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Ist es einfacher härter zu bestrafen als zu erziehen?

29. August 2020

Heftige Kritik an einem Trend zur „Gnadenlosigkeit“, welchen besonders Gefangene von Haftanstalten zu spüren bekämen, hat der Wiener Weihbischof Franz Scharl geäußert. Internationale Experten drängen beim digitalen Seminar (Webinar) auf Wahrung der Menschenwürde in Haftanstalten. „Durch die von Politik und Medien verstärkten Rufe nach härteren Strafen werden eine menschenwürdige Behandlung von Straftätern sowie ihre Resozialisierung viel schwieriger gemacht“, warnte der in der Erzdiözese Wien für die Kategorialeseelsorge zuständige Bischof. Langfristig könne Strafe allein keine Probleme lösen.

Es gelte vielmehr, Menschen Perspektiven zu eröffnen, so Scharls eindringlicher Aufruf. Die Gefängnisseelsorge ist ein Teil der Kategorialseelsorge, für die der Wiener Weihbischof zuständig ist. Gefängnisse seien heute häufig „Fabriken des Verbrechens“ statt dazu beizutragen, dass sich Gefangene nach ihrer Freilassung wieder in die Gesellschaft integrieren können und nicht mehr rückfällig werden, kritisierte Scharl. Besser wäre es jedoch, „Gnade der Strenge vorzuziehen und Prävention der Inhaftierung“, so der Weihbischof, der hier zu einer häufigeren Anwendung der elektronischen Fußfessel aufrief: Statt Menschen in Gefängnissen zu „hospitalisieren“, könne damit eine kontrollierte Arbeitstätigkeit ermöglicht und die „Entwürdigung“ von Personen verhindert werden. „Statt einem Top-Down-Prinzip, bei dem die Gleichbehandlung aller oberste Prämisse ist, sollte stärker auf den Einzelfall und die Entwicklung eines Menschen gesehen werden.“

Innerhalb der Kirche selbstzentriert

Die Religionsgemeinschaften, allen voran die katholische Kirche, erlebten mit ihrer Gefängnisseelsorge die von dem derzeitigen System verursachten menschlichen Tragödien hautnah mit und sähen zugleich viele ihrer Aufbauarbeit etwa durch Abschiebungen von Häftlingen nach teils jahrzehntelangem Aufenthalt in Österreich zunichte gemacht, berichtete Scharl. Ein Umdenkprozess sei dennoch auch innerhalb der Kirche noch nötig: „Wir sind hinsichtlich der gesellschaftlichen Randgruppen auch in der Kirche noch viel zu selbstzentriert und müssen praxistauglicher werden, um glaubwürdig für sie einzutreten. Mitarbeit und das gute Beispiel sind hier wichtiger als große Reden.“

Hochrangiger Austausch

Anlass für den Appell des Wiener Weihbischofs war ein Webinar, das die „Coalition of Faith Based Organizations“ – ein 2019 bei der UNO in Wien gegründeter Zusammenschluss von Religionsvertretern, Akademikern und Praktikern im Bereich Strafjustiz und Kriminalprävention – Mitte August veranstaltet hatte. Scharl selbst hatte der Veranstaltung, die ursprünglich bereits im Frühjahr in Kyoto stattfinden hätte sollen und aufgrund der Corona-Krise ins Web verlegt worden war, den einleitenden Impuls gegeben. Moderator war mit Michael Platzer, langjähriger UN-Mitarbeiter und Co-Vorsitzender der Koalition, ebenfalls ein Österreicher.

Weitere Impulse kamen bei dem Expertenaustausch u.a. von den Strafrechtlern Karin Bruckmüller (Linz und Wien) und Yitzhak Ben Yair (Israel), Imam Sheikh Mohammad Ismail (Großbritannien), dem Priester George Harrison (Malaysia), dem Menschenrechtler Aung Naing Win/Mr. Shine (Myanmar) sowie der katholischen Ordensfrau und Rechtsanwältin Alison McCrary (USA). Die Teilnehmer riefen dabei die auf Nelson Mandela zurückgehenden Mindestgrundsätze der UNO für die Behandlung von Gefangenen in Erinnerung und forderten ihre Umsetzung. Sie empfahlen zudem, auch in Covid-19-Zeiten soziale Kontakte zwischen Häftlingen und ihren Familien aufrecht zu erhalten, adäquate und sichere Kommunikationstools in Gefängnissen einzuführen und die in vielen Gefängnissen grassierende Hygieneprobleme – teils sind nicht einmal Seife und Möglichkeiten ausreichender Körperwäsche selbstverständlich – zu überwinden.

Volle Achtung der Menschenwürde

Von Papst Franziskus gebe es Unterstützung für alle Bemühungen um Resozialisierung von Strafgefangenen, hatte beim Webinar Reverend Brian Gowans, Präsident der Internationalen Kommission der katholischen Gefängnisseelsorge (ICCPPC), hervorgehoben. Es sei „einfacher zu unterdrücken als zu erziehen, und ich würde auch sagen, dass es bequemer ist“, zitierte der katholische Priester den Papst. Ausdrücklich hebe Franziskus auch hervor, dass eine Gefängnisstrafe Menschen darauf vorbereiten sollte, als gesetztestreue und kooperierende Bürger in die Gesellschaft zurückzukehren. Fehlende Ressourcen verhinderten dies jedoch meist.

Die Klage des Papstes, Menschen würden „daran gehindert, ihre Würde wieder voll auszuschöpfen“ und damit „erneut dem Mangel an Möglichkeiten ausgesetzt, der oft erst dazu geführt hat, dass sie überhaupt ein Verbrechen begangen haben“, bestätigte Scharl im Interview: „Die Situation ähnelt dem Problem der ärmeren Länder, die Schulden aufnehmen müssen, deren Zinsen sie noch ärmer machen und sie in Sklaverei halten. Ebenso wie es hier einen Schuldenschnitt bräuchte, sollte man auch eine schwierige Vorgeschichte von straffällig gewordenen Einzelpersonen nicht noch schwieriger machen durch gnadenlose Härte“, so der Weihbischof.

Mit freundlicher Genehmigung: kathpress

 

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