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Weih-Nacht: Stroh und Sterne im Mittelpunkt

24. Dezember 2024

In der über 140 Jahre alten Anstaltskirche der JVA Herford leuchten Sterne auf. Sie werden über einen Lasergerät in die Apsis, dem Chorgewölbe der Kirche, projiziert. Der Stern und das Stroh sind zwei Symbole im weihnachtlichen Gottesdienst im Jugendvollzug. Stroh wird fast nebensächlich in der Weihnachtserzählung erwähnt. Der Stern spielt eine wesentlichere Rolle im Geschehen um die Geburt Jesu ein. Und doch hat beides miteinander zu tun.

Zwei Strohballen sind von einem Bielefelder Bauer eigens dafür in den Vollzug gebracht worden. Die reguläre Knastkrippe befindet sich zurzeit im Telgter Museum REGIO bei Münster. „Not macht erfinderisch“, sagt einer der Gefängnisseelsorger. „So sind die Strohballen mit dem Sternehimmel jetzt unsere Krippe“, erzählt er. Ein barockes Kind mit blauen Augen und blondem Haar wird während des Gottesdienstes auf einen der Strohballen gelegt. Die inhaftierten Jugendlichen setzen sich auf Stühle gegenüber in Form einer Ellipse. Die gottesdienstliche Feier findet jeden Sonntag mit bekenntnisfreien, muslimischen oder jesidischen Jugendlichen statt. Kaum einer kennt die christliche Geburtsgeschichte. Die Weihnachtslieder singen nur wenige leise in sich hinein murmelnd mit. Ein Ort, der sich widersprüchlich zeigt und zugleich die Sehnsucht nach Harmonie in sich birgt. „Vor einigen Jahren haben wir die Kirche mit LED Lichtern blau ausgeleuchtet“, erzählt der andere Gefängnisseelsorger. „Das war zu viel und zu schön“, meint er. Das hat sich in der Unruhe untereinander gezeigt.

Anzeigetafel an Weihnachten in einer Abteilung des Jugendvollzuges.

Widersprüchliche Welt

„Trotzdem oder gerade deshalb feiern wir Weihnachten, das Fest das viele mit einer der Sehnsucht nach Liebe, Heimat und Geborgenheit verbinden“, erzählt der katholische und evangelische Gefängnisseelsorger einstimmig. Die Menschwerdung Gottes an Weihnachten vor über 2000 Jahren habe auch nicht in einer heilen und unversehrten Welt stattgefunden, „sondern in der Welt, wie sie ist, zerrissen und widersprüchlich und manchmal kaum auszuhalten wie in einem Gefängnis“, erläutern die erfahrenen Seelsorger.  Das Stroh ist dabei ein Symbol. Die getrockneten Getreidehalme werden als Streustroh und Futter verwendet. „Dort wo Tiere ´darauf scheißen´, in einem Stall, wird ein Kind geboren, das erst noch reden und laufen lernen muss. Das beeindruckt die jugendlichen Gefangenen. Sie kommen oft aus Familien mit schwierigen Verhältnissen und haben Gewalterfahrungen hinter sich.

Neuen Mut schöpfen

„Wenige Tage nach dem brutalen Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg, was ebenso im Jugendvollzug Thema ist, sind es die Erinnerungen an das Leid und den Schmerz, die die Menschen beschäftigen“, sagt einer der Bediensteten. Über die Nachrichten sind so manche Jugendlichen entsetzt, dass ausgerechnet ein psychiatrischer Arzt im Maßregelvollzug der Täter sein soll. „Der hatte doch mit Straftätern direkt zu tun und ist jetzt selber einer davon“, meint ein 20-jähriger Jugendlicher mit marokkanischen Wurzeln. Die christliche Weihnachtsbotschaft lasse neuen Mut schöpfen: „Gott will allen nahe sein, egal was jemand angestellt hat oder jemanden zugeschrieben wird. Göttliches wirkt in den existenziellen Nöten und Schwierigkeiten, um sie zu beistehen“, sagt der evangelische Pfarrer. Dazu ist Jesus Mensch geworden und daran erinnere Weihnachten: „Von der Geburt des Gottessohnes geht ein Licht aus, das bis in die dunkelsten Winkel unseres Lebens leuchten und die Finsternis in und um uns entmachten kann…“, davon sind die Gefängnisseelsorger überzeugt.

Aus Stroh werden Sterne

Die Gefangenen können davon viele Geschichten erzählen. Die Gefängnisseelsorger haben in ihren fast 12-jährigen Dienstjahren einiges gehört und mit ausgehalten. Von Suiziden bis hin zu Drangsalierungen untereinander. „Trotzdem glauben wir, dass Hass und sinnlose Gewalt nicht das letzte Wort sind“, meinen sie. Der symbolische Sternenhimmel erinnert daran, dass  nicht jedes Jahr aus Nostalgie und als Vertröstung der weihnachtliche Gottesdienst gefeiert wird, sondern die Lichter bodenständig mit dem Stroh des Lebens verbunden sind. „Will heißen, dass Göttliches in jedem von uns durch die Dunkelheiten hindurch wirken kann. Manche Strohfeuer sind kurzlebig, aber die Erfahrung von abgründigen Lebensmomenten kann mit einer kritischen Auseinandersetzung damit ebenso Stärken hervorbringen“, meint der katholische Pastoralreferent. Aus dem Stroh können Sterne gebastelt werden. Am des Gottesdienstes bekommen die Inhaftierten eine Kugelglaskerze mit auf den Haftraum. Das ist insbesondere hinter Gittern ein Novum, weil Kerzen aus Brandschutzgründen verboten sind. „Bis Dreikönig dürfen die Gefangenen die Kerzen leuchten lassen“, meint eine Bedienstete und nimmt sich für zuhause ebenso eine Kerze mit.

Michael King

 

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