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Fahrrad von Demokratie und Freiheit am Laufen halten

27. Januar 2025

Heute ist kein Montag wie jeder andere. „An diesem Montag, 27. Januar 2025 jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau zum 80. Mal“, hat mir Saskia vor ein paar Tagen in einer E-Mail geschrieben. „Aus diesem Anlass möchte ich die Stolpersteine im Kölner Agnesviertel putzen und jeweils eine weiße Rose zum Gedenken an die Opfer des Holocaust niederlegen. Insgesamt befinden sich bei uns mehrere Hundert Stolpersteine, die ich alleine nicht alle reinigen kann. Deshalb suche ich Menschen, die mich unterstützen.“

Saskia ist eine engagierte Lehrerin und macht eine bewundernswerte Arbeit. Deswegen fand ich ihre Initiative zum Holocaust-Gedenktag großartig. Ihren Aufruf haben wir bei uns in der Gemeinde und im Viertel verbreitet. Und ich bin schon sehr gespannt, wie viele Menschen sich bei Saskia gemeldet haben. Für für heute habe ich ein wenig Zeit eingeplant, ihr zu helfen. Ich werde dann zum Stolperstein von Nikolaus Groß gehen. Der Bergmann, christliche Gewerkschaftler, Journalist und Widerstandskämpfer hat mit seiner Familie im Schatten der Agneskirche gewohnt.

Nikolaus Groß

Er ist am 23. Januar 1945 von den Nationalsozialisten hingerichtet worden. Ich blättere immer wieder in einem kleinen Büchlein über ihn. Er war Gewerkschafter und führend in der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB). „Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie sollen wir dann vor Gott und unserem Volk einmal bestehen?“ hat Groß in einem Brief aus dem Gefängnis am 19. August 1944 geschrieben. Als ich das wieder lese, bin ich erschüttert. Was für ein gewaltiger Satz – geschrieben von einem Menschen, der mit der Gewissheit lebt, dass er das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen wird. Wieder gelesen von mir, in meinem beheizten Arbeitszimmer, einer warmen Tasse Kaffee neben der klackernden Computertastatur, dem dösenden Hund neben meinen Füßen und mit der Sicherheit eines vollen Bankkontos und einer warmen Mahlzeit am Abend. „Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen…“ „Wir stehen auf den Schultern von Riesen“ hat ein kluger Philosoph neulich geschrieben. Damit sind Menschen wie Nikolaus Groß gemeint.

Fahrrad am Laufen halten

Diejenigen, die in ihrem Leben harte Kämpfe geführt und persönliche Opfer gebracht haben, um das Licht der Freiheit durch das Dunkel von Diktatur und Unfreiheit hindurchzutragen. An Tagen wie diesen wird mir das zum Glück wieder klar. Ich habe persönlich nichts dazu beigetragen, dass ich in Freiheit und Demokratie leben kann. Und deswegen zum Beispiel im Radio sprechen kann. Denn das ist die Folge von Demokratie. Wenn Freiheit und Demokratie die Freunde ausgehen, dann haben ihre Feinde leichtes Spiel. „Demokratie ist wie ein Fahrrad, das immer weiter getreten werden muss, sonst fällt es um.“ Dieses Bild trifft es gut. Ich wüsste gern, woher Nikolaus Groß die Kraft genommen hat. Doch eins ist klar: Gerade, weil er die Kraft hatte, stehe ich heute, 80 Jahre später, noch immer auf seinen Schultern. Ich muss mein Leben nicht einsetzen. Gott sei Dank. Aber ich will helfen, das Fahrrad von Demokratie und Freiheit am Laufen zu halten. Damit es nicht umfällt. Niemals, auch nicht an diesem Montagmorgen.

Peter Otten | Kirche in WDR 2 

 

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