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Seelsorgerliche Arbeit im Knast macht mir Freude

19. April 2020

Die seelsorgerliche Arbeit an einem ungewöhnlichen Ort in Frankfurt am Main macht der katholischen Gefängnisseelsorgerin riesengroße Freude. Für viele kaum vorstellbar „da draußen“, dass man sich hinter meterhohen Mauern und zahlreichen Türen und Gittern so wohl fühlen kann. „In der Justizvollzugsanstalt bin ich frei, Seelsorge und Glaube so zu leben und zu gestalten, wie es mir am Herzen liegt“ sagt Pastoralreferentin Christiane Weber-Lehr, die in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankfurt III für Frauen tätig ist.

„Ich stelle Fragen und ich werde in Frage gestellt. Ich kann mich nicht ausruhen auf frommen oder theologischen Antworten. Mein Glaube und meine fachliche wie menschliche Kompetenz werden hier täglich neu angefragt. Das finde ich spannend und lebendig“, erzählt die seit über zwei Jahren tätige Theologin im Knast mit einem herzhaften Lachen.

Gebete für die Opfer

Die lange in der HELIOS Dr. Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden arbeitende Seelsorgerin kennt schwere Geschichten von Menschen. Ist Glaube, ähnlich wie ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung, gesund? Und wirkt sich Spiritualität auf die Psyche und auf den Körper eines Menschen aus? „Tagtäglich begegne ich den Fragen, Sorgen, Nöten, Eigenheiten, Liebenswürdigkeiten, Abgründen, Warmherzigkeiten und Sehnsüchten anderer Menschen. In vielen kleinen Schritten kann ich ein Stück des Weges mitgehen. Mein Versuch, die Schicksale der Frauen kennenzulernen und ein wenig zu verstehen, heißt nicht, alle zu entschuldigen“, erzählt sie selbstkritisch. „Es gibt Taten, die sind unentschuldbar und so entsetzlich, dass sie unsere Vorstellungskraft überfordern. Meine Gebete gelten immer auch ihren Opfern. Aber manchmal ist die Grenze, wer Opfer oder Täterin ist, fließend. Viele der Frauen haben von Kindesbeinen an abgrundtiefes Leid und brutale Gewalt erlebt. Nicht unähnlich dem, was sie vielleicht später selbst einem Menschen angetan haben“, führt die Gefängnisseelsorgerin aus, die nahe an den abgründigen Geschichten inhaftierter Frauen ist. Seit 1990 ist sie Pastoralreferentin im Dienst des Bistums Limburg. Am 1. August 2018 begann ihr Dienst in der Gefängnisseelsorge in Frankfurt.

Einzig ehrliche Liebeserklärung

„Den Anspruch an meine Arbeit stellt mir Gott. Ich bin nicht hier, um Recht zu sprechen, Urteile zu fällen oder irgendwie zu richten und zu verurteilen. Ich kann nur immer wieder versuchen, meine Frauen hier mit den liebenden Augen Gottes zu sehen. Der Mensch stellt die gestandene Kirchenfrau mit Lebenserfahrung in den Mittelpunkt. „Du bist und bleibst Mensch – was immer auch Du getan hast. Denn diese Zusage Gottes ist oft die einzige ehrliche Liebeserklärung, die eine Frau je gehört hat. Und sie gilt uns allen“, betont sie klar und deutlich.

So büßen die Frauen ihre Verbrechen und Taten nicht nur mit Freiheitsentzug auf 8 m² Zelle, sondern auch mit dem Verlust von Liebe und Teilhabe am Leben. Die Gefängnisseelsorgerin versucht in Gesprächen, in Gottesdiensten und im Dasein mit den inhaftierten Frauen Begleitung anzubieten. Kleine alltägliche Dinge, die helfen, das Alleinsein im Haftraum mit sich selbst zu ertragen – zum Beispiel Briefmarken, Tagebücher, Buntstifte, Postkarten, Wolle zum Stricken, bei großer Armut auch mal das Bezahlen der Fernseh- oder Telefongebühren – ist Teil ihrer Aufgaben im Knast. Zum Glück helfen dabei einige Spender. „Begonnen habe ich diese Arbeit mit viel Neugier, Mut und großer Freude. Heute weiß ich, dass ich hier am richtigen Ort bin“, sagt die Gefängnisseelsorgerin überzeugt und schaut ernst und zugleich freudig auf ihr Gegenüber.

Pastoralreferentin Christiane Weber-Lehr | JVA Frankfurt III

 

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