„Schuld“ sei eigentlich nicht sein Thema, sagt Raimund Ruppert, Seelsorger an der Justizvollzugsanstalt (JVA) I in Frankfurt. Dabei ist er doch gewissermaßen als Fachmann gefragt. Jenseits von Schubladendenken gehe es dabei unter anderem um die Frage, wie ein Weiterleben mit Schuld möglich sei. Sein Glaube setze nicht bei der Schuld an, sagt Ruppert, was nicht heiße, dass er vorschnell bereit sei, Täter zu „entschuldigen“. Der im Bistum Limburg tätige Gefängnisseelsorger kommt ins Erzählen.
Ihm gelinge es aber zu verstehen angesichts manch erschütternder Biographie. „Das ist etwas anderes.“ Grundsätzlich bezweifelt er, dass allen Taten freie Entscheidungen zugrunde liegen. Auch die Gefangenen selbst suchten mitunter nach Erklärungen für ihr eigenes Tun und machten „unbewusste Mächte“ verantwortlich, von denen sie angetrieben seien.
In jedem Fall hat der Pastoralreferent, der seit 2009 als Gefängnisseelsorger tätig ist und zuvor 24 Jahre in Gemeinden gearbeitet hat, keine Berührungsängste gegenüber Menschen, die schuldig geworden sind. Er versuche, ohne Ansehen der Person mit Jedem respektvoll umzugehen, definiert er seine Hauptaufgabe. Das höre sich vielleicht minimalistisch an, sei aber sehr viel in diesem System: „Dass einer mit ihnen redet, ihnen zuhört, dem egal ist, was sie gemacht haben“.
Er habe zu allen Gefangenen Zutritt, sagt Ruppert auf die Frage aus dem Publikum, ob es auch schwere Fälle gebe, mit denen er keinen Kontakt haben dürfe. An das „Böse“ in den Gefangenen, als eine Art Gendefekt, glaubt er dabei nicht: Er sei noch keinem „Monster“ begegnet, betont er. Ganz im Gegenteil mache er die Erfahrung: „Wir sind ganz nah beieinander.“ Es gebe graduelle, keine prinzipiellen Unterschiede zwischen ihm und den Häftlingen. Daraus erwachse für ihn auch eine Dankbarkeit für sein behütetes Aufwachsen, und dafür, „dass ich stabil bin“. Wie denn überhaupt seine Tätigkeit zu einem vertieften Verständnis seines christlichen Glaubens geführt habe. Das Zentrale sei dabei, jemanden nicht darauf festzunageln, was er gemacht hat, sondern ihm eine Perspektive auf Zukunft hin zu eröffnen. „Dass ein anderes, besseres Leben möglich ist.“