Die frommen Schriftgelehrten wollen Jesus versuchen. Wieder und wieder. Und dafür kommt ihnen nahezu alles in den Sinn. Warum nicht auch die Frage der Scheidung. Es interessiert die Pharisäer nicht, wie schmerzhaft diese Frage für Menschen ist, die betroffen sind, wie schmerzhaft das Zerbrechen einer Ehe ist. Sie haben keinen Blick dafür, den Blick haben sie nur für sich selbst: sie wollen Jesus loswerden, sie wollen wieder Oberhand gewinnen, sie wollen ihre Autorität zurück, sie wollen wieder herrschen.

Gefängnis im baden-württembergischen Rottweil. Der Name der Gasse spricht für sich. Foto: Mauch
Dazu formulieren sie eine Frage, die nach ihrem Ermessen nur mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Schwarz oder weiß, richtig oder falsch. Der Drang nach einfachen Antworten in vielschichtigen Themenfeldern scheint immer schon vorhanden, unabhängig davon, ob er Menschen stigmatisiert oder unrecht behandelt. Wie soll man anders sagen als: Jesus beherrscht diese Situation. Er durchschaut die Versuchung und antwortet anders als erwartet. Er erlebt, dass Gesetze, die dem Leben dienen sollen, immer wieder missbraucht werden, um dem Leben zu schaden. Mit seiner Antwort geht er weit zurück – bis an den Anfang. Auf den Weg zurück bis an den Anfang fällt das Wort von der Hartherzigkeit.
Sehnsucht von Menschen
Mose hat ein Regelwerk erlassen, um das Schlimmste zu verhindern: Wenn eine Beziehung zerbrochen ist, dann ist es schlimmer, sich weiter und weiter zu verletzen als einen Schlussstrich zu ziehen. Dabei bleibt Jesus allerdings nicht stehen. Er argumentiert nicht vom Negativen aus – darin sind sich sicherlich alle einig: wenn etwas zerbricht, wenn Liebe stirbt, dann ist das nicht schön, dann ist das etwas, was am Anfang keiner will. Denn am Anfang steht etwas ganz anderes: Am Anfang jeder Liebe und der Schöpfung insgesamt steht das Erleben von Einheit, von Zusammenkommen, von Ergänzung, von aufeinander bezogen sein, am Anfang sind Dialog und Beziehungsfähigkeit. Jesus fragt nicht nach dem, was erlaubt ist, sondern nach dem, was grundgelegt ist. So ist es von Gott gewollt und gedacht – und da berührt es die Sehnsucht von Menschen. Und tatsächlich: wo Menschen ihre Beziehungen nicht aufrecht halten können, zerbricht etwas, geht in die Brüche. Jesus beschreibt zu Hause, im Kreis der Jünger, etwas, das ja viele erleben: schmerzhafte Brüche, in andere Richtungen laufende Entwicklungen, wie man sie eben nicht gedacht und gewollt hat, wie sie am Anfang niemand auf dem Schirm haben konnte. Und nun?
Menschen zum Leben verhelfen
Der Evangelist Markus erzählt nicht umsonst unmittelbar anschließend, dass Kinder zu Jesus gebracht werden und die Jünger sie abweisen wollen. Warum eigentlich? Weil bei Kindern nichts zu holen ist? Jesus reagiert anders. Unfertiges gehört nicht abgewiesen sondern umarmt, Noch unvollkommenes gehört nicht weggeschoben sondern angenommen. Kinder stehen am Anfang, nicht anders als Menschen, deren Ehe zerbricht, wieder am Anfang stehen – und nicht am Ende. Hier gilt es, sich berühren zu lassen, Zuspruch zu geben, zu ermutigen, ein offenes Herz zu haben und zu segnen. Gott ermöglicht Entwicklung. Wir kennen das aus dem Johannesevangelium, als eine Frau gesteinigt werden soll, weil man sie beim Ehebruch ertappt hat. Ihr Ende soll besiegelt, sogar herbei geführt werden. Menschen betreiben ihre Steinigung, Jesus betreibt ihre Befreiung. Ein Gesetz wird dann zum Gesetz Gottes, wenn es Menschen zum Leben verhilft.
Bernd Mönkebüscher | Markus 10, 2-16