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Singen im Nürnberger Knast: „Es gibt einem Hoffnung“

6. März 2024

Musik hinter Gefängnismauern: Seelsorgerin und Chorleiterin Sybille Schweiger-Krude dirigiert Häftlinge während einer Chorprobe in der Kapelle der Justizvollzugsanstalt (JVA) Nürnberg.

Musizieren im Strafvollzug kann die sozialen Kompetenzen der Gefangenen fördern und eine Resozialisierung unterstützen, davon ist Musikpädagoge Daniel Mark Eberhard überzeugt. Ein Besuch bei der Chorprobe in der JVA Nürnberg. Acht Männer stehen im Halbkreis um Seelsorgerin Sybille Schweiger-Krude und singen voller Energie „Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht“.

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Nicht jeder Ton des christlichen Taizé-Liedes sitzt, aber die Sänger sind motiviert dabei und hören der Chorleiterin aufmerksam zu, als sie die Noten erklärt. „Bei ‚Stärke‘ sehen Sie, da ist eine punktierte Note. Das verlängert diese Viertelnote um die Hälfte. Damit wird die Achtel dahinter, die so eine Fahne hat, relativ kurz, also ein bisschen schnittiger.“ Schweiger-Krude spielt an einem kleinen Keyboard die Stelle und singt sie vor. Ihr Gesang hallt von den Wänden der Kapelle wider. An der Stirnseite des Raumes steht ein Altar mit einem großen Jesusbild.

Ein solches Angebot ist „nicht selbstverständlich“

Es könnte eine ganz normale Kirchenchorprobe sein, aber am Hosenbund der Seelsorgerin klimpert bei jedem Schritt ein großer Schlüsselbund. Um zu ihren Sängern zu kommen, muss sie nacheinander zehn Türen auf- und wieder zusperren. Die Chormitglieder kommen begleitet von Wachpersonal im „Seelsorge-Gang“ der Untersuchungshaft der Justizvollzugsanstalt (JVA) Nürnberg an. Hier gibt es festgelegte Regeln, wer sich wann, wo und mit wem bewegen darf. Die Männer, die hier einsitzen, bleiben im Schnitt 100 Tage, bis ihre Verfahren abgeschlossen sind und sie entweder freikommen oder für das Abbüßen ihrer Haftstrafe in die Strafhaft verlegt werden.

„Dass es hier in der Untersuchungshaft so ein Angebot gibt, ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt Anstaltsleiter Thomas Vogt. Aber es sei wichtig, findet Schweiger-Krude: „Gerade hier sind die Gefangenen sehr viel im Haftraum, weil sie in der Untersuchungshaft nicht arbeiten können. Für sie ist die Chorprobe eine Möglichkeit, rauszukommen und mit anderen zusammen Gutes zu erleben.“

Im besten Fall werden soziale Kompetenzen gefördert

Musizieren im Strafvollzug kann positive Auswirkungen auf die Gefangenen haben, das bestätigt Daniel Mark Eberhard, Professor für Musikpädagogik und Musikdidaktik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt: „Musik kann auch emotionsregulierend wirken und demokratische Grundprinzipien trainieren, vor allem wenn gemeinsam musiziert wird“, sagt er. „Da müssen sich dominante Charaktere auch mal zurücknehmen und die Schüchternen sich etwas trauen.“ Mögliche Effekte des Musizierens mit Instrumenten seien eine verbesserte Grob- und Feinmotorik, Aufmerksamkeit und Konzentration. „Im besten Fall sollte ein solches Angebot so angelegt sein, dass es soziale Kompetenzen fördert, zum Beispiel durch Improvisationsteile oder interaktive Formate wie das Kanonsingen“, erklärt Eberhard. „Da kann etwas sehr Zartes entstehen.“ Im regulierten System des Strafvollzugs biete Musik eine Möglichkeit, Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmtheit zu erleben.

Ein bisschen den Alltag vergessen

Für die Gefangenen in Nürnberg steht ganz klar das Gemeinschaftserlebnis im Vordergrund. „Singen macht mir Spaß. Ich mag es, die Leute hier zu sehen und ein bisschen den Alltag zu vergessen“, sagt Tyson, dessen Name wie der aller anderen Gefangenen geändert wurde. Tyson ist mit Musik aufgewachsen, wie er erzählt. Manfred singt nicht nur, sondern begleitet die Proben auch am Klavier, das in der Kapelle steht. „Ich habe mit Musik angefangen, da war ich fünf.“ Für ihn sei das Singen eine Möglichkeit, in der Zelle aufgestaute Aggressionen abzubauen: „Die christlichen Lieder sind sehr positiv und das hilft auch bei der Stimmung.“ Und Bonez sagt über das Singen im Chor: „Es gibt einem Hoffnung.“

Acht Plätze und lange Warteliste für den Chor

Acht Plätze gibt es im Chor und eine lange Warteliste. Bei den Proben ist Schweiger-Krude gegenseitiger Respekt sehr wichtig: „Ich bin immer wieder überrascht, wie wertschätzend die Gefangenen miteinander umgehen. Wenn jemand etwas gut kann, sagen es ihm die anderen auch.“ Ein paar Häuser weiter in der Strafhaft steht Gitarrenunterricht auf dem Programm. Horst Grimm unterrichtet hier über die Volkshochschule jeden Freitag. An diesem Tag ist nur Anfänger Jimi da, es ist seine elfte Unterrichtsstunde. Das erste Lied kommt von einem alten Bekannten der Gefängnismusik: „Ring of Fire“ von Johnny Cash. Intensiv arbeiten die beiden am Anschlag. „Ich wollte schon immer Gitarre lernen“, erzählt Jimi. Im Haftraum übe er jeden Tag.

Musizieren im Strafvollzug ist Seltenheit

„Der Gitarrenunterricht ist für mich das Highlight der Woche. Und wenn man sieht, man wird besser und besser, das ist ein schöner Erfolg.“ Mehr als 20 Gitarren zum Ausleihen sind in der JVA im Umlauf. Auch die Übungsbücher in der hauseigenen Bibliothek sind immer gefragt. „Leider ist das Musizieren im Strafvollzug deutschlandweit eher eine Ausnahme, ein viel zu wenig genutztes Potenzial“, bedauert Musikpädagoge Eberhard. Entscheide sich eine Einrichtung für ein solches Angebot, seien die Erfahrungen durchweg positiv. Es stelle auch einen wichtigen Faktor für die Resozialisierung dar: „Diejenigen, die in Haft sind, haben oft schon so viel Benachteiligung erfahren. Da müsste die Haft eigentlich eine wichtige soziale Ausgleichsfunktion einnehmen. Daher plädiere ich für viel mehr solcher Angebote.“

Julia Riese | Mit freundlicher Genehmigung: epd, Landesdienst Bayern

 

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