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Aids- und Gefängnisseelsorger: „Der Hohenasperg hat mich viel gelehrt“

2. Dezember 2022

„Ich lebe immer noch. Und ich schreibe immer noch, ich hatte noch so viel zu sagen“, sagt Petrus Ceelen und der Schalk blitzt aus seinen Augen. Denn eigentlich hatte er schon vergangenes Jahr über das Buch „Denkzettel“ gesagt, es sei sein letztes. Obwohl Ceelen selbst todkrank ist und auch starke Schmerzen hat, möchte der bekannte Gefängnis- und Aids-Seelsorger, Trauerredner und Autor den Menschen Trost spenden und Lebensmut geben. Und so heißt sein neuestes Buch auch „Was ich Euch noch sagen wollte“.

Am 11. Februar 2023 wird Petrus Ceelen 80 Jahre alt – der gebürtige Belgier sagt lieber „quatre vingt“ –, und inzwischen ist er zuversichtlich, dass er dieses „Nahziel“ erreichen wird, auch wenn es ein großes ist. Ceelen hat Lungenkrebs, Metastasen in der Wirbelsäule und einen Tumor auf der Blase und eigentlich nicht mehr lange zu leben, wie die Ärzte sagen. Wenn die Schmerzen wieder besonders stark sind, wünscht auch er sich manchmal, es wäre vorbei. „Dann sterbe ich halt, ich habe keine Panik davor“, sagt er ganz ruhig. Inzwischen nimmt er wegen der Nebenwirkungen keine Medikamente mehr: „Ich war dadurch wie benebelt im Kopf.“ Ein für ihn inakzeptabler Zustand. Sein Befinden habe sich seitdem nicht verschlechtert.

Der Artikel erschien Ende November 2022 in der Ludwigsburger Kreiszeitung.

Noch einmal verliebt

Natürlich betet er den Tod auch nicht herbei, sondern schwingt sich täglich aufs Rad und versucht, sich fit zu halten. Mehrmals im Monat hält er Trauerreden auf dem Friedhof, obwohl er selbst mit einem Bein im Grab steht, wie er es selbst formuliert. Und der 79-Jährige hat Schmetterlinge im Bauch. Nachdem seine innig geliebte Frau im Mai 2021 ebenfalls an Lungenkrebs gestorben war, war er oft einsam. „Es ist nicht schön, alleine zu kochen, ich habe mich teilweise zum Essen nicht einmal mehr hingesetzt.“ Jetzt trat noch einmal eine Frau in sein Leben, eine Frau, deren Mann vor einigen Jahren gestorben ist. Obwohl sie mit 66 Jahren wesentlich jünger ist als er und um seine Krankheit weiß, habe sie sich auf ihn eingelassen. Ungemein dankbar ist er dafür, dass er am Ende seines Lebens noch einmal verliebt sei, noch einmal jemanden haben darf, der mit einem lacht, den man versteht, zu dem man sich hingezogen fühlt. „Das ist so wohltuend.“

Ich habe noch viel zu sagen

Seine verstorbene Frau liebe er deshalb nicht weniger. Auch seine Kinder mögen „die Neue“ inzwischen, aber natürlich sei es zunächst ungewohnt gewesen. Aber Petrus Ceelen ist sich sicher: „Lieben wir, leiden wir, lieben wir nicht, leiden wir noch viel mehr.“ Alle Menschen seien auf der Suche nach dem Menschen, der sie wirklich liebt. „Glaube und Hoffnung sind wichtig, aber die Liebe ist noch viel größer“, findet er. Und diesen Trost will er den Menschen noch mitgeben, auch deshalb schrieb er das neue Buch. Das Cover ist sinnbildlich: Er selbst auf hoher See als Kapitän, aber statt zu rudern, redet er. „Ich habe noch so vieles zu sagen, was mir wichtig ist, worauf es ankommt.“ Zum Beispiel: „Redet miteinander und nicht übereinander. Hinterlasst eine Spur der Liebe. Versucht, Liebe zu leben. Das ist das, was bleibt.“

1000 Zettelchen mit Danke

Viele möge es verwundern, dass der studierte Theologe nicht den Glauben an Gott an die erste Stelle stellt. Aber auch er selbst stehe nicht felsenfest im Glauben, auch wenn sein Name Petrus Fels bedeute, auch er habe keinen Heiligenschein und hadere mit Gott, wenn eine Mutter von vier Kindern stirbt. Auch er weiß nicht sicher, ob man seine Lieben nach dem Tod wiedersieht, aber er verlasse sich darauf, dass am Ende alles gut werde. Jede Trauerfeier sei für ihn eine Belastung, aber er bekomme viel Dank zurück. Jüngst sei es ihm bei der Beerdigung des Präsidenten eines Motorradclubs gelungen, 150 Kerle in Motorradkluft im Herz zu berühren. „Dass ich das kann, tut mir gut.“ Die Empathie, das Mitgefühl habe ihn schon immer ausgemacht. Selbst in die Gefangenen, die er als Seelsorger betreute, konnte er sich hineinversetzen. Und so rührt es ihn auch, wenn dann ein Mann, der wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden ist, ihm mehr als 1000 Zettelchen mit dem Wort „Danke“ in einer Schachtel schickt, statt einfach nur eine Karte zu schreiben mit „tausend Dank“.  „Jeder Mensch hat gute Seiten. Selbst jemand, der einen Menschen auf dem Gewissen hat, ist fähig, jemand anderem eine Freude zu machen. Das finde ich schön.“

Der Hohenasperg hat ihn viel gelehrt

Bis zu seinem 80. Geburtstag möchte Ceelen noch ganz intensiv leben, seinen Weg bewusst gehen. Er ist neugierig, wie Sterben ist, auch wenn es vielleicht mit Schmerzen verbunden sein wird. „Manchmal denke ich, eine Lungenembolie oder ein Herzinfarkt wäre auch schön.“ Wie er sterben wird, weiß er nicht, aber seine Beerdigung ist schon geplant. Sein Freund wird die Trauerrede halten. Er will ganz traditionell in der Erde begraben werden – „im Ofen ist es mir zu heiß, dann lieber die Maden in der Erde“. Und er möchte in Asperg auf dem Friedhof bestattet werden, mit Blick auf den Hohenasperg. „In diesem Gefängnis habe ich einen anderen Blick auf die Gesellschaft, aber auch auf mich und das Leben bekommen. Ich habe gelernt, was es bedeutet, mit Liebe und Nestwärme aufzuwachsen. Keiner wurde als Mörder geboren.“

Buch „Was ich Euch noch sagen wollte“, Dignity Press 2022

Patricia Rapp | Mit freundlicher Genehmigung: Ludwigsburger Kreiszeitung, 23.11.2022 | Foto: Holm Wolschendorf 

 

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