Mit Textbildern möchten die GefängnisseelsorgerInnen des Bistum Mainz Menschen für die Situation der ihnen anvertrauten Gefangenen sensibilisieren und ermutigen, „zwischen den Zeilen zu denken“. Eben nicht „Schwarz ODER Weiß“, sondern „Schwarz UND Weiß“. Nicht „Entweder ODER“, sondern „Entweder UND oder“. Menschen urteilen häufig schnell und machen es sich einfach, indem sie die Dinge entweder positiv oder negativ bewerten. Die Wahrheit liegt oft dazwischen.
Dies gilt ebenso für die Beurteilung von Strafgefangen. Sie sind rechtskräftig verurteilt und verbüßen ihre Strafe hinter Gittern ab. Die Bewertung ist eigentlich ganz klar: Schuldig. Dass diese Menschen aus ihren Fehlern lernen können und gerade deswegen eine Chance haben sollen, wird häufig außer Acht gelassen. Seit dem Heiligen Jahr 2000 wird am zweiten Sonntag im Juli mit dem Tag der Gefangenen in allen Kirchengemeinden des Bistums Mainz auf inhaftierte Jugendliche, Frauen und Männer in den Justizvollzugsanstalten aufmerksam gemacht. Dies nicht nur als Zeichen der Verbundenheit mit inhaftierten Menschen, sondern als Erinnerung, dass jede und jeder Schuld auf sich laden kann. Ohne die Geschädigten von Straftaten ausblenden zu wollen, lebt inmitten der Gefängnisse “Kirche”. Der Text von der Frankfurter Gefängnisseelsorgerin Christiane Weber-Lehr drückt dies sehr gut aus:
Schwarz und Weiß von
wir denken nicht selten
in Kategorien
die uns das Schwere einfacher machen
unsere Ängste und Fragen beruhigen
ein Verbrecher ist ein Verbrecher
Schuld braucht Bestrafung
je schlimmer die Tat je härter
Mörder sind kalt und unberechenbar
Dieb und Betrügerin ist man für immer
Schwarz–Weiß denken
vielleicht hast du Recht damit
aber wusstest Du
wie viele TäterInnen weinen
über ihre Taten genauso
wie über die Tragödien ihres Lebens
Tränen, weil ihr Leben von Geburt an qualvoll war
Tränen der Einsamkeit, weil die Familie fehlt
Tränen der Verzweiflung wie es wohl weitergeht
aber wusstest Du
dass jede Tat ihre Geschichte hat
dass Täter oft auch zuerst Opfer waren
und das ganze Leben ein Kampf
ums Überleben war
gegen die Übergriffe von Vater oder Mutter
gegen die Tyrannei des Ehemannes
gegen die Sucht nach Drogen oder schnellem Geld
ist es nicht der Blick Gottes
der uns alle tiefer sehen lassen soll?
Christiane Weber-Lehr
Gefängnisseelsorgerin im Frauenvollzug Frankfurt III