Stellen Sie sich vor, Sie begegnen jemanden und dieser fragt Sie: „Wie geht es Ihnen?“ In seinen Augen sehen Sie, dass dieser Mensch wirklich interessiert ist. Sie widerstehen der Gewohnheit, sofort “gut” zu sagen und weiter zu gehen. Ein kurzes Innehalten – Sie suchen nach einer Antwort und merken, dass diese nicht so schnell kommt…
Manchmal geschehen solche Begegnungen, sie unterbrechen das routinierte Unterwegssein von einem Anspruch zum anderen, ohne einen von ihnen je zu erfüllen, statt dessen den anderen im Smalltalk abzufertigen und auch sonst kaum etwas mitzubekommen von dem, was im Moment am Rande des Weges blüht. Begegnungen jenseits dieser „Ich-muss-weiter-Routine“ sind wie ein Innehalten, sie entstehen aus einer ehrlich interessierten Frage und dem Ansehen, das einander geschenkt wird. Kostbar sind sie und selten, sie öffnen eine andere Welt, in der wirklich gilt, was jetzt ist, in der der Mut da ist, ehrlich zu sein, keine Angst haben zu müssen vor Bloßstellung oder Zynismus. Solche Begegnungen ermutigen, ein reines Herz zu haben, also echt sein zu dürfen, ganz Mensch zu sein, alles erlaubend in dir selbst und vor dem anderen. Selig sind Menschen in diesen Begegnungen, sagte Jesus den Menschen, denen er begegnete.
Auf Gipfeln und Bergen
Im Matthäusevangelium wird berichtet, dass Jesus solche Seligpreisungen auf einem Berg sprach, so als wäre es stets ein Gipfelerlebnis, wo Menschen in dieser Weise einander begegnen und die eingefahrenen Routinen der Gier und des einander Verurteilens unterbrochen sind. Da wird Seligkeit spürbar, wie ein heiliger Moment, in dem du ganz aufgehoben bist in Gott. Und Jesus fügte hinzu: so wird es immer wieder und überall sein, wo ihr eure Trauer zulassen könnt, wo ihr dem Reflex widersteht, auf erlittene Gewalt ebenso zu reagieren, wo ihr barmherzig sein könnt und immer neu Versöhnung sucht, wo ihr in all den Auseinandersetzungen euch müht, Frieden zu stiften, und wo ihr euch erlaubt, arm zu sein vor Gott, also nicht Bescheid wissend über andere hinweg predigt oder sonst wie auf persönlichen Wahrheitsanspruch pochend urteilt, sondern einfach mal still sein könnt und selbst nur Suchende und Pilgernde seid.
Menschen sind gegangen worden
Auf der Suche nach solchen heilsamen Begegnungen wurden und werden leider viele Menschen ausgerechnet in unserer Kirche enttäuscht. Missbraucht, abgekanzelt, nicht wertgeschätzt, als nicht würdig beurteilt, weil sie Frauen sind oder queer leben, haben sie die Kirche verlassen oder aber betreten sie erst gar nicht und suchen woanders weiter. Wertvolle Menschen, selig sind sie, sind gegangen – eigentlich gegangen worden, und die dafür Verantwortlichen sind weiter im Amt. Dies meint nicht alle Führenden in der Kirche, aber eben doch einige von denen, die leider dennoch das Sagen haben. Doch wo, wenn nicht in der Gemeinschaft derer, die an Jesus Christus glauben, liegen jene Gipfelerlebnisse menschlicher Begegnungen nahe? Laden nicht unsere Zusammenkünfte, Gottesdienste und Rituale an vielen wichtigen Lebenswenden zu einem im wahrsten Sinne not-wendige Innehalten ein?
Zu sehr eingerichtet
Vielleicht haben wir uns in der Kirche zu sehr eingerichtet in fest gefügten Hierarchien und Vorstellungen von Gott und der Welt, die wir für ein Naturgesetz halten, und uns bereits auf vermeintlichen Gipfeln der Sicherheit, des Reichtums und der Macht festgesetzt. Dann braucht es jetzt den Abstieg, den Weg hinunter in die Niederungen des allzu Menschlichen, und dort eine neue Qualität von Begegnungen: arm sein vor Gott, miteinander trauern, barmherzig sein, gewaltlos kommunizieren und Frieden stiften. Lassen Sie uns aufbrechen, der Weg zum Gipfel beginnt immer ganz unten. Selig, die sich trauen, menschlich zu sein.
Christoph Kunz