichtlich festgelegte Strafe verbüßten. Sie sollten bestraft, möglichst auch gebessert werden, auf jeden Fall aber über harte Arbeit zu einem geregelten und “ordentlichen” Leben geführt werden. Es wird also nicht die Rede sein von den “Polizei-Gefängnissen”, die gewöhnlich der eher kurzfristigen “in-Obhut-Name” dienten – meist wegen “vagabondieren”, betteln oder auch schmuggeln, wegen “Widersetzlichkeit” oder “Injurien” (Beleidigung). Derlei Delikte wurden seinerzeit zunächst nicht gerichtlich geahndet, sondern als polizeiliche Ordnungsmaßnahme abgewickelt. Im Übrigen ist die Verwendung der verschiedenen Begriffe in den Akten nicht immer ganz klar und einheitlich; häufig ergibt sich erst aus dem Zusammenhang, um welche Art Einrichtung es sich handelt. Das liegt an der Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung des “Systems” im 19. Jahrhundert; außerdem gab es in dieser Zeit in Preußen eine Justizreform, die manches veränderte.

Nutzung des „Grauen Klosters“

Einen Strafvollzug gab es in Herford vor Ort bis etwa 1780 gar nicht. Für die Stadt mit kaum 5000 Einwohnern lohnte sich eine eigene Einrichtung des Strafvollzugs nicht, etwaige Straftäter saßen ihre Strafe in Minden ab, am Sitz der Regierung. Diese Mindener Haftanstalt war am Ende des 18. Jahrhunderts allerdings “völlig baufällig und unsicher” geworden – so schilderte es 1798 der Kammerassessor von Blomberg in einem ausführlichen Gutachten für den Oberkammerpräsidenten Reichsfreiherrn vom Stein. Die Überlegungen zu einem Herforder Zuchthaus und erste Schritte dazu zogen sich zu dieser Zeit schon mehr als 20 Jahre hin. So lange schon wurde sowohl nach einem Bauplatz gesucht wie die vorläufige Nutzung des Herforder “Waysenhauses” im Grauen Kloster diskutiert – der ehemaligen Niederlassung der Franziskaner-Minoriten, die 1530 aufgegeben worden und zur städtischen Sozialeinrichtung geworden war. Es entstand sogar ein konkreter Plan der Räumlichkeiten für je 20 Männer und Frauen sowie als Personal Zuchtmeister, Zuchtknecht sowie eine “Zuchtwärterin bey denen Kranken” (für den Bedarfsfall). Mit Vertrag vom 26.11.1779 hatte die Regierung in Minden schließlich “dem Waisen- und Armenhause oder ehedem so genannten Grauen Kloster zu Herford ein Theil der von selbigem nicht nothwenig gebraucht werdenden Gebäude für die Summe von 2000 Reichsthalern” abgekauft, 1791 wurde ein weiterer Teil des Klosters für 425 RT erworben, “jedoch mit Vorbehalt des Thurmes und der Uhr”, so Blomberg in seiner Darstellung (§ 1).

Hin zum Besserungsvollzug

Bis zum Neubau des ersten “eigentlichen” Herforder Gefängnisses, des “Landesarmen- und Zuchthauses” von 1804, für das u.a. das Gutachten des Herrn von Blomberg eine wesentliche Grundlage war, dauerte es aber noch eine Weile. Dabei sah man sich durchaus auf dem Wege vom Gedanken der Vergeltung hin zu einem “Besserungsvollzug”, letztlich zur Resozialisierung, wie sie seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, letztlich maßgeblich im Gefolge der Reformation, diskutiert wurden. Herr von Blomberg legte dazu eine ausführliche und detaillierte Bestandsaufnahme und daraus resultierende Verbesserungsvorschläge vor, die einerseits für fortschrittliches Denken sprechen, uns aber andererseits auch in manchen Details schaudern lassen.

Plan für das „Landarmen- und Zuchthaus“ von 1804, Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen, Karten A, Signatur Nr. 20259

Bestandsaufnahme und Vorschläge

  • Vorgefundene Arbeitssituation: 6-Tage-Woche, 15 Stunden Arbeit pro Tag, teilweise nur ein Quadratmeter pro Person, einschließlich von Arbeitsgerät und Material;
  • Vorgefundene Schlafsituation: 3-4 Personen pro Doppelbett, keine Krankenzimmer;
  • Angestrebte Situation: Arbeitskleidung (vierteljährliche Wäsche), jeweils ein Handtuch pro Arbeits- oder Schlafsaal, wöchentlicher Wechsel, vierteljährliche Wäsche).

Evangelischer Gefängnisseelsorger

Eine Seelsorge gab es in dem Provisorium im Grauen Kloster gar nicht. Allenfalls hatten die Züchtlinge die Möglichkeit, sonntags auf einem Teil der Prieche (der seitlichen Empore der Klosterkirche) am Gottesdienst des Waisenhauses teilzunehmen (§ 1 des Blomberg-Berichts). Im Armen- und Waisenhaus gab es zwei Prediger, aber diese fühlten sich für das Zuchthaus und spezielle Religions- oder Betstunden der Züchtlinge nicht zuständig. Blomberg meinte demgegenüber, dass “den Nutzen solcher Uebungen für die Moralität der Gefangenen … Niemand läugnen” wird (§ 12). Ein eigener Gefängnis-Seelsorger oder ”Zuchthaus-Prediger” wurde erstmals 1801 eingestellt – nach der Auflösung des Herforder “Fraterhauses” und dem Neubau des Zuchthauses.

Die “Brüder vom gemeinsamen Leben” waren eine vor-reformatorische Bewegung, die 1428 auch in Herford – am Holland – eine Niederlassung begründet hatte. Diese Niederlassung war vor allem im 18. Jahrhundert sehr geschrumpft, die Äbtissin des Herforder Reichsstiftes verkaufte Anwesen und Gelände 1801 an die Stadt, die die Gebäude abreißen und durch ein “Landarmen- und Zuchthaus” ersetzen ließ. Als erster (evangelischer) Gefängnis-Seelsorger wurde der letzte Bewohner des Fraterhauses, Pater Carl Friedrich Bismeyer übernommen, der aber zugleich alle Verfügungsrechte über die Pfründe des Fraterhauses behielt. Bei dieser Doppelfunktion blieb es bis zu Bismeyers Tod 1841.

Katholischer Häftling klagte

Ein besonderes Problem war zudem, dass für die seelsorgliche Arbeit gar kein Zeitraum vorgesehen war: das Zuchthaus arbeitete für auswärtige “Entrepreneure”, hatte die Züchtlinge also sozusagen vermietet, vorwiegend für harte, schmutzige und eintönige Arbeit mit Flachs – sommers in der Zeit von 5 bis 21 Uhr, winters eine Stunde weniger, mit einstündiger Mittagpause, sechs Tage in der Woche. Die von Blomberg geforderte Katechese der Inhaftierten stieß also auf grundlegende praktische Probleme. 1805 klagte ein katholischer Häftling seinen Sonntags-Gottesdienst ein – bisher hatte man bei “Seelsorge” nur an die Protestanten gedacht. Die preußische Bürokratie bemühte sich unmittelbar um Realisierung dieses Anspruches, die dann allerdings erhebliche Probleme machte.

Die Stadt Herford war im Gefolge der Reformation weitestgehend protestantisch geworden, es gab in Stadt und Land zwar noch einige Katholiken, aber keine katholische Gemeinde mehr. Die wenigen übrig gebliebenen “Altgäubigen” wurden in der Komturei der Malteser – gleichsam auf exterritorialem Gelände – durch Missionare, vorwiegend Bielefelder Franziskaner betreut. Diese betreuten hier ein Gebiet – größer als der heutige “Pastorale Raum Wittekindsland” – in dem sie keine zusätzlichen Aufgaben schultern konnten – und es trotzdem “irgendwie gelegentlich” taten. Aber trotz intensiver staatlicher und kirchlicher Bemühungen gab es letztlich keine tragfähigen Lösung. 1827 schließlich löste die Verwaltung das Problem, indem sie alle katholischen und alle jüdischen Häftlinge aus Herford nach Münster verlegte.

Das erste Beamtenpersonal der „Königlichen Gefangenen-Anstalt zu Herford“ posiert am 16. Juli 1884.

Neues Zellengefängnis

Offenbar war aber auch die Stelle des evangelischen Predigers nach Bismeyers Tod 1841 nicht ohne Weiteres wieder zu besetzten, möglicherweise wurde sie nebenamtlich mitbetreut. Aus unterschiedlichen Quellen kennen wir hier bislang nur die zwei Namen Kleine (1842) und Erdsiek (1862). An der Finanzierung kann es nicht – oder nicht vorwiegend – gelegen haben, denn 1841 hatte Friedrich Wilhelm IV. das Vermögen des ehemaligen Fraterhauses auf die Stadt Herford übertragen. Und eine der beiden darin genannten Auflagen war, daraus künftig einen Zuchthaus-Prediger mit 400 Talern und freier Wohnung zu finanzieren.

1873 brannte das Zuchthaus am Holland ab, wohl durch Brandstiftung eines Züchtlings. Die hier bisher Inhaftierten wurden in fünf andere Gefängnisse – Cassel, Celle, Diez, Köln und Stade – verlegt. Das neue Gefängnis an der Eimterstraße, die noch heute unübersehbare JVA, wurde erstmals als Zellengefängnis angelegt und 1883 bezogen; jüdische Häftlinge wurden bei diesem Neubezug nach Münster überwiesen. Der Personalplan für dieses Gefängnis weist erstmals je einen evangelischen und katholischen Prediger (Verdienst je 2400 Mark pro Jahr) sowie je einen evangelischen und katholischen Lehrer aus (Verdienst je 1800 Mark). Man kann also sagen, dass eine klare und geregelte seelsorgliche Betreuung der Häftlinge erst mit dem Bezug der Strafanstalt in der Eimterstraße begonnen hat. Bei den “Einnahmen” dieses ersten Etats sind übrigens auch noch 581,13 Mark aus den Fraterhaus-Geldern vermerkt. “behufs Besoldung des Anstaltsgeistlichen”. Vorläufig wissen wir nicht, wie lange diese Regelung gegolten hat.

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Dr. Rainer B. Brackhane, Herford

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